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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Damals, beim Chinesen...

Fünf Jahre war ich Leiter des Ortsamtes Fuhlsbüttel und hätte diesen "Beritt" gegen keinen anderen in der Stadt tauschen mögen.

Aus Hamburger Sicht beherbergt der Ortsamtsbereich mindestens drei bekannte Einrichtungen, die für die ganze Stadt, aus sehr unterschiedlichen Gründen, sehr wichtig sind.

Den Flughafen kennt jeder und viele Fluggäste schätzen ihn, weil er so schön praktisch nicht weit von der City entfernt liegt. Wer freilich in Hörweite wohnt, erlebt auch die andere Seite der Medaille. Ganz in der Nähe des Flughafens liegen die beiden anderen Einrichtungen. Wolfgang Borchert nannte sie Hamburger "Endstationen": die Justizvollzugsanstalt und der Friedhof Ohlsdorf. Auch hier hat die Wahrnehmung etwas mit Distanz zu tun. Wer in Eilbek oder Eimsbüttel wohnt, kann sich nur mit Gänsehaut vorstellen, direkt neben einem "Knast" oder einem Friedhof zu leben. Vor Ort sieht man das anders: aufgeklärter, gelassener.

"Ohlsdorf" ist nicht nur der größte Parkfriedhof weit und breit. Er ist auch eine der schönsten, gepflegtesten und ehrwürdigsten Grünanlagen Hamburgs, Anziehungspunkt für unzählige Besucherinnen und Besucher, Trauernde und Hinterbliebene, Spaziergänger und Touristen, Natur- und Gartenliebhaber, Geschichts- und Kunstinteressierte. Ohlsdorf ist eine kleine "Stadt in der Stadt", die allerdings bei Einbruch der Dunkelheit von den Lebenden verlassen wird. Für das friedhofsnahe Gewerbe - Bestatter, Gärtner, Floristen, Steinmetze und Gastronomie - ist Ohlsdorf ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ohlsdorf hat mitunter auch ganz alltägliche Probleme, meistens Verkehrsprobleme. Der Friedhof als zeitsparende Abkürzungsstrecke, wenn ringsum der Stau herrscht, als attraktive Teststrecke für die neuesten Rollschuhe oder andere Ausgeburten der Sportartikelindustrie, garantiert schneller als jeder Trauerzug. Das weitverzweigte Straßennetz des Friedhofs hin und wieder als Idiotenhügel für illegale Fahrvorschüler, aber auch mitunter als Betätigungsfeld fieser Automarder. Müll und Kunststoffabfälle sind ein eher profanes Problem, verfallende alte Grabdenkmäler ein anderes. Aber alle Probleme entstehen durch das Tun oder Lassen der Lebenden.

Im Jahr 1989 sprach mich Dr. Barbara Leisner auf die Gründung eines "Förderkreises" für den Friedhof Ohlsdorf an. Das war und ist aus meiner Sicht eine gute Idee, weil ich davon überzeugt bin, daß die Potentiale aus ehrenamtlichen Engagement in allen gesellschaftlichen Bereichen noch viel stärker erschlossen und genutzt werden sollten. Das Ehrenamt hat in Hamburg eine lange Tradition, und die Stadt bzw. der Staat werden es, selbst wenn sie es wollten, nie entbehrlich machen können. Natürlich gibt es gewisse Unterschiede, ob man nun einen Förderverein für eine Freiwillige Feuerwehr, für ein Seniorenheim, eine Flüchtlingsunterkunft, einen Stadtteiltreffpunkt oder eben einen Friedhof auf die Beine stellen will. Aber es gibt auch viele Gemeinsamkeiten. Ich erinnere mich jedenfalls sehr gut an die Gründungsveranstaltung im Clubraum eines Restaurants genau gegenüber vom Friedhofshaupteingang. Daß es sich bei dem Lokal um einen "Chinesen" handelte, womit keiner der Vereingründerinnen und -gründer ein Problem hatte, spricht für eine pragmatische Herangehensweise. Und natürlich waren auch aktive Leute aus dem Stadtteil dabei, für die es selbstverständlich ist, auch neue Initiativen in das Netzwerk lokaler Aktivitäten zu integrieren und zu unterstützen. Und in Fuhlsbüttel, Ohlsdorf, Klein Borstel und Langenhorn funktioniert das vorzüglich.

Zehn Jahre später gehört der Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof zu den etablierten Organisationen im Stadtteil mit Wirkung weit über dessen Grenzen, auch die Grenzen der Stadt, hinaus. Es ist dem Förderkreis erfolgreich gelungen, die kulturhistorischen und gartenkünstlerischen Seiten des Friedhofs deutlich stärker in das öffentliche Bewußtsein zu rücken, unabhängig von den individuellen und sehr persönlichen Bezügen durch Trauer und Erinnerung. Menschen, denen Ohlsdorf seit vielen Jahren oder Jahrzehnten als der Friedhof vertraut ist, auf dem Angehörige, Freunde, Bekannte oder berufliche Weggefährten beigesetzt sind, entdecken zunehmend dessen Bedeutung als "Kunstwerk" und Ausdruck von Geschichte. Zu diesen Leuten zählte ich mich selbst und kenne auch viele andere. Dafür danke ich den kreativen Aktivisten und Unterstützern des Förderkreises. Der Förderkreis und die Friedhofsverwaltung bilden eine erfolgreiche Symbiose. Damals, beim "Chinesen", haben wir uns eine solche Entwicklung voller Optimismus erhofft. Heute, zehn Jahre später, können wir noch optimistischer in die Zukunft blicken.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft 10 Jahre Förderkreis (September 1999).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).