Der Ohlsdorfer Friedhof ist, wie alle Friedhöfe, ein Ort der stillen Erholung. Aber was bedeutet eigentlich "stille Erholung" auf einem der größten Friedhöfe Europas? Einem Friedhof, der mit Autos befahren wird und den Buslinien durchqueren.
Friedhöfe haben grundsätzlich eine eigene Klangkulisse. Gedämpft dringen die Geräusche der geschäftigen Welt in den Friedhof. Die Menschen scheinen sich hier leiser zu bewegen, die Aufmerksamkeit für natürliche Laute ist erhöht und ihre Wahrnehmung sehr viel intensiver. Der Regengesang der Amsel, das laute zizzibäh zizzibäh der Kohlmeisen oder das Trommeln des Buntspechtes – alles scheint deutlicher wahrnehmbar und rührt uns unmittelbarer an. Es ist die besondere Atmosphäre dieses Ortes, die dies ermöglicht. Besonders die frühen Morgenstunden und die beginnende Dämmerung sind Zeiten, die das Loslösen vom Alltag mitten in der Stadt ermöglichen. Mit der Dämmerung kommen die Stimmen der Nacht, Eulen und Käuze, die natürlich zum schaurigen Grusel eines Friedhofes im Dunkeln gehören.
- Partie auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Foto: K. Hoppe
Was aber macht die Besonderheit Ohlsdorfs aus? Zum einen beeindruckt der Friedhof Ohlsdorf durch die schiere Größe mit rund 400 ha, ein solch großer unbebauter grüner Freiraum in einer ringsum dicht bebauten Großstadt schafft einzigartige Lebensbedingungen. Das Konzert der Vögel ist hier vielfältiger und vielstimmiger als auf kleineren Park- und Friedhofsflächen in der Stadt aufgestellt. Selbst die Eulen und Käuze sind hier artenreicher als üblich vertreten.
- Partie auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Foto: K. Hoppe
Der Anteil an reiner öffentlicher Grünfläche ist mit rund 50 % ist sehr viel höher als bei anderen Friedhöfen üblich. Dies stellt auch eine Herausforderung für den ohnehin knappen Pflegeetat für Grünflächenpflege der Stadt Hamburg dar. Bei insgesamt 3.000 ha öffentlicher Grünfläche in Hamburg ist dies ein nicht unerheblicher Anteil. Auch dass der Friedhof Ohlsdorf ein gartenkünstlerisch anspruchsvoll gestalteter Ort ist, ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Zwei Gartenkünstler, Wilhelm Cordes und Otto Linne, haben ihre Handschrift in Ohlsdorf hinterlassen, und die von ihnen erdachten Strukturen bilden noch heute den gestalterisch verbindlichen Rahmen. Während Cordes noch ganz dem geschwungenen Wegeideal des ausklingenden Ideals des Landschaftsgartens erlegen war, formte Linne die Raumstrukturen nach den klaren Geometrien der neuen Sachlichkeit. Trotzdem findet man auch streng formale Gartenteile im Cordes´schen Teil und im Linne´schen Teil stößt man unerwartet auf sehr romantische Situationen. Der unaufmerksame Besucher spürt die Übergänge zwischen beiden Bereichen kaum, so gut ist die Gartenkunst versteckt. Und doch spürt ein jeder Besucher, die besondere ästhetische Qualität des Ortes.
Die Gartenkunst ist eine lebendige Kunst. Was nach vielen Jahren daraus entsteht und was von den ursprünglichen Absichten ablesbar bleibt, ist täglichen Entscheidungen unterworfen. Welche Pflanzen gedeihen besonders gut, welche wachsen übers Ziel hinaus, welche werden geschnitten, bei welchen unterlässt man es? Welche Partien haben sich in ihrer Nutzung bewährt, welche nicht? Es sind also nicht zuletzt die täglichen Pflegeentscheidungen der Gärtner/innen, die das Aussehen des heutigen Gartenkunstwerkes Ohlsdorf prägen.
Nur eine qualifizierte Pflege vermag das gartenkünstlerische Denkmal Ohlsdorf zu bewahren. Ein professionell erstellter Pflegeplan muss dabei zur Richtschnur des langfristigen Handelns werden. Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist vonnöten, die Gartendenkmal, Ökologie, aber auch gleichberechtigt den betriebswirtschaftlichen Anforderungen eines Friedhofsbetriebes und knapper Pflegemittel in Ohlsdorf gerecht wird. Denn bei aller notwendigen Anpassung an heutige Bedürfnisse bleibt es Verpflichtung, den Friedhof Ohlsdorf als ein einzigartiges Gartendenkmal in Europa zu erhalten. In Anbetracht der nicht unerheblichen Unterhaltungskosten für das öffentliche Grün auf dem Friedhofsgelände stellt sich die Frage, ob dieser hohe Aufwand für eine derart weiträumige Grünfläche gerechtfertigt ist oder ob, über die stille Erholung hinaus, eine weitere Öffnung der Gesamtfläche für weitere intensivere Freizeitnutzungen stattfinden muss.
Sollen hastende Jogger auf neu auszuweisenden Laufstrecken den behäbigen Rhythmus des alten Wegenetzes ergänzen? Sollen neben Trauerfeiern auch Konzerte für junge Leute in den Kapellen stattfinden? Sollen Sonnenbadende auf ausgewiesenen Liegewiesen ihre Füße ins Wasser des Sees halten dürfen? Soll die stille Erholung um sehr viel aktivere Varianten der Freizeitgestaltung ergänzt werden? Ohlsdorf darf nicht seinen einmaligen Charakter verlieren. Den Rhythmus dieses Ortes zu zerstören, würde das Ganze gefährden. Neues muss sich dem Takt von Ohlsdorf anpassen. Schließlich hat der Friedhof Ohlsdorf eine einzigartige Aura, die durchaus schon heute an manchen Stellen leidet. Müsste es daher nicht vielleicht gerade ruhiger in Ohlsdorf werden? Sollte man weniger Straßen für Autos freigeben und die Zufahrt für Autos zeitlich stärker eingrenzen? Dadurch würde die Ruhe des Ortes inmitten der Stadt gestärkt. Der Trend zur Langsamkeit könnte als ein wohltuendes Gegengewicht zur Hektik der Großstadt die Bedeutung dieses Ortes stärken.
Man muss sich Gedanken machen, mehr Menschen an diesen Ort heranzuführen. Hamburgs kulturelles Potential ist enorm, dieses gilt es in seiner Vielfalt zu nutzen. Beispiele aus dem Ausland zeigen Möglichkeiten auf (z. B. das Wallprojekt von Andy Goldsworthy in der Nähe der Hudson Highlands). Ohlsdorf muss seine eigene Hamburger Antwort finden. Auch die ökologischen Potentiale sind sicher noch nicht ausgeschöpft. Vielleicht könnten Teile des Friedhofs Ohlsdorf als ökologische Ausgleichsflächen für städtebauliche Verdichtungen an anderer Stelle der Stadt dienen. Neue Ideen der Stadtgesellschaft müssen auch für Ohlsdorf diskutiert werden. In all diesen Überlegungen spielt das Parkpflegewerk eine zentrale Rolle. Ihm muss es gelingen, die manchmal auch widerstreitenden Belange zusammenzuführen und zu einer nachhaltigen und überzeugenden Strategie zu verbinden.
(Anm. der Redaktion: Der Autor ist Leiter des Amtes für Landes-
und Landschaftsplanung in der Umweltbehörde Hamburg)