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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Abbas Ali Pyr-Chad und die Gründung des iranisch-mohammedanischen Gräberfeldes X-19 auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf

Erstes Begräbnis auf dem iranisch-mohammedanischen Gräberfeld

Abbas Ali Pyr Chad, geboren am 14. April 1870 in Täbriz, gehörte zu jener Gruppe iranischer Kaufleute, die vom Ausland aus mit großem Geschick Handel betrieben. Erst in Russland und ab 1931 in Hamburg brachte er es aufgrund seiner weitreichenden Geschäftsbeziehungen zu Ansehen und Vermögen. Er starb am 16. Mai 1941 an Herzversagen auf dem Weg zum Hafen-Krankenhaus.

Sein Begräbnis war das erste auf dem iranisch-mohammedanischen Gräberfeld in Ohlsdorf. Dessen Ankauf finanzierte er mit 15.300 Reichsmark, was heute etwa 59.670 Euro* entsprechen würde. Von langer Krankheit gezeichnet, wusste Pyr-Chad, dass er bald sterben würde. Er traf entsprechende Vorkehrungen und besprach die Einzelheiten nach islamischem Brauch wohl auch mit seinen Freunden Haji Hassan Vladi und Haji Khalil Touba.

Die Einhaltung der islamischen Bestattungsregeln ist in Deutschland immer noch schwierig. Viele Muslime lassen ihre verstorbenen Angehörigen daher in die Heimat überführen. Abbas Ali Pyr-Chad entschied sich dagegen. Die Kostenfrage hat dabei sicher keine Rolle gespielt. Für seine Bestattung auf dem Ohlsdorfer Friedhof war der Erwerb eines Gräberfeldes als eingetragener Grundbesitz wahrscheinlich unumgänglich, da sich nur so eine spätere Umbettung durch die Friedhofsverwaltung vermeiden ließ und die für Muslime heilige Totenruhe gewahrt blieb.

Überlassung des Gräberfeldes zugunsten der islamischen Kolonie

Die Tatsache, dass Pyr-Chad hier nicht allein für sich und seine 21 Jahre jüngere Frau Zahra vorsorgte, sondern eine ungleich größere Summe für ein Flurstück mit 102 Grabstellen investierte, lässt eine Absprache innerhalb der iranischen Kaufmannschaft vermuten und spricht für die Weitsicht Pyr-Chads.

Offenbar brachten es sein Tod und die Umstände des Krieges mit sich, dass sich auch seine Geschäftsfreunde frühzeitig mit den Modalitäten der eigenen Bestattung auseinandersetzten. Ihre Entscheidung, das Hamburger Gräberfeld gleichfalls einer Überführung in den Iran vorzuziehen und fortan Verantwortung dafür zu übernehmen, dürfte für Pyr-Chad ausschlaggebend für den Kauf einer Begräbnisstätte in dieser Größenordnung gewesen sein. Wahrscheinlich war es auch eine Geste der Dankbarkeit an die Weggefährten aus der Heimat, die ihn bei seinem Neuanfang in Hamburg begleitet und unterstützt hatten.

Am 17. Dezember 1941 stellten Hassan Vladi, Khalil Touba, und Ahmed Nikrawan stellvertretend für die islamische Kolonie in Hamburg den Antrag, das Gräberfeld der islamisch-mohammedanischen Gemeinde zu überlassen. Laut Notiz erfolgte die Belegung der Grabplätze ab dem 7. Januar 1942 auf schriftliche Anweisung des Kaiserlich-Iranischen Generalkonsulats in Hamburg. Die Übertragung der Besitzrechte fand im Einvernehmen und auf Veranlassung der Witwe Pyr-Chads statt.


Auftragsbestätigung

Wie detailliert Pyr-Chad sein eigenes Begräbnis plante, lässt sich auch von seinem Grabstein (40 x 16 x 85 cm) aus schlesischem Marmor ablesen. Er gab ihn beim Ohlsdorfer Steinmetzbetrieb F.H. W. Witte für 325,50 Reichsmark in Auftrag. Die Inschrift ist ein kalligrafisches Meisterwerk aus seiner eigenen Hand. Er hat sie in Originalgröße auf Millimeterpapier feinsäuberlich mit Bleistift vorgezeichnet, sodass der Hamburger Steinmetz sie nur übertragen musste. Schließlich war dieser der Sprache ja nicht mächtig. Die einzelnen Buchstaben sind so kunstvoll gestaltet, dass sie erst vor kurzem entschlüsselt werden konnten.


Grabstätte Pyr-Chad

Die Inschrift lautet:

Ich lege nun ab mein irdisches Gewand.
Befreit von der Last der körperlichen Hülle,
strebt mein Geist rein und erwartungsfroh zum Himmel.
Ohne Sorgen eile ich dem verheißungsvollen Paradies entgegen.
Mit meinem letzten Atemzug spüre ich schon die göttliche Nähe und
alle weltliche Mühsal fällt von mir ab.

Die Jahre in Russland als Kaufmann und Diplomat

Abbas Ali Pyr-Chad beherrschte Farsi, die Sprache der Perser, Azeri, den aserbaidschanisch-türkischen Dialekt sowie Russisch fließend. Das Zarenreich lag 160 km und die Türkei 310 km von seiner Geburtsstadt entfernt. Sie war Anfang des 20. Jahrhunderts wichtigster Handelsposten im Norden und Verbindung zwischen Orient und Okzident. Wann genau Pyr-Chad nach Moskau übersiedelte, lässt sich heute nicht mehr sagen.

1904 kaufte er im grünen Speckgürtel von Moskau für 11.750 Rubel ein Landhaus mit 3000 qm Grund. Die Datscha-Siedlung im Dörfchen Novogireyevo war die erste, wo die Häuser mit elektrischem Licht, fließend Wasser, festem Fundament und sogar Telefon ausgestattet waren. Pyr-Chad ließ das Haus auf den Namen seiner Frau eintragen, was sich später als glücklicher Umstand erweisen sollte.

Zahra Radji heiratete er 1906 und holte sie anschließend nach Moskau. Wie er stammte sie aus Täbriz, wo sie am 8. August 1891 auf die Welt gekommen war. Sie erzählte später, dass ihr Ehemann an buchstäblich jeder Station der langen Reise, die zunächst per Schiff nach Baku und von dort per Eisenbahn nach Moskau führte, von Geschäftsfreunden und Bekannten begrüßt wurde. Dies zeigt, über welche Netzwerke Pyr-Chad innerhalb Russlands verfügte.

Seine Geschäfte liefen gut. An der Straße Lyalin Pereulok 282/252 kaufte er 1916 von einem Engländer für 144.000 Rubel ein fünfgeschossiges Mietshaus und übernahm obendrein noch seine Schulden. Ein Jahr später investierte er erneut in Immobilien und erwarb an der Straße Bolschaja Lubjanka, Ecke Sretenskij Boulevard ein weiteres Mietshaus. Diese Investitionen sollten ihm allerdings wenig Glück bringen. Als 1917 die Bolschewiki auch in Moskau die Macht ergriffen, wurden Besitztümer jeglicher Art zur Belastung. Russische Adlige und Reiche flohen in Scharen aus der Stadt, viele in ihre Sommerhäuser aufs Land. Doch auch bis dahin reichte der Arm Felix Dscherschinskis, der mit seinen Truppen brutal die Stadt durchkämmte und später der erste Chef des russischen Geheimdienstes wurde.


Abbas Ali Pyr-Chad in jungen Jahren

Auch Pyr-Chad, der politische Immunität besaß, musste sich vom Persischen Konsul in Moskau bestätigen lassen, dass er bereits länger als vier Wochen seinen Hauptsitz in Novogireyevo hatte. Mehrere Schutzbriefe für seine Familie und seinen Besitz belegen, wie brisant die Lage war. Der Handel kam durch den anschließenden Bürgerkrieg, zerstörte Verkehrswege und willkürliche Beschlagnahmungen quasi zum Erliegen. 1919 wurde die Persische Bank enteignet und in Russische Volksbank umbenannt. Pyr-Chad hatte hier für Krankenhäuser bestimmte Arzneimittel einlagern lassen, die ebenfalls beschlagnahmt wurden. 1923 wurde er Handelsbevollmächtigter eines neu gegründeten iranisch-russischen Unternehmens, das Warentransporte mit Reis, Wolle, Geschirr, Fensterglas, Metall und anderen Gebrauchs- und Nahrungsgütern durchführte.

Gegen Ende der 1920er-Jahre wurde die Lage unter der Herrschaft Stalins immer schwieriger, so dass er für seine Frau und seine Tochter Reisepässe für die Ausreise nach Deutschland beantragte. Er wurde fälschlicherweise beschuldigt, keine Steuern gezahlt zu haben und für ein Jahr inhaftiert. Er konnte den Irrtum nachweisen. Das bewahrte ihn aber nicht vor einer erneuten Durchsuchung, so dass er entnervt die Firma liquidierte. Pyr-Chad, der in Russland seinen aserbaidschanischen Namen Abbas Ali Agayev angenommen hatte, übertrug 1929 per Generalvollmacht die Verwaltung seines Immobilienvermögens und seiner Angelegenheiten in Russland auf Rezazadeh Azari.

Übersiedlung nach Deutschland und Neuanfang in Hamburg

Frau und Tochter schickte er voraus. Sie kamen zunächst in Berlin-Wilmersdorf bei der Familie Darudi unter. Er selbst reiste erst später nach und beschloss nach Hamburg zu gehen, das ihm für seine weiteren Geschäfte geeigneter erschien als Berlin.

Obwohl er vieles geregelt hatte, konnte er die Immobilien doch nicht veräußern und ließ große Teile seines Besitzes in Moskau zurück, vielleicht in der Hoffnung auf eine Wiederkehr in besseren Zeiten. Anfangs noch nicht der deutschen Sprache mächtig, halfen ihm in der Hansestadt die hier bereits tätigen iranischen Kaufleute. Sein Landsmann Haji Khalil Touba teilte mit ihm sein Büro im Kaufmannshaus an den Großen Bleichen. In dieser Zeit lebte die Familie noch in einer Pension in der Grindelallee. 1937 gründete er seine eigene Firma, die nach seinem Tod 1942 auf seine Frau Zahra überging. Diese war in Geschäftsangelegenheiten völlig unerfahren, hatte aber Haji Khalil Touba als sowie Haji Hassan Vladi enge Vertraute an ihrer Seite. Zur Unterstützung schickte ihre Schwester ihren ältesten Sohn Mohamad Dadbine nach Hamburg. Der Neffe heiratete überraschend schnell eine Deutsche und kam in der Firma von Haji Hassan Vladi am Ballindamm unter, wo er bis zu seiner Rente als Prokurist arbeitete.

Zahra Pyr-Chad engagierte sich in der iranischen Gemeinschaft, in dem sie Freunde und Verwandte aus dem Iran aufnahm, Kranke besuchte und als Übersetzerin bei Behördengängen behilflich war. Sie hatte in Deutschland keinerlei Rentenansprüche und lebte vom verbliebenen Vermögen und den hinübergeretteten Wertgegenständen, wobei sie später von den Freunden ihres Mannes unterstützt wurde. Sie starb am 30. Dezember 1978 und wurde wie ihr Mann auf dem Iranisch-Islamischen Gräberfeld in Ohlsdorf bestattet.

Fotos: Privatbesitz Marie-Luise Cabral

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