Wenn ich interessierten Menschen vom Friedhof Forum in Zürich erzählen soll, muss ich meist weit ausholen und in die Geschichte des Zürcher Bestattungswesen zurückgreifen, in die Stadtentwicklung der letzten 150 Jahre, die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte und Vergleiche im nahen Ausland beiziehen.
Dies möchte ich hier - schon aus Platzgründen! - weitgehendst unterlassen, da ich Sie nicht schon zu Beginn meines Artikels mit einem Geschichtsexkurs abschrecken möchte. Hier soll vor allem vom Friedhof Forum als Kulturinstitution die Rede sein, und so möchte ich auch gleich damit beginnen:

Wieso braucht es ein Friedhof Forum - und zwar überall?
Das Friedhof Forum ist eine Institution des Zürcher Bevölkerungsamtes. Es hat die Aufgabe, den Tod als Thema in die Bevölkerung zu tragen, und zwar mit kulturellen Hilfsmitteln, wie der Literatur, der bildenden Kunst, des Theaters, des Tanzes und natürlich auch der Musik. Dies machen wir überkonfessionell und breit abgestützt, pietät- und rücksichtsvoll, geistig offen und durchlässig, mutig, liebevoll und unbeschwert. Denn wir behandeln ja sehr sensible Themen, die bei Menschen oft auch Angst und Unbehagen auslösen. Dem müssen wir natürlich Rechnung tragen. Ich bin der Meinung, dass der Tod zwar nicht gesellschaftlich tabuisiert, jedoch gerne etwas verdrängt wird. Was an sich absurd ist, denn wir sind ständig mit dem Sterben, dem Tod konfrontiert. Wenn auch nicht persönlich als Betroffene, dann doch häufig in Krimis oder in Filmen, in Games oder in den Nachrichten: Es wird überall in großem Stil gestorben. Dennoch mögen wir die ständige Anwesenheit des Todes nicht sonderlich, erinnert er uns doch andauernd an unsere eigene Vergänglichkeit.
Gerne vergleiche ich das Friedhof Forum mit dem Museum für Sepulkralkultur in Kassel oder dem Museum Tod Zover in Amsterdam: Auch sie forschen und vermitteln, sammeln und stellen aus, suchen den Kontakt und den Dialog mit den Menschen und können so das Thema Tod auf Augenhöhe verhandeln helfen. Natürlich sind wir viel kleiner als unsere großen Schwestern im Ausland. Aber nicht minder ideenreich!
Seit 2013 gibt es unsere kleine Institution bereits. Gelegen im Eingangsportal des größten Friedhofs von Zürich, dem Friedhof Sihlfeld, gestalten wir jährlich eine große, aufwändige Themenausstellung und veranstalten das ganze Jahr über diverse kulturelle Anlässe. Dies in unseren eigenen Räumen und der kleinen Theaterbühne im Keller unseres 1877 erbauten Gebäudes, oder auch in der Kapelle A, wo sich vor 1933 das erste Krematorium der Schweiz, das dritte in Europa, befand, das 1889 erbaut wurde. Daneben veranstalten wir auch im "Alten Krematorium Sihlfeld" (erbaut 1915) Theaterstücke, Chorkonzerte oder auch den jährlichen "Dia de los Muertes", das mexikanische Totenfest. Grundsätzlich könnten wir auf allen der 19 Zürcher Friedhöfe Veranstaltungen oder Ausstellungen organisieren - allein, es fehlt uns hier schlicht die Zeit, das Geld und auch das Personal. So beschränken wir uns meist auf
den Friedhof Sihlfeld.
Jährlich eine große Ausstellung
Um die Menschen zu uns zu locken, haben sich jährlich wechselnde Ausstellungen als hilfreich erwiesen. So kommen wir auch direkt mit den Menschen ins Gespräch. Unsere derzeitige Ausstellung "Trauern. Wenn Raum und Zeit verloren gehen" nähert sich der Trauer auf sinnliche Weise. Gezeigt werden Werke Schweizer Keramik- und Textilkünstlerinnen, zu lesen gibt es eigens für uns geschriebene Texte der
deutschen Philosophin Susanne Schmettkamp. Sie selbst hat vor zwei Jahren ihren kleinen Sohn bei einem Verkehrsunfall verloren und schreibt darüber herzzerreißend, einerseits aus dem Blickwinkel der trauernden Mutter, andererseits aus dem der Philosophin. Die Ausstellung wird begleitet durch drei speziell für die Ausstellung gestaltete Zeitungen mit dem Namen #danach, die gratis abgegeben werden.

Im Jahr davor versuchten wir den Tod in der Popmusik zu ergründen und anhand von exemplarischen Künstlerinnen und Künstlern deren Umgang mit der eigenen Endlichkeit zu zeigen. Hierzu präsentierten wir Werke von namhaften Künstlerinnen und Künstlern, wie u. a. den Fotografen und Filmemacher Anton
Corbijn, zeigten Skulpturen von Thomas Scheibitz oder Bettina Scholz und veranstalteten begleitende Talks und Konzerte.
"You Want It Darker - Songs über den nahenden Tod" hieß die Ausstellung und zog sehr viele Besucher*innen auf den Friedhof Sihlfeld zu uns ins Friedhof Forum.
Neben unseren jährlichen Ausstellungen ermöglichen wir es jungen Zürcher Kunstschaffenden auch in den wenig genutzten Räumen anderer Friedhofsgebäude ihre Werke auszustellen.




Kulturveranstaltungen
Eine wichtige Vermittlungsarbeit leisten wir mit Lesungen und Buchvernissagen. Da wir auch eine kleine Buchhandlung betreiben, liegt es nahe, sich auch literarisch dem Thema Tod zu widmen. Die Lesungen sind jeweils sehr gut besucht. Wie hier die letzte Lesung der Schweizer Schriftstellerin Ruth Schweikert (1964-2023).


Audiowalks über den Friedhof
Den Friedhof erlebbar zu machen: Das versuchen wir mit eigens kreierten Audiowalks über die Friedhöfe Sihlfeld und Manegg. Über 50 Minuten werden die Besucherinnen und Besucher über den Friedhof geführt und erfahren Historisches, aber auch Praktisches rund um das Leben auf dem Friedhof. Hören Sie doch mal rein: Du und Deine Ewigkeit – Audiowalk Friedhof Sihlfeld | Friedhof Forum (https://www.
stadt-zuerich.ch/friedhofforum/de/audiowalk/friedhof-sihlfeld.html).

Kooperationen mit anderen Kultureinrichtungen
Das Alleinsein ist nicht nur im Privatleben schwierig, auch geschäftlich macht es oft mehr Sinn, sich mit anderen, meist stärkeren Institutionen zu verbünden. Eng arbeiten wir mit dem Literaturhaus Zürich, dem Landesmuseum und anderen Zürcher Museen zusammen und veranstalten gemeinsam Lesungen oder auch Ausstellungen.
Soziale Medien, Fluch und Segen
Facebook, Instagram, TikTok und YouTube: für viele die Geißeln der Menschheit. In einer Zeit, in der die klassische Kulturberichterstattung in den Medien stetig abnimmt, können Soziale Medien jedoch enorm helfen, den Bekanntheitsgrad beim Publikum zu erhöhen. Unsere Kanäle werden sehr gut besucht und vor allem Clips mit geschichtlichen Themen, aber auch Stories aus dem Bestattungswesen kommen
enorm gut an und führen zu einem höheren Bekanntheitsgrad unserer Institution.
In Zukunft - brauchen wir noch Friedhöfe?
Friedhöfe sind seit vielen Jahrzehnten am Sterben. Gerade mal 20 Prozent Belegung verzeichnen wir hier auf dem Friedhof Sihlfeld, über ganz Zürich betrachtet sind es gerade mal noch 30 Prozent. Da wir - im Gegensatz zu Deutschland - in der Schweiz keine Friedhofspflicht mehr kennen, nimmt die Zahl der Bestattungen auf den städtischen Friedhöfen stetig ab. Keine Friedhofspflicht bedeutet, dass die Asche einer verstorbenen Person nicht mehr auf einem Friedhof beigesetzt werden muss, sondern auch in den Bergen oder dem See verstreut werden darf. Gut 90 Prozent der Menschen in Zürich lassen sich kremieren und immer mehr Menschen machen davon Gebrauch, die Asche irgendwo zu verstreuen oder auch zuhause aufzubewahren. Dies führt zu einer langsamen Entleerung der Friedhöfe. In Zürich werden zudem jährlich über 3000 Gräber aufgehoben, was die Sache zusätzlich beschleunigt.
Friedhöfe sind jedoch auch Kulturgut und enorm wichtig für die Identität einer Stadt. Auch bieten sie Lebensräume für Tiere und Pflanzen und sorgen für mehr Biodiversität, aber auch nachweislich für ein besseres Stadtklima. Zudem: Wer weiß, wie sich die Gesellschaft in Zukunft entwickeln wird?
Vielleicht wird es in naher Zukunft wieder ganz normal sein, dass man seine Liebsten auf einem der schönen Friedhöfe bestattet, regelmäßig besucht und sich ihrer erinnert. Ein Wandel muss ja nicht immer nur in eine negative Richtung gehen.
Und so bin ich zuversichtlich, dass Friedhöfe auch in Zukunft eine große Rolle im Leben der Menschen spielen werden. Vielleicht nicht mehr nur als Orte, wo die Toten bestattet liegen, sondern auch als Orte der Kontemplation, der Einkehr, der Ruhe - aber auch der sinnvollen Unterhaltung und kulturellen Beschäftigung. Wir müssen lernen, den Friedhof weiter zu denken. Kulturangebote helfen dabei