Am 1. Dezember 1981 wurde in den USA die Erworbene Immunschwäche (AIDS) erstmals als eigenes Krankheitsbild klassifiziert. Damit konnte im vergangenen Jahr (2021) auf vierzig Jahre zurückgeblickt werden, die seitdem vergangen sind. Dabei wurde deutlich, wie sehr diese Zeit neben allem Schmerz auch von einer immensen Welle von gegenseitiger Unterstützung und Solidarität geprägt war. Und so bedeuten "Vierzig Jahre AIDS" eben auch, dankbar auf Kämpfe für gleiche Rechte und gegen Ausgrenzung und Diskriminierung zurückzublicken. Und auf große Fortschritte bei der Erforschung und Behandlung dieser Krankheit - die ja bis weit in die 1990er Jahre hinein meist noch zum Tode führte.
Am Beginn: Der Wunsch nach würdigen und angemessenen Bestattungen
Dank dieser Solidarität konnten viele am AIDS erkrankte Menschen gut begleitet und unterstützt werden. Doch wenn sie starben, endete diese Gemeinschaft meist. Beisetzungen fanden oft anonym statt oder in den Heimatorten der Verstorbenen. Und dies geschah nicht selten im Kreis von Familien, in denen kein einziges Wort über die Krankheit oder die Homosexualität eines Verstorbenen verloren wurde. Die Gemeinschaften, in denen dieser Mensch gelebt hatte und die ihn in der Krankheit betreuten, blieben außen vor, als hätten sie nie existiert. Und da es noch keine rechtliche Absicherung für gleichgeschlechtliche Beziehungen gab, galt dies leider auch für Partner, die teilweise langjährig zusammengelebt hatten.
Dieser unwürdige Zustand ließ Mitte der 1990er Jahre in einigen Städten die Idee aufkommen, Gemeinschaftsgrabstätten einzurichten, wo diese Personen bestattet werden könnten. In Hamburg fand sich dazu ein Kreis von Personen zusammen, die verschiedene Bezüge zu dieser Situation hatten: als Infizierte, Seelsorger oder Bestatterin, oder auf dem Hintergrund von Friedhofsgestaltung und Denkmalpflege. Von ihnen wurde im Januar 1995 der Verein Memento e.V. gegründet, um Gemeinschaftsgrabstätten für Menschen anzubieten, die an AIDS gestorben waren oder die sich ihnen verbunden fühlten. Dies sollte mit der Erhaltung histo-rischer Grabanlagen auf dem Friedhof Ohlsdorf verbunden werden. Glücklicherweise fand sich schnell eine passende Grabstätte mit einem Regenbogenmotiv als Mosaik im Grabmal. Im Februar 1995 fand dort die erste Beisetzung statt (Abb. 1).
Die weitere Entwicklung: Grabstätten als Orte für Gedenken und Begegnung
Erster Vorsitzender von Memento e.V. wurde der Garten- und Landschaftsarchitekt Horst Günter Lange, zweiter Vorsitzender der "AIDS-Pastor" Rainer Jarchow. Durch die Verbindung zu seiner Arbeit und die hohe Sterberate unter Menschen mit HIV wurde die Grabstätte leider auch schnell belegt. So fanden im ersten Jahr bereits dreizehn Beisetzungen dort statt, im Folgejahr 1996 zehn Beisetzungen. Das historische Grabmal wurde restauriert und um den Schriftzug "Memento" und eine AIDS-Schleife erweitert. Und da hier eine Alternative zur anonymen Beisetzung geschaffen werden sollte, wurden auch die Namen der dort bestatteten Personen in das Grabmal graviert, und bald auch auf zusätzlichen Namenssteinen, die später durch eine auf dem Rasen vor dem Grabmal verlegte Bodenplatte ersetzt wurden. Anfangs noch bestehende Befürchtungen, dass die Grabstätte angegriffen oder geschändet werden könnte, erfüllten sich glücklicherweise nicht.
Da die erste Memento-Grabstätte für zehn Sarg- und achtzig Urnenplätze ausgelegt war, zeichnete sich bereits im Jahr nach ihrer Eröffnung ab, dass ihre Kapazität bald erschöpft sein würde, zumindest für Sargbestattungen. So machte sich der Verein bereits im zweiten Jahr seiner Existenz auf die Suche nach einer zweiten Grabstätte. Die Friedhofsverwaltung bot schließlich eine solche auf dem sog. "Millionenhügel" an. Diese war nicht nur deutlich größer, sondern sie hatte auch im Unterschied zu "Memento 1" kein historisches Grabmal, das weiter genutzt werden konnte. Trotz der erheblichen Lasten, den die Herrichtung und der Betrieb von "Memento 2" bedeutete, wurde das Angebot angenommen. Seit 1997 finden Beisetzungen nur noch dort statt. Inzwischen steht auf dieser Grabstätte ein eigens hierfür geschaffenes modernes Grabmal, in das nach jeder Beisetzung bunte Glassteine eingesetzt werden. Im Jahr 2000 konnte zudem noch die rechts angrenzende Grabstätte mit einem historischen Grabmal übernommen werden, so dass beide nun ein großes Ganzes bilden. (Abb. 2).
Für den anfangs noch kleinen Verein war es nicht leicht, diese Entwicklung zu bewältigen und vor allem, die erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen. Spenden und Darlehn einzelner Vereinsmitglieder halfen zunächst weiter. Langfristig sollten sich die Grabstätten durch Einnahmen anlässlich der Beisetzungen sowie durch Mitgliedsbeiträge finanzieren. So wurde unter Hinterbliebenen und Interessierten dafür geworben, dem Verein beizutreten. Bis heute hat er 60-80 Mitglieder, mit denen dies durchweg auch gelingt.
Zugleich galt es aber auch, den Wunsch mit Leben zu füllen, dass die Grabstätten Orte der Begegnung werden sollten. So begann der Verein, alljährlich am Totensonntag gemeinsame Friedhofsbesuche zu organisieren. An den Grabstätten wurden und werden dann die Namen der dort Bestatteten verlesen und es werden Blumen im Gedenken an sie niedergelegt. Und wer mag, kann danach noch zu einem ge-meinsamen Kaffeetrinken in einem benachbarten Café zusammenkommen. Daneben etablierte sich ein weiteres jährliches Treffen am Pfingstmontag, an dem die Grabstätten bei besserem Wetter und inmitten blühender Rhododendren erlebt werden können. Und zugleich sind diese Grabstätten auch zu Orten geworden, an denen Menschen einander begegnen und ins Gespräch kommen, seien es Hinterbliebene, Spaziergänger*innen oder Menschen, die im Zuge von Friedhofsführungen hierher kommen.
Weichenstellung für die Zukunft: Memento als Community-Grabstätte
Glücklicherweise haben die verbesserten Behandlungsmöglichkeiten seit Ende der 1990er Jahre zu einem deutlichen Rückgang tödlicher Verläufe von AIDS-Erkrankungen geführt. Damit nahm auch die Zahl der Beisetzungen auf den Memento-Grabstätten deutlich ab. In den letzten zwanzig Jahren wurden durchschnittlich zwei bis vier Personen jährlich auf "Memento 2" bestattet. Von ihnen war dann kaum noch jemand am Vollbild AIDS gestorben, sondern es handelte sich überwiegend um Angehörige oder Freund*innen von Personen, die dort bereits bestattet waren. Hinzu kamen und kommen immer mehr Menschen, die sich den Gemeinschaften zugehörig fühlen, die sich mit HIV/AIDS verbinden. So hat sich diese Grabstätte immer mehr zu einem Ort entwickelt, dessen verbindendes Thema neben der Krankheit eben auch die Communities sind, in denen diese Personen leben.
Langfristig stellt sich für den Verein die Frage, ob die bei Beisetzungen erzielten Einnahmen reichen werden, um den Bestand der Grabstätte zu sichern - zumal viele Beisetzungen durch das Sozialamt finanziert werden, das leider nichts zu den Kosten der Grabstätte beiträgt. Hinzu kommt, dass die Mitglieder, die den Verein und den Vorstand bisher getragen haben, nun selbst in ein hohes Alter kommen. Und schließlich stellt auch das 2022 bevorstehende Auslaufen der Ruhezeit für die erste Memento-Grabstätte einen Einschnitt für den Verein dar.
So wurde das 25-jährigen Jubiläum der Vereinsgründung im Jahr 2020 dazu genutzt, sich über die weitere Entwicklung des Vereins und der Grabstätten Gedanken zu machen. Dazu wurde u.a. auch Kontakt zu Betreiber*innen anderer Gemeinschaftsgrabstätten in Ohlsdorf gesucht. Dabei zeigte sich deutlich, dass es verstärkt Wünsche gibt, Alternativen zu anonymen Beisetzungen sowie zu traditionellen Familiengrabstätten oder zu versprengt gelegenen Einzellagen zu finden. Deswegen legen zunehmend auch Kirchengemeinden Gemeinschaftsgrabstätten an (siehe dazu den Artikel von Tobias Götting in diesem Heft), oder es gibt hierzu andere Initiativen, wie z.B. von Bewohner*innen des Hamburger Stadtteils St. Georg.
Nach einer breit angelegten Diskussion entschied die Mitgliederversammlung von Memento e.V. im September 2021, den Vereinszweck so zu ändern, dass die Grabstätte einem größeren Kreis von Menschen angeboten werden soll. Dazu sollen neben Menschen, die eine Beziehung zu HIV/AIDS haben/hatten, nun auch Personen aus der LGBTIQ*-Szene gehören sowie alle, die sich deren Themen und Anliegen verbunden fühlen. Denn Gemeinschaften von homo-, und bisexuellen Menschen sowie von trans-, intergeschlechtlich oder non-binär lebenden Personen sind in hohem Maße identitätsstiftend und spielen eine große Rolle im Leben. Daher erscheint es passend und sinnvoll, die Motive, die einst zur Gründung der Memento-Grabstätten führten, in diese Richtung weiter zu entwickeln.
Es ist nun offen, in wieweit die Menschen, die durch diese Öffnung angesprochen werden wollen, dieses Angebot tatsächlich wahrnehmen. Um darauf hinzuweisen, wird Memento e.V. in der nächsten Zeit verstärkt initiativ werden, um zu zeigen, dass es für Menschen aus der LGBTIQ*-Community diese Möglichkeit der Bestattung gibt. Man darf gespannt sein, wieviel Erfolg der Versuch haben wird, Memento als "Community-Grabstätte" zu etablieren.
Fotos: Verein Memento e.V.