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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der Musterfriedhof und das Grabfeld mit mustergültigen Grabmälern – gestern und heute

Bald nachdem Otto Linne seine eigenen Pläne für die Gestaltung des Erweiterungsgebietes in Ohlsdorf vorgelegt hatte, wurde angeregt auch hier einen Musterfriedhof anzulegen, um der Bevölkerung die neuen Grabmalideen nahe zu bringen.

Seitdem auf dem Münchener Waldfriedhof 1907 erstmals Vorschriften für die Gestaltung der Grabmale erlassen worden waren, gab es in Fachkreisen eine lebhafte Diskussion um solche Musteranlagen. Gerade wenn Friedhöfe neu angelegt wurden, folgte man den Vorstellungen der Reformer, die nicht nur die Gestaltung der Anlage, sondern auch die Grabmalkunst erneuern wollten. So wurden zum Beispiel schon 1911 auf dem neuen Friedhof in Hannover-Linden alle Materialien verboten, die nach damaliger Auffassung in "besonders augenfälliger Weise die Harmonie des Friedhofsbildes" verdarben. Dazu gehörten "Fabrikate aus Glas und die Steine mit blankpolierten Flächen", "alle Erzeugnisse aus Zement und Porzellan, ebenso die waffelartig bearbeiteten Denkmäler, die mit ihren zerhackten Flächen geradezu raffiniert unruhig wirken", sowie der weiße Marmor. Um "positive Fingerzeige über die verfolgten Ziele" eines einheitlicheren Friedhofsbildes zu geben, wurden am Friedhofseingang "auf einem mit Hecken umsäumten und durchzogenen Gelände auf etwa 60 markierten Gräbern Grabdenkmäler in einfachen neuzeitlichen Formen" errichtet.1

Zeichnung von Grabreihen
Zeichnung von Grabreihen mit Hinterpflanzung, wahrscheinlich als Planung für den ehemaligen Musterfriedhof. Archiv Förderkreis
Zeichnung eines Weges
Zeichnung eines Weges, wahrscheinlich als Planung für den ehemaligen Musterfriedhof. Archiv Förderkreis

Auch in Hamburg sollte also eine solche Musteranlage entstehen. Schon im September 1919 berichtete Linne der Friedhofsdeputation, dass die Baupflegekommission ein Preisausschreiben zur Erwerbung von Entwürfen für Grabdenkmäler veranstalten wolle. An dem Preisausschreiben beteiligten sich dreiundzwanzig Künstler. Auf Vorschlag des Hamburger Künstlerrates wurden ihre Entwürfe und Modelle im Verwaltungsgebäude des Friedhofs ausgestellt und durften später in der neuen Anlage aufgestellt werden. Für diese plante man zuerst einen Platz im alten Teil des Friedhofs, doch bald kam die Idee auf, alternativ einen Platz "im neuen Terrain, Nähe Mittel- und Krieger-Ehrenallee" zu wählen (Planquadrat Bl 52/53). Da man davon ausging, dass so kurz nach dem Ende des 1. Weltkrieges viele Angehörige die Gräber ihrer Gefallenen aufsuchten, war die Vorgabe des "starken Besuchs" dort eher gegeben als im Cordesteil.

Musterfriedhof 1
Plan aus den "Bepflanzungsvorschriften für die Grabstätten im Musterfriedhof" (BI 52-53). Archiv Förderkreis

Im März 1921 wurden "Bedingungen für die Zulassung von Grabmälern zur Ausstellung auf dem Musterfriedhof zu Ohlsdorf" erlassen, die bestimmten, dass "künstlerisch mustergültige Grabmale" aufgestellt werden sollten. Die Zulassung erhielten sie allerdings nur für ein Jahr und für ihre Errichtung und Unterhaltung hatten die jeweiligen Aufsteller zu sorgen. Für die Umrandung der Gräber wurde Granit vorgeschrieben. In den nicht einzusehenden Nischen des Feldes waren Granite in allen Bearbeitungen und Farben erlaubt, auf den anderen Grabstätten nur farbige oder helle Weichgesteine. Auf diese Weise wollte man einheitliche Grabmalgruppen erzielen. Zugelassen waren – gestaffelt nach Grabarten – unterschiedlich große stehende Steine, Steinkreuze, liegende Steine, Kissensteine, Urnen mit Standsockel, Holzkreuze, Holztafeln und Metallkreuze. Das dreieckige Feld des ehemaligen Musterfriedhofes wurde und wird heute noch im Norden entlang der Mittelallee durch eine Mauer aus alten Grabplatten begrenzt, die sogenannte Klagemauer. Der daran entlangführende Weg gehörte schon nicht mehr zum Musterfriedhof, der im Wesentlichen aus mehreren kleinen Bereichen mit Kopf-an-Kopf-Reihen und Nischen mit größeren Familiengräbern im Norden und Süden bestand. Wege und Grabstätten sind noch heute in ihrer ursprünglichen Form vorhanden.

ehem. Musterfriedhof
Blick von Westen auf den ehemaligen Musterfriedhof, 2018. Foto: B. Leisner

Ab Mai 1922 sollte der Musterfriedhof zur Beerdigung freigegeben werden. Gleichzeitig wurden die ausgewählten Grabsteine aufgestellt, so dass im Frühjahr die Anlage bepflanzt werden konnte. Dafür entwickelte Linne eigene "Bepflanzungsvorschriften", die vervielfältigt wurden. Am 14. August 1922 wurde der Musterfriedhof feierlich eröffnet. Die Ausstellung mit den Grabmalentwürfen im Verwaltungsgebäude wurde gleichzeitig um ein Jahr verlängert. Der Musterfriedhof bestand allerdings anscheinend nur kurze Zeit und wurde später von der Verwaltung wie ein normales Grabfeld behandelt. Heute ist die Hinterpflanzung der Gräber mit geschnittenen Hecken nur noch im östlichen Teil vorhanden. Die Hecken zwischen den Doppelgräbern sind vollständig verschwunden. Aus den 1920er Jahren sind nur noch zwei Grabmale in einer Nische am Südrand des Feldes vorhanden. Das Grabfeld ist wohl ab 1936 neu belegt worden, da auf den älteren Grabmalen als Todesdaten die Jahre von 1936 bis 1940 verzeichnet sind. Von den ehemals drei niedrigen Brunnen der Anlage ist nur noch einer erhalten.

Fam.Ernst
Grabmal der Familie Ernst im ehemaligen Musterfriedhof, aufgestellt für ein 1925 einjährig gestorbenes Kind, 2018. Foto: B. Leisner
histor. Brunnen
Historischer Brunnen im ehemaligen Musterfriedhof, 2018. Foto: B. Leisner

Linne versuchte aber nicht nur mit dem Musterfriedhof seine Vorstellungen eines reformierten Friedhofes, in dem Anlage und Grabmale miteinander harmonierten, in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ganz ohne Mitwirkung von Baupflegekommission und Künstlerrat plante der damals noch kommissarische Friedhofsdirektor schon 1922 einen zweiten Bereich – diesmal im Cordesteil – als "Grabfeld mit mustergültigen Grabmälern". In dem gerade abgeräumten Grabfeld (Planquadrate C-D 13-14) legte er die neuen Grabstätten nicht mehr in gleichmäßigen Reihen an, sondern an Wegen, die um eine zentrale rechteckige Fläche herumlaufen. Dabei hob er als Planungsidee hervor, dass "hier wertvolle Bäume des alten Bestandes in ihrer unregelmäßigen Stellung die Regelmäßigkeit der Aufteilung überschatten und in der Wirkung heben". Im Zentrum liegen zwei niedrige zwölfeckige Brunnen. Die Größe der Grabmale wurde so geplant, dass sie der von außen nach innen weiträumigeren Struktur des Feldes entsprachen, außen also höhere Stelen, weiter innen niedrigere und im Innenraum liegende Platten.

Linnes Plan
Linnes Plan für das Feld mit mustergültigen Grabmälern (C-D 13-14), 1923. Archiv Förderkreis
Linnes Modell
Foto von Linnes Modell des Feldes C-D 13-14, 1923. Archiv Förderkreis
Brunnen D14
Blick von Westen auf den Brunnen in D 14 zum Brunnen in D 13, der von dem Grabmal in der Mitte fast ganz verdeckt wird, 2018. Foto: B. Leisner
modernes Grabmal
Modernes Grabmal in C-D 13-14, 2018. Foto: B. Leisner

Wie im Musterfriedhof wurde das Feld erst, als die Gräber schon zum Teil belegt waren, mit Hecken bepflanzt. Den geplanten Zustand zeigt das nur noch in einem Foto erhaltene Modell von 1923. Die Grabmäler sollten "künstlerisch gut" gestaltet sein. Sie mussten erhaben beschriftet und mit Ornamenten geschmückt sein. Steine aus den Restbeständen der Grabmalfirmen aus der Zeit vor der Grabmalreform (sog. Lagerlisten-Steine) waren nicht zulässig. Die Vorschriften für Größe, Material und Grabmaltyp wurden jeweils direkt in jeden einzelnen Grabbrief eingestempelt. Die Grabmaltypen waren nach Grabarten aufgefächert, erlaubt waren sowohl liegende Platten wie breit- und hochrechteckige Stelen und Pfeiler mit ornamentaler Gestaltung. Die friedhofsinterne Denkmalpflege kümmerte sich schon früh um dieses Grabfeld und trug das Grabmal der Familie Petersen bereits 1924 in ihre Liste der erhaltenswerten Grabmale ein. Bei der Begehung in den 1980er Jahren zeigten die oberen Abschlüsse und die ornamentale Gestaltung der erhaltenen Grabmäler der 1920er, 1930er und 1940er Jahre einen großen Variantenreichtum in den Ornamenten und Bekrönungen.

Grabmalreihe
Erhaltene Grabmalreihe aus den 1920er Jahren im Feld C-D 13-14, 2018. Foto: B. Leisner

Noch heute sind in diesem Grabfeld relativ viele Grabmale aus den 1920er Jahren, sowie ein Teil der Heckenpflanzungen erhalten, so dass man bei einem Besuch einen gewissen Eindruck von der ehemaligen Gestaltung erhält. Allerdings scheint das Wissen, dass es sich bei dieser Anlage um ein besonderes Grabfeld handelt, in dem Otto Linne seine Vorstellungen eines neuen Friedhofs verwirklicht hat, weitgehend verloren zu sein. Schon ab 1961 wurden in der Mitte des Feldes niedrige breitgelagerte Stelen auf Grabstätten zugelassen, die nicht der ehemaligen Wegeführung entsprechen. Heute ist dadurch die Blickachse zwischen den beiden erhaltenen Brunnen verstellt.

Außerdem wird in dem Feld gegenwärtig erneut beerdigt. Dabei werden Grabmale aufgestellt, die zwar dem modernen Zeitgeschmack entsprechen, sich aber überhaupt nicht in das fragile Gefüge der noch vorhandenen, teilweise expressionistisch ausgeschmückten Stelen und Grabplatten einfügen, wenn man es einmal vorsichtig ausdrückt. Während vom ehemaligen Musterfriedhof nichts mehr erhalten ist, besitzt dieses Feld noch einem guten Grundbestand an historischen Grabmalen. Umso wichtiger ist es hier denkmalpflegerisch mit einer historisch begründeten Auflage für die Gestaltung neuer Grabmale einzugreifen. Sie müsste an die ehemaligen Vorschriften angepasst sein, so dass keine unpassenden neuen Grabmale mehr aufgestellt werden dürfen und die erheblichen Störungen mit der Zeit wieder zurückgebaut werden können. Nur so könnte hier ein Feld erhalten bleiben, das Linnes Zielsetzungen in würdiger Form auch für die Nachwelt erhält.

1 Joh. Balcke, Neuzeitliche Friedhofskunstbestrebungen in Linden-Hannover, in: Die Gartenkunst, 15, 1913, S. 90

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