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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

"Hall of Memory": Totengedenken im Internet

Im Prinzip sind "Friedhöfe" im weltumspannenden Internet bereits seit mehreren Jahren bekannt - es handelt sich um mehr oder weniger individuell gestaltete Bildschirm-Gedenkseiten, die jederzeit über Computer, Modem und Mausklick abrufbar sind.

Allerdings hatten sie bislang häufig den Charme des Provisorischen. Im Jahr 1998 wurde nun von der Frankfurter Agentur MKS mit der "Hall of Memory" eine kommerzielle Internet-Gedenkstätte eröffnet, die ausgesprochen professionell angelegt ist (Internet-Adresse: www.hall-of-memory.com). Es scheint, als hätte sie gute Chancen, diesen neuen Formen des Totengedenkens zu einem Bekanntheitsgrad zu verhelfen, die über den engeren Kreis der Internetsurfer hinausgeht. Dies gilt nicht zuletzt auch deswegen, weil die ästhetische Aufbereitung ausgeprochen attraktiv ist. Die Betreiber arbeiten übrigens bereits mit verschiedenen Bestattungsunternehmen zusammen, was den kommerziellen Charakter der "Hall of Memory" unterstreicht.

Die Eingangsseite der "Hall of Memory" verspricht wörtlich: "In lebendiger Form gestaltet, bleiben alle wichtigen Informationen über den Verstorbenen hier 30 Jahre lang der Nachwelt erhalten. Sei es als Memorial-Gedenkstätte, als Nachruf mit Bildern und Sprache, als Kurzbiographie mit Filmen oder als individuell gestaltete künstlerische Büste."

Die zu zahlenden Preise für einzelne Eintragungen sind allerdings nicht gerade niedrig: Je nach Ausgestaltung kann man mehrere hundert, aber auch mehrere tausend Mark investieren. Die Angehörigen haben viele Möglichkeiten, ihren Eintrag zu entwerfen. Für die Standard-Gedenkstätte stehen 18 verschiedene Motive zur Verfügung, aber man kann auch ein Relief des oder Verstorbenen zeichnen und das Lieblingsgemälde oder die Lieblingsmusik einspielen lassen. Umgekehrt kann jeder Besucher, wie im Internet üblich, interaktiv handeln. Er kann per elektronischer Post (e-mail) Kondolenzkarten versenden. Diese sind noch kostenlos, während für das Hinterlegen von virtuellen Blumengebinden Geld verlangt wird. Auch Totenlichter haben ihren Preis.

Über das private Totengedenken hinaus öffnet die "Hall of Memory" allerdings auch den Weg für neue Vermarkungsmechanismen und Formen der Kommerzialisierung. So sind die Anschriften verschiedener Unternehmen abrufbar, die ihre fachspezifischen Dienste anbieten: von Bestattern bis zu Trauerseminaren. Nach knapp einem Jahr zählte die "Hall of Memory" gut 100 Gedenkstätten. Beeindruckender ist die Zahl jener Netzsurfer, die sie besuchten: angeblich 60 000 im Januar 1999.

In jedem Fall ist diese neue Form des Totengedenkens ein Beispiel für den aktuellen Wandel der Trauerrituale. Trauer und Erinnerung werden immer weniger mit einer konkreten Grabstätte verbunden, wofür die wachsende Zahl anonymer Bestattungen ein überdeutlicher Beleg ist. Das bedeutet zugleich, daß die bisher geläufige Verortung von Trauer und Erinnerung auf den Friedhöfen ihre Bedeutung verliert. Dieser Einstellungswandel hängt nicht zuletzt ganz konkret mit der wachsenden gesellschaftlichen Mobilität zusammen. Geburtsort und Wohnort sind immer häufiger voneinander getrennt - hier spielen berufliche Gründe wie auch das allgemeine Bedürfnis nach stärkerer individueller Selbstbestimmung eine wichtige Rolle. Grabbesuch und Grabpflege werden umso schwieriger, je weiter entfernt das Grab vom Wohnort der Hinterbliebenen ist.

Das Internet hingegen ist im Prinzip weltweit überall zugänglich, wenn man über PC und Modem verfügt. Kaum verwunderlich, daß die Betreiber der "Hall of Memory" mit ihrem Projekt nicht zuletzt auf jene Generationen hoffen, die mit dem Computer aufgewachsen sind und für die der Umgang mit dem Internet etwas Selbstverständliches ist. Für all jene, die (noch) nicht mit dem Internet vertraut sind, aber Zugang zu einem PC haben, gibt es auch eine CD-ROM mit einem Rundgang durch die "Hall of Memory".

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Moderne Grabmalkultur (Mai 1999).
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