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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Das neue Krematorium in Gera

Am 27. September 1999 wurde in Gera im Erweiterungsbereich des Ostfriedhofes ein neues Krematorium eingeweiht.

Inmitten eines drei Hektar großen, parkähnlichen Geländes fügt sich das Gebäude an einem Berghang harmonisch in die Hügellandschaft ein.

Die unter Leitung des Kappler Architekten Gesamtplaner GmbH errichtete Anlage schließt einen Verwaltungsteil und einen Betriebshof für die Friedhofsunterhaltung ein. Fußwege führen zu 60 Besucherparkplätzen. Die Funktionsräume liegen unterirdisch. Ein Ofen für zwei Verbrennungen mit der den vorgeschriebenen Normen entsprechenden Filteranlage wird im 2-Schicht-Betrieb gefahren. Der Platz für einen zweiten Ofen ist vorhanden. Kühlzellen, Amtsarztraum und Aufenthaltsräume für das Personal schließen sich an. Von den fünf verschiedenen Abschiedsräumen ist einer ohne Zwischenwand und kann zwei Särge gleichzeitig aufnehmen. Vorausschauend dachte man bei diesem Raum auch an islamische Trauerfeiern.

Die künstlerische Ausgestaltung der Feierhalle übernahm das Laurin Design Atelier aus Chemnitz. Dominierendes Schmuckelement ist ein wiederkehrendes Band als Symbol der Vielfältigkeit menschlicher Beziehungen. Beginnend in der Blumenrabatte außerhalb des Gebäudes führt durch Glaswand und Gang der aus Schieferplatten bestehende "Lebensweg" in die Feierhalle, wo er durch gegossene Reliefs mit gebrochenem Geäst als Zeichen der Vergänglichkeit unterbrochen wird. Hier finden die Trauerfeiern statt. Weiter erreicht er die dreiteilige Wandschale mit 18 Fächern aus Schiefer und Glas im Mittelfeld. So entsteht der Eindruck des Aufsteigenden, der durch einfallendes Oberlicht verstärkt wird. Ein Kreuz mit verschlungenem Band ziert das rechte Feld. Vor dieser Wand steht der Sarg auf dem Versenkungsschacht, umrahmt von sechs schlichten Leuchtern.

Die Entstehungsgeschichte und Bedeutung des mit der Inbetriebnahme stillgelegten alten Krematoriums wird in einer Diplomarbeit von 1998 ausführlich dargelegt (Annegret List: Das Krematorium in Gera – Diplomarbeit an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fachbereich Buch und Museum, Studiengang Museologie, Leipzig 1998). Unter Leitung von Stadtbaurat Marsch erbaut, ging es 1910 in Betrieb. Die dazu gehörende, äußerlich recht imposante Feierhalle wurde schon 1900 zusammen mit dem Ostfriedhof eingeweiht. 1995 saniert, wird sie auch weiterhin für Trauerfeiern genutzt. An die Außenwände der mit Jugendstil-Ornamenten geschmückten Verbrennungsanlage ist ein "Kremo-Kolumbarium" eingebaut, Nischen zur Beisetzung von Urnen. Seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt, überlegt man derzeit, diese nach Sanierung wieder anzubieten.

Einmalig in Deutschland ist der zwischen Feierhalle und Verbrennungsanlage im Freien befindliche Versenkungsschacht für „Dissidenten“. Darunter fielen alle, die nicht der evangelischen Landeskirchen angehörten (für Katholiken waren Verbrennungen bis in die 1960er Jahre ohnehin tabu). Von Anfang an wehrte sich die Ortsgruppe Gera des Deutschen Monistenbundes gegen diese Einrichtung, die bald nur noch als Monistenloch bezeichnet wurde (zu den Monisten siehe Waltraud Wagner: Inschrifte, welche Anstoß erregen müssen beseitigt werden: Ein Grabspruch macht in Gera Stadtgeschichte. In: Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur Nr. 63). Grundlage dieses Kuriosums war ein Paragraph des Ortsgesetzes über die Feuerbestattung, wonach Trauerfeiern in der Kapelle nur zelebriert werden durften, "wenn ein Geistlicher seines Amtes waltet". So mußten Trauerfeiern für die "Dissidenten" bei jedem Wetter im Freien abgehalten werden. Dieses Thema beschäftigte die regionale und überregionale Presse, ja sogar Witzblätter. So wurde das Geraer Krematorium bald weithin bekannt. Erst 1918 wurde der Streit beendet und das Gesetz entsprechend geändert.

Der Plan für ein neues Krematorium in Gera war bereits 1975 fertig. Es sollte ursprünglich weitaus größer als das jetzige werden. 1979 wurde dieser Plan wegen "fehlender Baukapazität" – einem ständigen Problem in der DDR – aufgegeben. Dies war ein Glücksumstand für den Erhalt des alten Krematoriums, das eigentlich nach der Inbetriebnahme des Neubaues abgerissen werden sollte.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Gemeinschaftsgrabstätten (Mai 2000).
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