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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der Ohlsdorfer Friedhof, historische Grabmalkultur und 30 Jahre Förderkreis Ohlsdorf

Anmerkung der Redaktion: Bei dem folgenden Text handelt es sich um den überarbeiteten Festvortrag anlässlich des 30jährigen Bestehens des Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof e.V. am 26. Mai 2019 auf dem "Bürgerfest" Ohlsdorfer Friedhof. Der Verfasser dankt Dr. Barbara Leisner für wichtige Informationen und Hinweise für den vorliegenden Text.

Friedhöfe sind seit Jahrhunderten zentrale Orte der Erinnerungskultur. Mit ihren Grabdenkmälern sind sie Schauplätze von Abschiedskultur am konkreten Ort der Bestattung. Darüber hinaus haben sie eine hohe symbolische Bedeutung im gesellschaftlichen und kulturellen Sinn. So lässt sich Friedhofs- und Grabmalkultur als eine materialisierte "Gedächtnislandschaft" lesen. Sie repräsentiert den historisch wechselvollen Umgang mit dem Tod und den Toten. Sie sagt etwas aus über Bestattungs- und Trauerkultur in verschiedenen Epochen, welche Muster dabei entwickelt wurden und in welcher Beziehung sie zur jeweiligen Gesellschaft standen. Auf dem Friedhof wird Vieles an Geschichte gespeichert: Biografien, Mentalitäten, konfessionell unterschiedliche Religionen und Glaubensformen, gesellschaftliche Strukturen, Geschlechterbeziehungen sowie nicht zuletzt lokale und regionale Spezifika. Kurz gesagt, sind Friedhöfe eine "Schatzkammer" für Kultur und Gesellschaft. Hier lässt sich, wie es der Philosoph Hermann Lübbe formulierte, "Vergangenes gegenwärtig" halten.


Norbert Fischer bei der Festrede 30 Jahre Förderkreis Ohlsdorf

Auch die Geschichte des Parkfriedhofs Ohlsdorf spiegelt die spannungsreiche Geschichte von Tod, Gesellschaft und Bestattungskultur. Ohlsdorf entstand 1877, in einem Zeitraum großer Umgestaltungen und Umbrüche in der Industrie, in den Städten, in der Wissenschaft und der Technik. Wie kein anderer Großfriedhof in Deutschland repräsentierte Ohlsdorf als Parkfriedhof im Stil des englischen Landschaftsgartens die Sehnsucht nach einem möglichst naturnah gestalteten Raum. Der Friedhof bot einen gesellschaftlichen Fluchtpunkt gegenüber den neuartigen, auch in Hamburg immer massiver den Alltag prägenden großstädtisch-industriellen Lebenswelten. Die Gestaltung des Ohlsdorfer Friedhofs als landschaftliches Gesamtkunstwerk verweist also direkt auf die gesellschaftlichen Verwerfungen einer alle Lebensbereiche umfassenden Umbruchsphase, in der Hamburg noch vor dem Ersten Weltkrieg zur Millionenstadt wurde.

Durch seine wie gemalte Natur und Landschaftskulisse, die den Tod in die Pracht der Bäume und Sträucher, Hügel, Bäche und Teiche geradezu einbettete, wurde der Friedhof – noch vor Anlage des Stadtparkes in Winterhude – zu einem sonntäglichen Ausflugsziel der großstädtischen Bevölkerung. Dazu hieß es in einer Illustrierten von 1906: "Nie wird man müde, den Sinn zu bewundern, der hier schaffend gewaltet. Der die Brücken schlug von Natur zu Kunst, von Kunst zu Natur. Zu höherer Einheit ist beides hier verbunden. Man wandelt wie in einer anderen Welt, wo die Gegensätze sich aufheben." An diesem überschwänglichen Lob wird deutlich, wie der Friedhof Natur, Kultur und Technik zu einem harmonischen Arrangement verband. Um 1900 jedenfalls erwies sich der Ohlsdorfer Friedhof als ein wichtiges städtisches Renommierobjekt. Er wurde zum landschaftsästhetischen Vorbild für die Friedhofsgestaltung und auf mehreren Ausstellungen auch einem internationalen Publikum vorgestellt. So wurde der Friedhof z.B. auf der Pariser Weltausstellung 1900 als Modell deutscher Gartenkunst prämiiert.

Entsprechend seiner Entwicklung, zeigt der Ohlsdorfer Friedhof unterschiedliche Epochen der Grabmal- und Friedhofsgeschichte. Da sind zunächst die teils monumentalen Grabmäler der Kaiserreich-Zeit, kunsthistorisch als Historismus bezeichnet. Dann kommt die Reform-Ära der Weimarer Republik mit ihren uniformen Stelen und den so völlig anders, geometrisch gestalteten Friedhofsflächen, dem so genannten Linne-Teil. Aschenbeisetzungen spielen mit ihren besonderen Grabzeichen eine immer größere Rolle. Und die Etappen der Grabmalgeschichte sind damit längst noch nicht zu Ende (ich komme darauf zurück …).

Aber, wie so viele alte Friedhöfe, ist auch Ohlsdorf in seinem Bestand gefährdet. Die Substanz vieler schutzwürdiger Grabsteine ist angegriffen. Der Untergang historischer Grabmalkultur würde den unwiderruflichen Verlust repräsentativer Zeugnisse vergangener Zeiten und Kulturen bedeuten. Vielleicht ist es gerade das Wissen um ihren drohenden Untergang, warum sich – nicht nur in Deutschland – vielerorts zivilbürgerliche Initiativen ehrenamtlich um den Erhalt der Friedhofskultur bemühen.

Aber wie fing alles an mit dem Schutz der Ohlsdorfer Friedhofs- und Grabmalkultur? Blicken wir einmal zurück in das Jahr 1975. Es war das Europäische Jahr des Denkmalschutzes. Aus diesem Anlass wurden abgeräumte Grabsteine des Ohlsdorfer Friedhofs vom Garten- und Friedhofsamt auf ihre historische Bedeutung hin gesichtet und in der Dauerausstellung "Grabmalkunst im Wandel der Zeit" auf dem Hauptfriedhof Öjendorf aufgestellt. 1977 kamen dann erste Kontakte zwischen dem Garten- und Friedhofsamt und dem Hamburger Denkmalschutzamt zustande, in denen auch dessen Hilfe für eine Grabmalinventarisation zugesagt wurde. Der Hamburger Senat trat am 29. November 1977 offiziell dafür ein, dass Grabstätten von historischer und künstlerischer Bedeutung zu erhalten sind.

Ein Probelauf zur Erfassung und Erhaltung schutzwürdiger Grabmale und eine mehrtägige Expertentagung unter Leitung des bekannten Kunsthistorikers Prof. Hermann Hipp wurden 1978 durchgeführt. Die Schlusserklärung dazu lautet stichwortartig:

  • Der Ohlsdorfer Friedhof ist als Gesamtkunstwerk von höchstem Rang zu betrachten
  • Wichtige Merkmale sind für die Zukunft zu erhalten
  • Eine summarische Beschreibung und Dokumentation überschaubarer Grabfelder ist vorzunehmen
  • Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme ist erforderlich

Förderkreis-Vorsitzender Michael Karbenk begrüßt die Gäste zum Förderkreisjubiläum

Daraufhin erfolgte in den Jahren 1981 bis 1986 die Durchführung des empfohlenen Forschungsprojektes "Erfassen, Erschließen und Erhalten des Gesamtkunstwerkes Hauptfriedhof Ohlsdorf". Zwei heutige Mitglieder des Förderkreises Ohlsdorf waren an diesem Projekt entscheidend beteiligt: Die Kunsthistorikerin Dr. Barbara Leisner und der Kunsthistoriker Dr. Heiko K. L. Schulze. Das Projekt wurde von der Stiftung Volkswagen-Werk finanziell gefördert, vom Denkmalschutzamt wissenschaftlich begleitet und vom Garten- und Friedhofsamt der Hansestadt Hamburg vor Ort betreut. Die bekannte Publikation von Barbara Leisner, Heiko Schulze und Ellen Thormann erschien 1990 im Christians Verlag und ist bis heute ein unverzichtbares Standardwerk der Friedhofsforschung. So wurde also in einem der ersten, jedenfalls dem – neben dem 2014 mit einer Publikation abgeschlossenen Projekt zum Alten Südlichen Friedhof München – bis heute umfassendsten Forschungsprojekt in Deutschland der historisch bedeutsame Grabmalbestand des Ohlsdorfer Friedhofs erfasst.

Aber wie sollte es weitergehen mit dem Erhalt des wertvollen Bestandes? Zunächst konnte sich im Anschluss Barbara Leisner in einem ABM-Projekt mit Folgearbeiten der Erhaltung der Friedhofskultur in Ohlsdorf widmen. Aber sonst hatten weder das Denkmalschutzamt noch die damalige Friedhofsverwaltung Kapazitäten für diese Aufgabe, von den Kosten ganz zu schweigen. Zudem hatte mit Hermann Hipp der zentrale Ansprechpartner und Förderer im Denkmalschutzamt diese Behörde verlassen und war als Kunsthistoriker an die Universität gewechselt. Und Heiko Schulze ging vom Forschungsprojekt aus in eine führende Position ans schleswig-holsteinische Landesdenkmalamt in Kiel.

Die Idee war nun, einen ehrenamtlichen Förderkreis zu gründen. Mit Dr. Barbara Leisner war eine der am Projekt beteiligten Wissenschaftlerinnen von Anfang an auch bei dieser Vereinsidee dabei. Wichtige Anregungen zur Vereinsgründung kamen von dem friedhofsinteressierten Theologen und Pastor Prof. Wenzel Lohff, leider 2016 verstorbenes Ehrenmitglied des Vereins. Großen Anteil hatte auch der ebenfalls inzwischen leider verstorbene Helmut Schoenfeld. Herr Schoenfeld war viele Jahre für das Friedhofswesen der Stadt Hamburg zuständig, und für ihn war der Ohlsdorfer Friedhof – nicht nur beruflich – zu einer Lebensaufgabe geworden.

Ein Förderverein für einen Friedhof – das war damals etwas Neues. Zwar gab es schon lange Fördervereine, aber sie halfen Museen und anderen Kultureinrichtungen bei ihren Aufgaben. Als einziges konkretes Vorbild eines Freundeskreises, der auch die Erhaltung von Grabmalen in seine Satzung aufgenommen hatte, war der fünf Jahre zuvor gegründete "Verein der Förderer historischer Denkmäler und Friedhofskultur der Stadt Köln e.V." bekannt.

Barbara Leisner erinnert sich an die Anfänge in Hamburg wie folgt: "Natürlich hatte es einen gewissen Vorlauf gegeben. Schon im April 1989 hatte ich einen Vortrag mit dem Titel 'Auch Grabmale können sterben' gehalten und dabei war der Kontakt zu Wenzel Lohff zustande gekommen, der die Idee eines Förderkreises in den folgenden Monaten sehr stark befürwortete und damit die Zweifel beseitigte, die ich hatte und die … Helmut Schoenfeld teilte, der damals für die Gestaltung des Friedhofs zuständig war."

Diese Idee wurde gezielt weitergetragen und führte am 21. August 1989 zur Gründung des heutigen Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof. Zu den weiteren Gründungsmitgliedern zählten außer den genannten der Ortsamtsleiter von Fuhlsbüttel Harald Rösler, die Mitbegründerin des Vereins "Rettet das Alte Krematorium" Hella Häussler, der Mediziner Dr. Hans-Jörg Mauss und der frühere Leiter des Ohlsdorfer Krematoriums, Uwe Prasse. Insgesamt waren 13 Personen beteiligt. Zur Gründungsvorsitzenden wurde damals Barbara Leisner gewählt. Die weiteren Vorsitzenden in der Folge waren Kläre Buthmann, Hans-Jörg Mauss, Holger Andresen, Henning Hammond-Norden und aktuell ist es Michael Karbenk.


Veranstaltungsbühne mit Staatsrat Michael Pollmann und der Weltkapelle Wilhelmsburg

Kommen wir zum Inhaltlichen – was nun ist das Ziel des Vereins? In der Satzung des Förderkreises heißt es programmatisch: "Der Verein soll die Erhaltung und Pflege historischer Friedhofsanlagen mit ihren Grabmalen in Hamburg fördern und unterstützen. Darin eingeschlossen sind sowohl die Park- und Gartenanlagen, als auch die Werke der Grabmalkunst und solche Grabmale, die beispielhaft das Schaffen der Bildhauer und Steinmetze der Vergangenheit widerspiegeln. Gemäß seiner Bedeutung für die Geschichte Hamburgs soll das Hauptaugenmerk auf der Erhaltung des Gesamtkunstwerkes Hauptfriedhof Ohlsdorf liegen".

Wichtigste konkrete Aufgabe war es zunächst, die Öffentlichkeit auf den Ohlsdorfer Friedhof als Gesamtkunstwerk aufmerksam zu machen. Dies geschah und geschieht bis heute mit Führungen, Vorträgen und Ausstellungen sowie durch Druckwerke, wie Faltblätter, Schriften, Broschüren. Hören wir noch einmal Barbara Leisner, wie sie sich an die ersten Aufgaben erinnert: "Wir mussten uns alles neu ausdenken, stellten ein Vortragsprogramm für den Winter und regelmäßige Friedhofsführungen im Sommer auf die Beine, sammelten eine Gruppe von Menschen, die Lust hatten anderen 'ihren' Friedhof zu zeigen, standen mit einem kleinen Tisch, dem neuen Vereinsflyer und unserer Satzung auf Flohmärkten der näheren Umgebung und vor dem Friedhofseingang."

Von den seit Jahren annähernd konstant bleibenden 200 Mitgliedern sind viele in unterschiedlicher Weise aktiv. Zur personalintensiven Öffentlichkeitsarbeit gehören insbesondere die Friedhofsführungen und die Museumsbetreuung. So wurden insgesamt fast 50 000 Besucher bei Führungen gezählt. Mindestens genauso viele Menschen haben das Museum des Förderkreises besucht. Zählt man noch die Gäste der Vorträge hinzu, kommt man auf eine Reichweite von weit über 100 000 Personen, die der Förderkreis erreicht hat – von seiner Zeitschrift einmal ganz zu schweigen (dazu später noch Näheres).

Ein weiterer festgeschriebener Vereinszweck ist die "Sammlung zweckgebundener Spenden zur Pflege und Restaurierung gefährdeter Objekte und die Unterstützung von konkreten Erhaltungsmaßnahmen". Der Förderkreis initiierte 1995 die so genannten Grabmalpatenschaften und schuf einen entsprechenden Katalog für die Friedhofsverwaltung als Grundlage zur Vergabe. Dabei geht es konkret darum, vom Verfall bedrohte, historisch bedeutsame Grabmäler durch eine Neubelegung zu erhalten. Der Erwerb einer solchen historischen Grabstätte ist mit der Auflage der Sanierung verbunden, zugleich dürfen behutsame neue Inschriften eingefügt werden. Insgesamt hat der Förderkreis seit seiner Gründung eine höhere sechssstellige Summe in die Restaurierung bzw. Sanierung von Grabdenkmalen investiert. Die Planung, Abwicklung und Betreuung der Maßnahmen erfolgten ehrenamtlich in Zusammenarbeit mit der Friedhofsverwaltung. Es entfaltete sich also eine Art "Denkmalpflege von unten".

Ein wichtiges öffentliches Medium des Förderkreises ist die seit 1995 bestehende "Zeitschrift für Trauerkultur". Darin berichten unterschiedliche AutorInnen über historische und aktuelle Themen der Friedhofs- und Bestattungskultur, jeweils unter einem Titelthema. Die Zeitschrift wird von einem mehrköpfigen Redaktionsteam betreut. Längst zählt die Zeitschrift zu den weithin anerkannten Fachorganen der Friedhofs- und Bestattungskultur und wird nicht selten mit ihren Aufsätzen zitiert. Sie hat eine hohe Reichweite, weil sie nicht nur im Druck, sondern mit allen Texten und Bildern auch online erscheint.

Neben der Zeitschrift gab der Förderkreis aber auch mehrere Sonderpublikationen zu Einzelaspekten des Ohlsdorfer Friedhofs heraus, etwa zur Geschichte der Feuerbestattung. Und aus dem Förderkreis heraus entstanden nicht zuletzt, vor allem in der Autorenschaft von Barbara Leisner und Helmut Schoenfeld, mehrere Bücher und Führer über den Ohlsdorfer Friedhof.

Eine bedeutende Zäsur war die Gründung des Museums im Jahr 1996, seitdem ist es auch die Geschäftsstelle und das Zuhause des Förderkreises. Die Friedhofsverwaltung und der Förderkreis haben die Konzeption dieses Museums gemeinsam erarbeitet. Träger sind die "Hamburger Friedhöfe - Anstalt öffentlichen Rechts". In dem historischen Bauwerk neben dem Verwaltungsgebäude wird die Vielfalt der hamburgischen Friedhofs- und Bestattungskultur gezeigt. Im Vordergrund stehen dabei der Ohlsdorfer Friedhof mit seiner Geschichte, seiner Grabmalkultur und seinen Gräbern bekannter Persönlichkeiten sowie die Entwicklung der Feuerbestattung in Hamburg. Die ehrenamtliche Betreuung obliegt dem Förderkreis, der dort auch sein Büro hat und sein Archiv verwahrt. Zugleich finden Sonderausstellungen mit wechselnden Themen zur Friedhofs- und Trauerkultur statt.

Eine besondere Ehre erfuhr der Verein im Jahr 2006: Damals verlieh die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. in Kassel dem Förderkreis die Auszeichnung "Lebenszeichen" für besondere Leistungen im Bereich der Sterbe-, Bestattungs-, Friedhofs- und Trauerkultur.

Und natürlich gehen die Förderkreis-Aktivitäten weiter: So setzt sich der Verein dafür ein, ein Netzwerk aller Friedhofsvereine zu begründen, um sich gegenseitig besser austauschen und unterstützen zu können. Die aus dem Förderkreis heraus entstandene Initiative hat in kurzer Zeit in der Fachwelt schon öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Zu den größeren denkmalpflegerischen Projekten zählt das Engagement für den Erhalt der gefährdeten Grabmalkultur aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – eine Epoche, die bisher kaum im Fokus stand.

Überhaupt haben sich der Friedhof und seine Erinnerungskultur ja grundlegend gewandelt. Waren es im Kaiserreich noch die monumentalen Familiendenkmäler, mit denen erfolgreiche Biografien gefeiert wurden, so beherrschen heute gartenästhetisch ansprechend gestaltete Gemeinschaftsanlagen das Bild: Aschengärten, Paargräber, der Garten der Frauen. Auch Grabfelder für besondere Religionsgemeinschaften – Moslems, Buddhisten und andere – spielen eine immer größere Rolle. Vielleicht nirgends so deutlich wie auf dem Friedhof zeigen sich gesellschaftliche Entwicklungen, weg von der klassischen Familie hin zu neuen Beziehungen und Gruppierungen, vielfältigen Formen der Religiosität und Spiritualität. Der Wandel der Mentalitäten zeigt sich auch im Trend zu naturnahen Bestattungsformen: Der Ohlsdorfer Ruhewald mit seinen Baumgräbern ist sehr beliebt, der Apfelhain wird als gemeinschaftliche Bestattungsanlage angeboten. Das "Blumenband" nahe des Bestattungsforums ist als Ort der Bestattung und Begegnung konzipiert. Hier entstehen ganz neue Formen der Bestattungs- und Erinnerungskultur. Damit stellt sich auch die Frage, was künftige Generationen auf dem Friedhof für schützenswert halten werden?!

Kommen wir zum Schluss: Mit seiner ehrenamtlichen Tätigkeit und seinen öffentlichkeitswirksamen Leistungen ist der Förderkreis zu einer festen Größe sowohl in Bezug auf das Gesamtkunstwerk Friedhof Ohlsdorf als auch in denkmalpflegerischen Projekten herangewachsen. Er trägt daher seit kurzem in seinem Namen den Untertitel "Verein für Kultur und Denkmalpflege".

Im Mittelpunkt aber stand immer der Ohlsdorfer Friedhof, der Erhalt der Anlage und seiner Grabdenkmäler. Gerade die drohende Verflüchtigung historischer Gedächtniskultur verleiht diesem und anderen historisch gewachsenen Friedhöfen ihre Faszination, lässt das "Vergangene gegenwärtig" werden. Aber diese Faszination ist zugleich Mahnung, auch künftigen Generationen diesen Blick zurück zu ermöglichen. Dazu ist es notwendig, sich stets der Bedeutung der Friedhofskultur als Schatzkammer von Kultur, Geschichte und Gesellschaft bewusst zu werden. "Die aus Myriaden von Einzelheiten bestehende Vergangenheit geht in uns ein und verschwindet", schrieb einmal der amerikanische Schriftsteller James Salter. "Aber in ihrem Innern liegen irgendwo hart wie Diamanten die Fragmente, die auch die Zeit nicht zersetzen kann." Auch Grabdenkmäler sind solche Diamanten. Und in diesem Sinne gilt es auch künftig, sich gegen ihre Zersetzung und für den Erhalt des Ohlsdorfer Friedhof als großstädtischer Gedächtnislandschaft zu engagieren.

Fotos: Hamburger Friedhöfe - AöR -

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Alternative Bestattungskultur (Oktober 2019).
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