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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der lebendige Friedhof - Friedhöfe als Orte der Verbindung

Autor/in: Guus Sluiter
Ausgabe "Nr. 169, II, 2025" - Juni 2025

Friedhöfe haben sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. In der allgemeinen Wahrnehmung scheint das übrigens nicht so zu sein, denn im Laufe eines Menschenlebens sind schließlich nur wenige Veränderungen sichtbar. In Westeuropa kennen wir zum Beispiel Bestattungen in Kirchen, willkürliche Bestattungen auf Friedhöfen oder, im Gegensatz dazu, dichte Reihen einheitlicher Grabsteine, und wir kannten alle Arten von aufrecht stehenden Grabmalen in begrünten, intimen Friedhofskompartimenten.

Tot Zover, das Museum für Leben und Tod, ist in erster Linie eine kulturelle Einrichtung. Wir arbeiten mit dem (Grab-)Erbe, mit Kunst und Design, und wir ziehen ein kulturelles Publikum an. Zugleich bewegen wir uns in der Welt des Wissens, der Forschung und der Bildung. Wir betrachten Bestattungsrituale aus der kulturellen Perspektive. Aber wir beschäftigen uns auch mit Innovationen im Museumsbereich. Die Art und Weise wie Museen ihre Geschichten erzählen, verändert sich mit der Zeit. Es lohnt sich, Museen und Friedhöfe in dieser Hinsicht zu vergleichen. Museum Tot Zover war ursprünglich als Antiquitätenkammer gedacht. Als die Stiftung "Nederlands Uitvaartmuseum" 1990 gegründet wurde, bestand ihre Hauptintention darin, altes Material zu bewahren und das Bestattungsgewerbe zu beleuchten. Sobald aber im Jahr 2004 professionelles Personal mit modernem Museumsblick die Sammlung und - zum ersten Mal - auch das angestrebte Publikum in Augenschein nahm, erwies sich dieser Ansatz als unhaltbar. Ein Museum mit überregionaler Ausstrahlung musste an die Gegenwart anknüpfen und die erzählerische Kraft der zu präsentierenden Objekte in den Blick nehmen. So geschah es, und die ersten Jahre nach der Eröffnung im Dezember 2007 waren vor allem der Beginn eines langen und kontinuierlichen Lernprozesses. Dieser Lernprozess dauert immer noch an.

Es ist sehr wichtig festzuhalten, dass gerade thematisch gestaltete Museen in die Gesellschaft der jeweiligen Zeit passen müssen. Während man bis etwa zum Jahr 2000 davon ausging, dass eine permanente Museumspräsentation zwanzig Jahre lang Bestand hat, verändert sich die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ständig und die Museen müssen sich dieser Dynamik anpassen. Diese Anpassung findet auf vielen Ebenen statt, z. B. in Bezug auf die gewählten Museumsthemen, die Objekte, die Texte, die Perspektiven innerhalb dieser Texte, den Einsatz von Audio, Bild und sozialen Medien, den Grad der Beteiligung der Öffentlichkeit, die Gemeinschaftsbildung und so weiter und so fort.
Ein Teil unseres ursprünglichen Namens - Nederlands Uitvaartmuseum (Niederländisches Bestattungsmuseum) - wurde vor Kurzem gestrichen. Dieser Name war, wie oben gezeigt, nicht ausreichend, und das Bild passte nicht zu unserem Kurs. 'Tot Zover', auf Deutsch 'bis jetzt', ist faszinierend und durfte bleiben. Seit 2024 lautet der Name Tot Zover, Museum über Leben und Tod.

You are not the audience

Tot Zover präsentiert sich nicht als allwissender Erzähler. Natürlich gibt es beschreibende Texte in den temporären Ausstellungen und in der Dauerausstellung (es gibt schließlich immer noch ein Informationsbedürfnis bei den Besuchern), aber weniger als früher. Persönliche Geschichten sind wichtiger geworden, und dadurch fühlen sich die Menschen berührt. Mit diesem persönlichen Ansatz haben wir 2015 mit unserer Ausstellung zur Post-Mortem-Fotografie begonnen. Nur Fotos aus dem neunzehnten Jahrhundert haben wir nicht berücksichtigt, dazu ist die Distanz zu groß. Wir baten
Abschiedsfotografen um zeitgenössische Fotos und interviewten die Familien der porträtierten Verstorbenen. Daraus entstanden kurze, bewegende Textfragmente.


Boukje Canaan, Eefje Snelders (2013-2013) mit ihrer Mutter Ellen, ihrem Vater Sjors und ihrer Schwester Lise, Digitalfoto, 2013. "Das ist das einzige Foto, auf dem wir mit der ganzen Familie zu sehen sind. Ich bin so stolz auf diesen Moment, wir waren komplett. Lise hat ihre Schwester hier zum ersten Mal gesehen. Eef scheint wie ein zerbrechliches Geschenk verpackt zu sein. Ich war 23 Wochen und sechs Tage mit ihr schwanger. Wenn Fremde mich fragen, wie viele Kinder ich habe, fällt mir die Antwort schwer. Auf der einen Seite bin ich so stolz auf meine beiden Töchter. Andererseits bleibt Eef- jes Tod ein heikles Thema. Für ihre Schwester Lise ist Eefje ein Stern im Himmel. Manchmal sprechen wir vor dem Schlafengehen über sie. Dann sage ich zu Lise: 'Wenn wir uns nachts die Sterne ansehen, zwinkert immer einer zurück'. So fühlt es sich wirklich an." Aus dem Interview mit Ellen Snelders-van der Pol, Mutter von Eefje Snelders (1)

Nicht mehr nur das Museum sendet, sondern auch die Besucher dürfen sich beteiligen. Die meisten Ausstellungen bieten die Möglichkeit zur Beteiligung der Öffentlichkeit. Für die Ausstellung "Ein schmackhafter Tod - Was essen wir bei Abschied und Trauer" wurde ein Kunstwerk mit eingereichten Objekten und Geschichten aus der Öffentlichkeit geschaffen. Und während der Ausstellung konnten die
Besucherinnen und Besucher eintragen, woraus ihre letzte Mahlzeit bestehen sollte. Andere Besucher konnten dies dann lesen. Die Zahl der ausgefüllten "Speisekarten" - mit Motivation - war immens. Es entstand ein echtes Engagement. Als Museum ist es wichtig, sich ständig an die sich verändernden Bedürfnisse der Gesellschaft anzupassen. Eine wichtige Lektion ist heutzutage, dass man ein gutes Verständnis dafür haben muss, was das Zielpublikum will, denn: you are not the audience. Dies ist bereits ein gängiges Mantra im niederländischen Museumssektor. Gilt das auch für Friedhöfe?


Was ist Ihre letzte Mahlzeit? Teil der Ausstellung "Ein schmackhafter Tod" im Museum Tot Zover, Amsterdam, 2023-2024 (Foto: Peter Lange) (2)

Der nachhaltige Friedhof

Sehen wir auch Friedhöfe, die mit dem Zeitgeist gehen? Friedhofsverwalter sprechen oft von Kernaufgaben, und das sind dann die Bestattung selbst und die Pflege der Grünanlagen. Dafür haben sie in der Regel auch das nötige Budget. Wenn vom kulturellen Wert der Friedhöfe die Rede ist, geht es meist um das alte Bestattungserbe, die historischen Grabsteine, die Denkmäler von Ikonen vergangener Zeiten. Das ist ein sehr wichtiger Wert, darüber braucht man nicht zu streiten, aber wie sieht es heute aus?
In den Niederlanden sind die Friedhöfe offener geworden, das steht fest. Der Friedhof des 19. Jahrhunderts war ein romantischer Landschaftsgarten, der außerhalb des bebauten Gebiets lag und durch Gräben, Mauern, Zäune und dichte Vegetation abgetrennt war. Die Städte sind um ihn herum gewachsen und haben sich die Friedhöfe in gewisser Weise einverleibt. Aber das Gegenteil ist nicht der Fall.
Diese Zuneigung wurde nicht erwidert; Friedhöfe bleiben isolierte, abgeschlossene Orte. Doch die Gesellschaft - vielleicht individualisiert, aber auch mit einem Hang zu gemeinsamen Erlebnissen - beginnt, andere Bedürfnisse zu haben. Ist es nicht schade, dass Friedhöfe, grüne Oasen in der versteinerten Stadt, nicht für mehr Zwecke genutzt werden? Kollektive Gedenkfeiern werden immer beliebter. Wir lieben heutzutage gemeinsame Erlebnisse. In den Niederlanden begann der Amsterdamer Friedhof De Nieuwe Ooster 2005 mit groß angelegten jährlichen Feierlichkeiten zu Allerseelen. Künstler waren beteiligt, es gab Musik und Tausende von Besuchern kamen. Diese Feier wurde in- zwischen verkleinert und findet nun tagsüber statt, nicht mehr am Abend. Andere Friedhöfe veranstalten nach wie vor solche Gedenkfeiern. Und es gibt Führungen, manchmal Konzerte und auf einigen Friedhöfen auch Audioführungen. Dennoch: Die Innovation droht zu stocken.

Trendwende

Im Jahr 2020 wurde ein interessanter Bericht veröffentlicht, der von Mariska Over- man und Rob Bruntink vom Büro MORBidee im Auftrag der niederländischen Friedhofsorganisation verfasst wurde.2 Die Autoren führten umfangreiche Untersuchungen durch und erstellten eine SWOT-Analyse.3

Als größte Schwäche und Bedrohung stellte sich heraus, dass die Friedhöfe nicht kundenorientiert genug sind, und darin liegt auch die größte Chance. Zumal die Stärke von Friedhöfen darin liegt, dass sie
physische Gedenkstätten, grüne Oasen und natürlich auch Orte der Ruhe und Besinnung sind.
Sehr klug verweisen die Autoren auf die Trendwende bei den öffentlichen Bibliotheken. Seit Jahren lasen die Menschen immer weniger und die Mitgliederzahlen waren stark rückläufig. Zweigstellen wurden geschlossen. Anstatt stur an ihrer Kernaufgabe (dem Ausleihen von Büchern) festzuhalten, wandelten sich die Bibliotheken zu multifunktionalen Orten, an denen Aktivitäten organisiert werden, Debatten und
Ausstellungen stattfinden und Menschen zusammenkommen. Heute ist die große Amsterdamer Bibliothek am Oosterdok ein lebendiger und inspirierender Ort. Die Bibliothek LocHal in Tilburg ist ein weiteres gutes Beispiel für ein großes lebendiges Labor. Der LOB-Bericht kommt zu der folgenden Definition:
Der Friedhof der Zukunft ist eine einladende, multifunktionale Umgebung. Hier werden verstorbene Menschen begraben oder ihre Asche beigesetzt. Dieser Ort wird von Menschen besucht, die der Verstorbenen gedenken, sich an den natürlichen und/ oder historischen Werten erfreuen, an Aktivitäten teilnehmen, die dem Gedenken gewidmet sind und/oder über Tod und Trauer diskutieren.
Es folgt eine breite Palette von Empfehlungen. Manches können die Friedhofsverwaltungen leicht selbst umsetzen. Aber es braucht auch ein Bewusstsein der Kommunen, dass die eigentliche Kernaufgabe eines Friedhofs darin besteht, dass Menschen dort ihrer Verstorbenen gedenken und dass der Friedhof ein Ort ist, an dem Menschen Ruhe und Erholung finden. Bei der Nachhaltigkeit geht es oft um Klima, erneuerbare Energien und die Vermeidung von unnötigem Abfall. Wenn es um Friedhöfe geht, denkt man dann vor allem an ökologisches Grünmanagement. Bei der Nachhaltigkeit geht es aber auch darum, dass es Friedhöfe überhaupt noch gibt und dass sie bedeutend genug sind, um den Flächenverbrauch in modernen, bebauten Städten zu rechtfertigen. Mit der Popularität der Feuerbestattung ist der Betrieb von Friedhöfen seit einiger Zeit unter Druck geraten. Die Aufwertung des Ortes und die Diversifizierung seiner Funktionen sollten sichergestellt werden: Sie sollten sich nicht nur auf die Aufbewahrung von Leichen und Asche beschränken, sondern auch eine grüne Funktion haben, da sie für die biologische Vielfalt und die Wasserwirtschaft wichtig sind. Fügen Sie die Funktion von Orten der Ruhe und der Verbindung hinzu. Und warum nicht auch für die Freizeitgestaltung? Viele Möglichkeiten liegen gerade in den sozialen Aspekten.


Nathalie Bruys, Portal Machine (Außenansicht), 2011 (hergestellt für die Ausstellung Afterlife, Museum Tot Zover/De Nieuwe Ooster, 2011–2012; Fotos: Teo Krijgsman)

Nathalie Bruys, Portal Machine (Innenansicht), 2011 (Foto: Teo Krijgsman)

Wenn es in der Nähe eine große türkische oder Roma-Gemeinschaft gibt, könnte man als Friedhof vielleicht etwas gemeinsam mit diesem Gemeinschaften organisieren - nicht für, sondern mit Gruppen aus der Nachbarschaft. Erkunden Sie die Grenzen und lassen Sie die Angst vor negativen Reaktionen nicht zum Maßstab werden.
Vielleicht ist ein Metal-Gedenkkonzert in der Feierhalle gar keine schlechte Idee, vielleicht ist eine leichte klassische Aufführung für viele Verwalter naheliegender. Überlegen Sie außerdem genau, was Kunst tun kann, um die Besucher zum Nachdenken anzuregen oder ihnen Trost zu spenden. Gegen Gedenkwände ist nichts einzuwenden, aber Kunst kann mehr Bedeutung haben, wie wir bei der von Tot Zover in den Jahren 2011 und 2012 organisierten Ausstellung "Afterlife" gesehen haben. Diese Ausstellung zeigte Spitzenkunst sowohl im Museum als auch auf dem Friedhof De Nieuwe Ooster. Es gab viel zu erleben und die "Portal Machine" von Nathalie Bruys kann als Beispiel dienen.
In dieser futuristischen Maschine konnten die Besucher sitzen und Klangschalen lauschen, die auf eine bestimmte Frequenz gestimmt waren und sie in Kontakt mit anderen Dimensionen brachten. An diesen aufgeladenen Orten wirkte es wie eine Meditation, und viele Menschen hatten das Gefühl, für eine Weile bei ihren verstorbenen Angehörigen zu sein.
Die Friedhöfe könnten sich vom kulturellen Bereich inspirieren lassen. Verschiedene Gruppen einbeziehen. Trauen Sie sich und akzeptieren Sie, dass auch andere Einfluss haben. Betrachten Sie den Friedhof nicht als "steinernes Archiv", sondern als einen lebendigen Ort mit Geschichten, die dauerhaft inspirieren. Stellen Sie sicher, dass diese Geschichten den ganzen Reichtum der Umgebung umfassen und nicht nur die Verwalter von gestern. Finden Sie die Verbindung.

Anmerkungen:

1 Dieser Artikel ist eine mit Hilfe von DeepL übersetzte, gekürzte und leicht angepasste Fassung von:
„Der lebendige Friedhof. Friedhöfe als Orte der Verbindung“, in: Tamara Ingels und Joeri Mertens
(Hrsg.), Memento Mori III. Der nachhaltige Friedhof, Gent (Owl Press) 2024, S. 84-90
2 M. Overman, R. Bruntink, De begraafplaats van de toekomst. Van hoofd naar hart, s.l. 2020 (Onder-
zoek in opdracht van de Landelijke Organisatie van Begraafplaatsen)
3 SWOT steht für Strengths (Stärken), Weakness (Schwächen), Opportunities (Chancen), Threats (Risi-
ken)-Analyse.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Kultur auf dem Friedhof II (Juni 2025).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2025).