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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Zur Gestaltung hinduistischer Bestattungen in Deutschland

Ein geöffneter Sarg steht in der Trauerhalle eines Berliner Krematoriums, in ihm ein über siebzigjähriger Verstorbener. Rechts und links von ihm sind je drei große Kerzenständer aufgestellt. Hinter dem Ensemble befindet sich eine Bühne mit Redner*innenpult, auf der erzählt, aber auch gesungen und rezitiert wird. In den Stuhlreihen vor dem Sarg sitzen laut weinende Menschen, vor ihnen ist Technik zum Livestreamen der Abschiednahme aufgebaut.

Die Geräuschkulisse ist laut, das Wehklagen, aber auch einige Gespräche, persönliche sowie am Telefon geführte, und das Klingeln von Handys vermischen sich mit den Worten aus dem Mikrofon am Pult. Zur Rechten der Szenerie sitzt ein älterer Mann auf Bambusmatten, umgeben von Bananenblättern, goldenen Tellern, Schälchen und Gefäßen, Blumen, Kokosnüssen und einigem mehr. Auch er trägt zum Geräuschpegel bei, denn er rezitiert fast durchgehend Mantras und folgt einer strengen Choreographie, während derer er oft mit Feuer und Wasser arbeitet und einige ausgewählte Angehörige des Verstorbenen beim Ausführen der notwendigen Trauerrituale anleitet. Der Geruch von Räucherstäbchen weht durch den Raum, in dem sich um die siebzig Menschen versammelt haben. Die ganze Szenerie wird eingerahmt von Betonwänden, teils mit Landschaftsmalereien verziert und geschmückt mit einem großen schwarzen Kreuz.

Anlass ist die Bestattung eines ursprünglich aus Sri Lanka stammenden und zuletzt in Berlin lebenden Mannes. Er war Hindu, so dass sich auch seine Bestattung entsprechend dem hinduistischen Glauben gestaltete. Dass das in Deutschland aber nicht kompromisslos umsetzbar ist, mit welchen Hürden sich Hindus hierzulande konfrontiert sehen und welche Lösungsstrategien sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, wird hier zum Thema gemacht.

Bevor es aber um die konkreten Schwierigkeiten geht, mit denen sich Menschen hinduistischen Glaubens im Bestattungsbereich in Deutschland konfrontiert sehen, ist ein Einschub von Nöten. Denn von "dem Hinduismus", so wie man es vielleicht noch aus den Lehrbüchern des Religionsunterrichts in der Schule kennt, ist schwerlich zu sprechen. So ist das Wort "Hindu" ursprünglich eine Fremdzuschreibung muslimischer Invasoren für nicht-muslimische Menschen in der Region rund um den Indus.1 Ein von hinduistischen Menschen genutzter Begriff für ihre Lebensweise, in der kaum zwischen beispielsweise säkular und religiös oder privat und öffentlich unterschieden wird, lautet Sanata Dharma, also "ewige Religion".2 Dementsprechend muss der Begriff "Hinduismus" als Dachkonzept für verschiedene Strömungen verstanden werden.3 Aus diesem Grund kann im Folgenden kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhoben und kein Versuch der Generalisierung unternommen werden - auch wenn der Einfachheit halber von dem Hinduismus die Rede sein wird.


Vorbereitungen für die Durchführung hinduistischer Trauerrituale (1)

Der Tod eines geliebten Menschen stellt die Meisten von uns vor große emotionale und auch organisatorische Herausforderungen. Das Finden eines Bestattungsinstituts, die Abwicklung der organisatorischen Vorgänge und Entscheidungen, das Abwägen der finanziellen Möglichkeiten und das alles in einem emotionalen Ausnahmezustand ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Auch für hinduistische Menschen in der Diaspora ist das eine der ersten Hürden nach dem Tod eines Familienmitglieds. Was für viele von ihnen noch erschwerend hinzukommt sind möglicherweise noch nicht verinnerlichte Verhaltensregeln, Gesetzeslagen und gegebenenfalls eine Sprachbarriere.4 So verlassen sich die Hinterbliebenen bei der Wahl der Bestattungshäuser oft auf die Empfehlungen anderer Hindus und mittlerweile gibt es Bestatterinnen und Bestatter, die aus längerer Erfahrung mit hinduistischen Trauerfeiern schöpfen und sich auf die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen einstellen können.5 Sie berichten oftmals davon, dass auch ihre Rolle sich in so einem Falle von einer christlichen oder atheistischen Beisetzung unterscheidet. Sie sehen sich hier mit Vorstellungen und Sitten konfrontiert, die sie selbst nicht internalisiert haben und nehmen so oft weniger eine beratende und erklärende Position ein, sondern prüfen die an sie herangetragenen Bedürfnisse auf ihre Umsetzbarkeit.6 Für Bestattungsinstitute gilt es also Möglichkeiten zu finden, den religiösen Vorstellungen der Trauernden gerecht zu werden, oder vielmehr, ihnen im Rahmen der deutschen Bestattungsgesetze so nahe wie möglich zu kommen.

Die elaborierten Rituale, die traditionell schon während des Sterbeprozesses beginnen, sind sehr wichtig um die Seele auf den richtigen Weg zu schicken, dem oder der Verstorbenen eine gute Wiedergeburt zu ermöglichen und auch die Familie vor der Heimsuchung einer nicht gut verabschiedeten und somit unzufriedenen Seele zu bewahren.7 Die Hinterblieben tragen in dieser Hinsicht also eine große Verantwortung für die weitere Existenz des oder der Verstorbenen nach dem Tod, so dass hier ein hohes Potenzial für Druck- und auch Schuldgefühle angenommen werden kann.8 Die richtige Form der Riten ist demnach besonders wichtig und verlangt nach speziell ausgebildeten Priestern. Bis vor 15 Jahren gab es einen solchen in Deutschland noch nicht, was viele hinduistische Familien vor ein Problem stellte. Daher wurde vermehrt auf die Erfahrungswerte älterer Verwandter und Bekannter zurückgegriffen.9 Mittlerweile gibt es einen hinduistischen Bestattungspriester in Deutschland, der die Not der Gemeinden erkannte, als seine eigene Frau verstarb und er selbst niemanden finden konnte, um die Rituale korrekt auszuführen. Aus diesem Grund bildete er sich selbst in dem Bereich weiter und ist mittlerweile, trotz Rentenalters, in ganz Deutschland und darüber hinaus tätig, um Menschen eine adäquate Bestattung zu ermöglichen.10

Hat eine hinduistische Familie ein Bestattungsinstitut sowie einen Priester gefunden, so sieht sie sich mit strukturellen, in den Bestattungsgesetzen, oder dem in Deutschland vorherrschenden Usus verankerten Problematiken konfrontiert. Hinduistische Bestattungen können mehrere Stunden in Anspruch nehmen, Trauerhallen bieten meist Zeitslots von 20 bis 30 Minuten für eine Trauerfeier an. Die Buchung einer solchen Räumlichkeit für beispielsweise vier Stunden kann sich so zu einem nicht zu unterschätzenden Kostenfaktor entwickeln. Glücklicherweise gibt es auch Bestattungshäuser, die über eigene Räume verfügen und eine entsprechend lange Abschiednahme dort möglich machen. Auch einige Friedhofsverwaltungen oder Krematorien stellen ihre Trauerhallen trotz "Überlänge" für den Preis einer nach deutschen Maßstäben "normalen" Trauerfeier zur Verfügung - auch wenn hier nicht von der Mehrheit ausgegangen werden kann.11 So sie denn eine entsprechende Lokalität gefunden hat, kann die Familie die Bestattung also abhalten, oftmals in einem Umfeld, das, wie im Beispiel am Anfang des Textes, von christlichen Symboliken geprägt ist. Vom Bundesland, beziehungsweise der Verwaltung des gewählten Raumes hängt auch ab, wie die Rituale ausgeführt werden können. Hinduistische Bestattungen zeichnen sich durch eine große Nähe zum Leichnam aus. Das Streuen von Blumen in den Sarg, das Begießen des Schopfes mit Wasser, all solche körpernahen Handlungen können zum Ritualkanon gehören. Im Berliner Anfangsbeispiel war das der Fall, doch gibt es auch Örtlichkeiten, in denen keine offene Aufbahrung erlaubt ist oder der Sarg mit einer Glasplatte verschlossen sein muss.12 In solchen Fällen haben sich "Ersatzhandlungen" entwickelt, die Rituale werden beispielsweise auf der Glasplatte oder auf einem Foto durchgeführt. Auch ein Spiegel kann zu diesem Zweck zum Einsatz kommen, indem er so positioniert wird, dass der oder die Verstorbene darin zu sehen ist und die rituellen Handlungen an seiner Oberfläche vollzogen werden.13


Die eigentlich am Körper stattfindenden Rituale müssen hier auf dem geschlossenen Sarg verrichtet werden. (2)

Hinduistische Bestattungen können je nach Strömungen, lokalen und regionalen Ausprägungen im Detail unterschiedliche Formen annehmen. Es gibt jedoch einige Grundelemente, die sich in der großen Mehrheit wiederfinden lassen. Dazu zählen das möglichst zeitnahe Verbrennen des Körpers sowie das Verstreuen der Asche in einem Fluss, am besten dem Ganges, oder einem Meer.14 So braucht es üblicherweise keinen Friedhof. Ausnahmefälle, die einer Körperbestattung bedürfen, sind vor allem Kinder und Kranke.15 Auch Menschen auf hoher spiritueller Ebene können ebenfalls erdbestattet werden.16 Für in Deutschland lebende Hindus ergeben sich darauf bezogen folgende Problematiken: 1. In Deutschland ist eine Verbrennung auf dem Scheiterhaufen unter freiem Himmel nicht möglich. 2. Hierzulande kann legal auch keine Verstreuung der Asche in einem Gewässer stattfinden.

Die Kremierung des Körpers im Krematorium ist die einzig verbleibende Möglichkeit. Auch in Indien oder Sri Lanka ist sie keine Besonderheit mehr, auch wenn sie oft noch als die weniger erstrebenswerte Alternative angesehen wird.17 Einige Krematorien hierzulande ermöglichen es den Angehörigen beispielsweise auch, vor der Einfahrt in den Ofen noch etwas Kampfer auf dem Sarg anzuzünden und den Knopf zum Starten der Kremierung selbst zu betätigen, um den hinduistischen Ritualen so nah wie möglich zu kommen.18

Die Verstreuung der Asche im Wasser hingegen erfordert etwas mehr Kompromissbereitschaft, Lösungserarbeitung und je nach Wahl auch die finanziellen Mittel. Denn in Deutschland gibt es zwar die Möglichkeit zur Seebestattung, während derer eine spezielle Urne in einem bestimmten Bereich der Nord- oder Ostsee versenkt wird, allerdings gibt es beispielsweise in den Niederlanden deutlich günstigere Angebote. So entscheiden sich in Deutschland ansässige Hindus oft für den Weg über das Ausland.19 Eine weitere Möglichkeit ist auch die Reise in die Schweiz, wo mittlerweile an bestimmten Flussabschnitten, wie bei Stein am Rhein im Rhein oder bei Luzern in der Limmat die Asche unter ritueller Begleitung ohne Urne ins Wasser gegeben werden kann.20 Als dritte Möglichkeit bleibt außerdem die Rückführung der Asche ins Herkunftsland, um sie dort in einem entsprechenden Gewässer und unter den richtigen Umständen zu verstreuen. Der heilige Fluss Ganges wird als besonders erstrebenswerter Ort für diese Praktik angesehen. Denn das Ausbringen der Asche in seinem Wasser kann die verstorbene Person wortwörtlich "reinwaschen" und ihr so gutes Karma bringen, dass sie aus dem Kreislauf der Wiedergeburten erlöst wird.21

Je nachdem, ob Familienmitglieder mit der Urne die Reise an den Ganges antreten, entstehen hier aber nicht unerhebliche Kosten. Tatsächlich gibt es auch Dienstleister vor Ort - beispielsweise in der Stadt Varanasi, die als besonders guter Ort zum Sterben und Bestattetwerden gilt22 - die, wenn es keine Angehörigen erledigen können, gegen Bezahlung die Asche für die im Ausland lebenden Familien in Empfang nehmen und die Bestattung besorgen.23

Es zeigt sich: Eine hinduistische Bestattung in Deutschland auszurichten ist keine leichte Aufgabe. Viele Kompromisse müssen gemacht und Lösungen gefunden werden. Rituale werden verkürzt, auf eine symbolische Handlung reduziert oder entfallen ganz. Der hier gegebene Einblick ist nur ein kleiner, der die Vielfalt und Komplexität der rituellen Handlungen in einem hinduistischen Trauerfall, die sich keinesfalls nur auf den Tag der Bestattung beschränken, nicht darstellen kann. Das Leben in der Migration sorgt also für die Entwicklung neuer Praxen, angepasst an die Gepflogenheiten und gesetzlichen Gegebenheiten des neuen Heimatlandes. Dabei entstehen auch manches Mal Mischformen, so berichtete ein Schweizer Priester von eine christlich-hinduistischen Bestattung, die Elemente beider Religionen beinhaltete.24 In Hamm ist mit ungefähr 5000 Menschen Deutschlands größte hinduis­tische Gemeinde ansässig.25 Dort steht auch der Sri-Kamadchi-Ampal- Tempel, der vor allem durch seine jährlichen Feierlichkeiten samt Prozession immer wieder mediale Aufmerksamkeit auf sich zieht.26 Der Tempelpriester selbst setzte sich für ein hinduistisches Grabfeld auf einem der Friedhöfe ein, das 2015 ebenfalls medial wirksam eingeweiht wurde. Es ist das erste hinduistische Grabfeld Deutschlands, das jedoch auf Grund der bevorzugten Feuerbestattung kaum in Anspruch genommen wird.27


Vorbereitung einer Verbrennung in Varansi (3)

Das Leben in der Diaspora erfordert für hinduistische Menschen im Bereich ihrer Bestattungsgebräuche große Kompromissbereitschaft. Gerade für sehr gläubige Menschen kann das schwerwiegende emotionale Konflikte mit sich bringen. Trotz dessen lässt sich von hinduistischer Seite bisher kein Aufbegehren nach oder ein Vorstoß in Richtung Veränderung oder Lockerung der deutschen Bestattungsgesetze erkennen.28 Eine hinduistische Gewährsperson charakterisiert die Situation folgendermaßen: "Menschen, die in der Diaspora leben, sind sehr pragmatisch. Sie sind dankbar für jedes Stückchen mehr, das sie hier ausführen können. [...] Das Gute auch glaube ich am Hinduismus [ist], dass es da auch Alternativen gibt. Es gibt ne Hundert-Prozent-Veranstaltung, aber wenn nicht, kann man [das] auch so machen. Wir haben das Möglichste erledigt."29Anmerkungen

1 Firth, Shirley: Death, Dying and Bereavement in a British Hindu Community. Leuven 1997, S. 35.
2 Ebd., S. 36.
3 Ebd.
4 Gereke, Theresa: Der letzte Reis am geschlossenen Sarg - hinduistische Trauerrituale im deutschen Kontext. Unveröffentlichte Masterarbeit. Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Universität Göttingen 2022, S. 54.
5 Gereke 2022 S. 57.
6 Ebd., S. 54.
7 Ebd., S. 72.
8 Ebd., S. 34 ff.
9 Kuhnen, Corinna: Fremder Tod. Zur Ausgestaltung und Institutionalisierung muslimischer, jüdischer, buddhistischer, hinduistischer und yezidischer Bestattungsrituale in Deutschland unter dem Aspekt institutioneller Problemlagen und gesellschaftlicher Integration. Bremen 2009, S. 165.
10 Gereke 2022, S. 58.
11 Ebd., S. 55f.
12 Ebd., S. 60.
13 Kuhnen 2009, S. 167; Gereke 2022, S. 60.
14 Gereke 2022. S. 53.
15 Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. 2014, S. 89.
16 Ebd.
17 Firth 1997, S. 53.
18 Kuhnen 2009, S. 168.; Gereke 2022, S. 71.
19 Gereke 2022, S. 62f.
20 Ebd., S. 64; ebd., S. 63.
21 Ebd., S. 44.
22 Firth 1997, S. 60.
23 Ebd., S. 90.
24 Gereke 2022
25 Ebd., S. 67.
26 Vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/hindu-prozession-hamm-108.ht…, letzter Zugriff 15.04.2024.
27 Gereke 2022, S. 66f.
28 Gereke 2022, S. 72.
29 Ebd.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Religiöse Vielfalt in der Bestattungskultur (August 2024).
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