"Der Friedhof lebt!" lautete vor einigen Jahren der sehr eingängiger Slogan für eine Art Charmeoffensive, die den Punkt traf: die Friedhöfe als Orte des Lebens feiern, als Orte der Begegnung, als großartige Naturorte. In Zeiten, in denen Bestattungskultur von vielen Menschen mit anonymen Rasen-Gräbern verbunden wird und in denen Bestattungswälder immer stärker nachgefragt werden, ist es notwendig, den Menschen die großartigen Möglichkeiten von Friedhöfen in ihrer ganzen Vielschichtigkeit nahezubringen; zu zeigen, wie großartig und wie wichtig Trauerkultur einmal gewesen war.
Dies kann aber nur erreicht werden, wenn es professionell durch eine gut organisierte Öffentlichkeitsarbeit betrieben wird. Die Zwölf-Apostel-Kirchhöfe in Berlin Schöneberg gehören zu den wenigen Friedhöfen, die schon seit Jahren mit einer Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit arbeiten. Darüber soll hier erzählt werden.
Wie funktioniert so eine Öffentlichkeitsarbeit für Friedhöfe? Oberstes Ziel sollte es sein, Menschen auch jenseits von Bestattungen und Trauerfeiern auf die Friedhöfe einzuladen. Friedhöfe sind Orte der Trauer, aber sie sind auch Orte der Begegnung. Diese Begegnungsmöglichkeiten müssen organisiert und mit Leben erfüllt werden.
Welche Angebote können gemacht werden, um Menschen auf die Friedhöfe einzuladen, um Menschen zusammenzubringen? Das klassische Angebot auf unseren Friedhöfen sind die kulturhistorischen Führungen. Dabei soll an wichtige Persönlichkeiten erinnert werden, die auf dem Friedhof ihre letzte Ruhe gefunden haben.

Das können Prominente sein, wie die Brüder Grimm auf unserem Alten St.-Matthäus-Kirchhof. Aber genauso wichtig ist, es an Persönlichkeiten zu erinnern, die oft zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind. Und ganz besonders wichtig ist es, an Frauen-Persönlichkeiten zu erinnern, die viel öfter in Vergessenheit geraten sind als Männer. Auf unserem Alten St.-Matthäus-Kirchhof gibt es 50 Ehrengräber, von de-
nen sind nur drei für Frauen gewidmet. Hier gibt es noch viel nachzuholen! Dieser Missstand regte uns vor einigen Jahren auch an, das Thema "Frauen in der Trauerkultur" zu thematisieren. So entstand eine Veranstaltung, bei der es um die Frage ging: Unterscheiden sich eigentlich Trauerfeiern für Männer von der von Frauen? Natürlich! Das zeigt sich bei den Trauerreden, das zeigt sich sehr oft bei dem unterschiedlichen Aufwand für eine Trauerfeier und das zeigt sich besonders stark bei der Auswahl der Trauerlieder. So bekommen Männer sehr oft das Lied "I did it my Way". Bei Beisetzung für Frauen wird dieses Lied nie gespielt. Als ob Frauen nie ihren eigenen Weg gegangen seien... Frauen bekommen eher als Trauerlied "Candle in the Wind", ein Titel, der bei einer Trauerfeier für einen Mann wohl als eine Provokation verstanden würde. Die Veranstaltung "Trauerkultur für Männer vs. Frauen" war so erfolgreich, dass sie sogar nach Hamburg Ohlsdorf eingeladen wurde.
Das Frauen-Thema begegnet einem bei jeder Führung über den Friedhof. So gibt es für Frauen die sonderbaren "Muttigräber". Auf den Grabsteinen stehen dann nicht etwa ihre Namen und Lebensdaten. Offensichtlich reicht für eine Frau ihre Existenz als Mutter, um an Sie zu erinnern. "Vatigräber" hingegen findet man fast nie. Bei Männern wird eher der erfolgreiche berufliche Werdegang in Stein gemeißelt.
Eine weitere wichtige Aufgabe der kulturhistorischen Führungen ist es, den Menschen, die historischen Bauwerke des Friedhofs, wie Wandgräber oder Mausoleen, näherzubringen. Dabei gilt es, auch auf kleine Details aufmerksam zu machen, zum Beispiel die eisernen Mohnkapseln an vielen historischen Einzäunungen, die ein Zeichen für den ewigen Schlaf darstellen. Höhepunkt vieler Führungen ist dann der Besuch im Inneren eines Mausoleums. Auf unserem Alten St.-Matthäus-Kirchhof ist der Abstieg in das Innere des prunkvollen Mausoleums der Meierei-Familie Bolle jedes Mal ein etwas ganz Besonderes. Diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete Grabanlage war das erste Mausoleum Deutschlands, das innen mit einer elektrischen Beleuchtung ausgestattet war. Daran erinnern wir bei Führungen, indem das Mausoleum jedes Mal mit Kerzen stimmungsvoll illuminiert wird.
Ein ganz wichtiges Thema ist es, die Friedhöfe als großartige Naturorte erlebbar zu machen. Vogelbeobachtungen oder Pflanzenführungen sind dazu geeignete Mittel. Sehr gut nachgefragt waren bei uns in den letzten Jahren auch immer wieder die Fledermausführungen. Sieben verschiedene Fledermausarten konnten wir auf einem unserer Friedhöfe zählen. Die Tiere lieben das bei Nacht abgedunkelte Biotop inmitten der Großstadt. Und da es bei uns auf unseren Friedhöfen Bienenstöcke gibt, sind die Veranstaltungen der Imkerin alljährlich ein echtes Highlight. Und natürlich kann dabei auch der auf dem Friedhof entstandene Honig erworben werden.

Eine sehr erfolgreiche Idee, um Menschen auf unsere Friedhöfe einzuladen, hatten wir vor zwei Jahren. Wir stellten ein witterungsfestes Regal in eines unserer historischen Mausoleen und fühlten es
mit gebrauchten Büchern. Die so entstandene Bücher-Austauschstation erfreut sich seither großer Be-
liebtheit und lockt viele Menschen an. Der Vorteil dieses Angebotes: Die Menschen entnehmen die Bücher aus dem Regal und können sie gleich auf einer der zahlreichen Friedhofsbänke lesen. Unser Alter
Zwölf-Apostel-Kirchhof hat sich so in den letzten Jahren auch als eine Oase der Entspannung etabliert.
Viele Menschen, die in den umliegenden Betrieben arbeiten, nutzen den Friedhof für ihre tägliche Pause. Wichtige Termine für die Öffentlichkeitsarbeit sind die alljährlichen stattfindenden überregionalen Initiativen, die Denkmalschutz und Friedhofskultur den Menschen nahebringen sollen. Da ist zum einen der "Tag des offenen Denkmals", der die Möglichkeit bietet, einem breiten Publikum die kulturhistorischen Schätze der Friedhöfe zu zeigen. Das andere wichtige alljährlich wiederkehrende Ereignis ist "Der Tag des Friedhofs". Wir haben ihn in den letzten Jahren dreimal auf unseren Friedhöfen für Berlin ausgerichtet. Die Vorbereitungen zu diesem Ereignis erfordern einigen Aufwand aber es ist großartig, dann an diesem Tag einen mit Menschen überfüllten Friedhof zu sehen und mit den Menschen über den die Themen Friedhof und Trauerkultur ins Gespräch zu kommen. Einen ganz besonderen "Tag des Friedhofs" hatten wir im letzten Jahr auf unserem Neuen Zwölf-Apostel-Kirchhof ausgerichtet. Auf diesem Friedhof führen wir seit 2015 vor allem Bestattungen nach muslimischem Ritus durch. Dieser "Tag des Friedhofs" führte Menschen zusammen, die vielleicht sonst nie ins Gespräch gekommen wären.

Für einen lebendigen Friedhof ist es ganz wichtig, sich zu öffnen, Veranstaltungsort zu werden für verschiedene Initiativen und Projekte. So haben wir mehrfach mit Studierenden verschiedener Hochschulen Pop-up-Ausstellungen im Freien durchgeführt, bei denen die Studierenden sich in kreativer Weise mit Friedhofsthemen auseinandergesetzt haben. Auch diese Projekte haben viel Aufmerksamkeit vor allem bei jungen Menschen erzielt, die die großartigen Möglichkeiten der Friedhöfe erkannten.


Welches große Potenzial Friedhöfe in der öffentlichen Wahrnehmung haben, konnten wir im letzten Jahr beobachten. Wir hatten auf dem Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof ein Jubiläum zu feiern: 160 Jahre gibt es diesen Friedhof. Als Höhepunkt dieses Jubiläumsjahres haben wir eine Friedhofsnacht organisiert, die
nach Sonnenuntergang begann. Wir hatten auf dem Friedhof, den wir kunstvoll illuminiert hatten, Führungen vorbereitet, es gab ein Konzert in einem Mausoleum und weitere Musikdarbietungen, im Garten der Kleinen Ewigkeit fand ein Poetry Slam zum Thema Trauerkultur statt, eine Feuerkünstlerin trat auf und an stimmungsvoll beleuchteten Statuen wurden von einer Schauspielerin Texte gelesen, die sich um Engel drehten. Studierende der Freien Universität boten eine Nacht-Natur-Führung an und begannen den Abend in der Dämmerung mit einer Fledermausführung. Für Essen und Trinken war gesorgt.


Gerechnet hatten wir mit etwa 150 Besuchern, was schon ein guter Erfolg gewesen wäre. Als die Veranstaltung begann, bildeten sich meterlange Schlangen an unseren Eingangstoren, die nicht kürzer wurden. Am Ende zählten wir über 900 Besucherinnen und Besucher in dieser magischen Nacht. Der Friedhof lebte!