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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Berlins Friedhöfe als Lebensraum für Schnecken

Zahlreiche Landschnecken finden auf den Berliner Friedhöfen Lebensraum mitten in der Stadt. Im Projekt "Leben zwischen Gräbern" wird nun ihre Artenvielfalt erforscht.

Eine zitronengelbe Bänder­schnecke ruht auf einem Grabstein und unter dichtem Efeu erbeutet eine Glanzschnecke eine junge Nacktschnecke, während aus einer Ritze in der Friedhofsmauer ein gemusterter Tigerschnegel hervorkriecht. So wie zahllose andere Wildtiere auf den Friedhöfen Berlins Lebensraum inmitten der Stadt finden, sind auch viele Landschnecken an diesen Orten zuhause.


Oft verbergen unter Laub lebt die räuberische Große Glanzschnecke (Oxychilus draparnaudi; Fotos 1-5 in diesem Beitrag: Katharina C. M. von Oheimb). (1)

Friedhöfe bieten ein Mosaik verschiedener Habitate, die mal ein aufgeräumtes, mal ein romantisch-verwildertes Erscheinungsbild abgeben. Grabsteine, Mausoleen und Mauern fungieren als künstliche Felslebensräume. Im Rahmen des Forschungsprojekts "Leben zwischen Gräbern" wird am Berliner Museum für Naturkunde die Artenvielfalt und Verbreitung von Schnecken auf Friedhöfen untersucht. Ziel ist es besser zu verstehen, welche Faktoren das Vorkommen dieser Tiere im urbanen Raum bestimmen. Berlin weist eine große Vielfalt unterschiedlicher Begräbnisstätten auf, kleine und größere, alte und relativ neue. Einige grenzen an Grünflächen, andere sind komplett von Straßenzügen und Häuserblöcken umschlossen. Insgesamt sind es mehr als 200 Friedhöfe, die sich wie grüne Inseln über das Stadtgebiet verteilen.
Schnecken ernähren sich keineswegs nur von frischem Grün. Viele verzehren abgestorbene Pflanzen, Laub, Pilze oder auch Aas, wodurch sie entscheidend zur Zerkleinerung und Verteilung organischer Stoffe im Boden beitragen. Zu den Fressfeinden der Schnecken zählen Igel, Elster und Singdrossel ebenso wie Blindschleiche, Erdkröte und verschiedene Insekten, etwa der Große Leuchtkäfer. Die Gehäuse dienen Vögeln als wichtige Calciumquelle und bieten anderen Tieren, wie der Zweifarbigen Schneckenhausbiene, Unterschlupf. Von den über 80 aus Berlin bekannten Landschneckenarten gelten laut Roter Liste 33 in der Stadt als bestandsgefährdet. Die zunehmende Verdichtung und Versiegelung von Flächen macht vielen von ihnen zu schaffen.
Bislang konnten auf den Berliner Friedhöfen rund 40 verschiedene Arten von Landschnecken nachgewiesen werden. Dabei steht das Projekt noch am Anfang und die Zahl gefundener Arten steigt mit der Untersuchung weiterer Friedhöfe. Obwohl teils mitten in der Stadt gelegen und oft von kleiner Fläche, ist die Schneckenfauna der Friedhöfe verhältnismäßig divers und umfasst auch Arten, die in Berlin als bestandsgefährdet oder sehr selten gelten.


Die Hain-Schnirkelschnecke kommt auf den Friedhöfen Berlins häufig vor. (2)

In den Ritzen von Mauern und Grabeinfassungen kann die Gemeine Schließmundschnecke Unterschlupf finden. (3)

Während man die Hain-Schnirkelschnecke (Cepaea nemoralis) mit ihren oft lebhaft gebänderten Gehäusen auf den Friedhöfen häufig antrifft, bekommt man die Blindschnecke (Cecilioides acicula) nur selten zu Gesicht. Mit ihrem schmalen, rund 5 mm großen Gehäuse lebt sie verborgen in der Friedhofserde. Sie ist tatsächlich blind und ernährt sich von Schimmelpilzen. Doch es geht noch kleiner. Die kleinste einheimische Landschneckenart ist die Punktschnecke (Punctum pygmaeum), deren Gehäuse nur knapp über einen Millimeter misst. Auch die in Berlin als stark gefährdet geltende Gemeine Schließmundschnecke (Alinda biplicata) mit ihrem turmförmigen Gehäuse, dessen Mündung sie mit einer kleinen Kalkplatte verschließen kann, findet auf den Friedhöfen der Stadt Lebensraum.
Zu den größten Arten gehört der überwiegend nachtaktive Tigerschnegel (Limax maximus), eine Nacktschnecke mit raubkatzenartigem Fleckenmuster. Besonders spektakulär ist die Paarung der Tigerschnegel, bei der sich beide Partner von einem erhöhten Punkt an einem Schleimfaden herablassen, um sich frei hängend und eng umschlungen zu paaren.


Der Tigerschnegel ist vor allem nach Einbruch der Dämmerung aktiv. (4)

Es sind nur wenige Schneckenarten, die nennenswerte Schäden an der Grabbepflanzung verursachen. Die auffälligste unter ihnen ist wohl die Spanische Wegschnecke (Arion vulgaris), die vermutlich in den 1980er Jahren nach Berlin eingeschleppt wurde. Entgegen ihres Namens stammt diese Nacktschnecke ursprünglich aber nicht aus Spanien, sondern wahrscheinlich aus Westfrankreich. Erst seit Kurzem in Berlin zuhause ist die ursprünglich von der italienischen Halbinsel stammende Kantige Laubschnecke (Hygromia cinctella). Sie ist an der ausgeprägten, häufig hell gebänderten Kante ihres rund einen Zentimeter breiten Gehäuses zu erkennen. Im Rahmen der Untersuchungen auf Friedhöfen konnten 2022 erstmals etablierte Populationen der Art in Berlin nachgewiesen werden.

Vielfältige Lebensräume auf einem Friedhof fördern eine ausgewogene Gemeinschaft von Schneckenarten. Liegengebliebenes Laub, dichter Efeu, Totholz, unverfugte Mauern und Bereiche mit Wildkräutern bieten nicht nur Schnecken Nahrung und Schutz, sondern kommen auch zahlreichen anderen Wildtieren zugute.


Neuerdings hat auch die Kantige Laubschnecke die Berliner Friedhöfe für sich entdeckt. (5)

Auf Grabstätten können Schnecken übrigens auch symbolische Bedeutung haben. So ist die Schnecke im Christentum ein Auferstehungssymbol, was darauf zurückgeht, dass manche Arten ihr Gehäuse über den Winter mit einem kalkigen Deckel verschließen und mit Beginn der warmen Tage scheinbar zu neuem Leben erwachen. Als Grabdekoration lassen sich auf Berliner Friedhöfen regelmäßig Schnecken finden. Etwa in Form von Schneckengehäusen, die auf Gräbern platziert werden oder Bestandteil von Kränzen und Gestecken sind, oder in Form von kleinen Schneckenfiguren aus Keramik. Vielleicht sollen sie Trost spenden oder haben einen persönlichen Bezug zu dort bestatteten Personen. Zwischen Friedhöfen und Schnecken bestehen also durchaus vielschichtige Verbindungen.


Schneckengehäuse finden sich auch als Grabschmuck auf Berliner Friedhöfen (Foto: Parm Viktor von Oheimb). (6)

Literatur:

Oheimb, K. C. M. von; Hackenberg, E. & Oheimb, P. V. von (2023): New immigrants among old graves: records of the non-native land snail species Hygromia cinctella (DRAPARNAUD 1801) from urban cemeteries in Berlin (Stylommatophora: Hygromiidae). Mitteilungen der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft, 108, 1-8.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Lebensraum Friedhof (Dezember 2024).
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