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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der Guttempler Hermann Blume

Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg steht an der Mittelallee zwischen der Bushaltestelle und der Kriegerehrenallee direkt an der Straße (Bl 52) eine zwei Meter hohe und 90 cm breite Sandstein-Grabstele.

Sie erinnert an Hermann Blume, der von 1862 bis 1935 lebte, höherer Zollbeamter war und von 1899 bis 1927 mit kurzer Unterbrechung in den Jahren 1914-16 die deutschen Guttempler leitete. Er kann zugleich als Führer der deutschen Abstinenz- und Suchtselbsthilfebewegung bezeichnet werden, da der Deutsche Guttempler-Orden die älteste und in diesen Jahrzehnten die mitgliederstärkste Abstinenzorganisation war.

Hermann Blume
Hermann Blume, um 1935. Foto: Archiv

Hermann Blume wurde am 24. Januar 1862 als 13. Kind des Landschafts- und Kunstmalers Heinrich Blume in Wriezen im Oderbruch geboren. Von seinem Vater erbte er das "Talent, durch die Kraft der Worte andere Menschen zu bewegen". Als Supernumerar begann er seine berufliche Tätigkeit im preußischen Zolldienst in Berlin, die ihn über Aachen und Köln im Mai 1889 nach Hamburg führte, wo er als Bureaubeamter I. Klasse bei der Generalzolldirektion amtierte.

Mit seiner Versetzung nach Hamburg trat Blume schlagartig auch mit außerdienstlichen Betätigungen hervor. Er wurde sogleich Mitglied des 1879 gegründeten "Vereins Hamburger Staatsbeamter". In dieser Vereinigung, die bei seinem Eintritt im Jahre 1889 ca. 700 Mitglieder aufwies, entfaltete Blume zum ersten Mal sein überragendes Organisationstalent. Sehr bald zum Vorsitzenden des Vereins gewählt, brachte Blume die Mitgliederzahl binnen weniger Jahre auf 12 000 (!). Seiner Initiative war es mit zu verdanken, dass für die Beamten Ein- und Verkaufsstellen zum billigeren Erwerb von Lebens- und sonstigen Konsumartikeln sowie eine Spar- und eine Sterbekasse ins Leben gerufen wurden. Sein nachhaltig verfolgtes Bestreben, für die Beamten ein gerechteres Disziplinarverfahren und die Abschaffung der Arreststrafen zu erreichen, brachten ihm seitens der Vorgesetzten nicht nur den Vorwurf der Aufreizung der Beamten ein, sondern sogar ein auf seine Dienstentlassung gerichtetes Disziplinarverfahren, aus dem er jedoch glänzend rehabilitiert hervorging.

Während einer Wahlkampfreise in Holstein, er kandierte für den Reichstag, traf er auf einen Mann, der nicht wie üblich ein alkoholisches Getränk in seinem Glase hatte, sondern Wasser. Dieser Mann erregte seine Aufmerksamkeit, die soweit führte, dass Hermann Blume eine spöttische Bemerkung machte, eine Bemerkung, die Missfallen auslöste. Ein Freund machte ihm ernste Vorwürfe und darüber hinaus klar, dass man mit einem solchen Scherz das mühsam aufgebaute Lebensglück eines Menschen und seiner Familie von neuem vernichten könne, denn er hatte ein "junges" Mitglied des Guttempler-Ordens vor sich. Dieses Erlebnis und die Zurechtweisung brachten Hermann Blume zum Nachdenken. Er wollte jetzt mehr vom Guttempler-Orden wissen. Dies führte zur Begegnung mit anderen Guttemplern, die ihn in die Gedankenwelt dieser 1851 in den USA gegründeten Organisation einführten.

"Das war etwas für mich", bekannte er später und wurde am 20. Juli 1897 Mitglied. Im darauf folgenden Jahr war er Delegierter seiner Guttempler-Gruppe auf der Guttempler-Jahrestagung in Rendsburg. Bei der dort fast bis zur Zerreißprobe des Ordens geführten Diskussion um die Lösung der Braunbierfrage, d.h. der Frage, ob die Guttempler jeglichen Alkoholkonsum lebenslang zu unterlassen haben oder ob schwachalkoholhaltige Getränke, wie z.B. das Braunbier, zugelassen bleiben sollten, setzte sich Hermann Blume so geschickt zugunsten eines absoluten Alkoholverbots ein, dass er auf dieser Tagung bereits zum stellvertretenden Vorsitzenden der deutschen Guttempler gewählt wurde. Dieser Beschluss war notwendig für eine erfolgreiche Suchtgefährdetenhilfe, da nur völliger Verzicht auf alkoholische Getränke die Abhängigkeit zu überwinden hilft.

Schon ein Jahr später wurde er auf der Jahrestagung in Hamburg zum Vorsitzenden (Großtempler) gewählt. 1899 bestand der Orden in Deutschland aus 175 Gruppen mit 6 375 Mitgliedern. Hauptanliegen Blumes waren zunächst die Gewinnung weiterer Mitglieder, wozu er unzählige Vortragsreisen in fast alle Städte Norddeutschlands, aber auch nach Skandinavien, unternahm. Ferner befasste er sich in der Folgezeit mit der Errichtung von Fürsorgeeinrichtungen und dem inneren Aufbau des Ordens. Er schuf ein festes Finanzsystem und führte ein demokratisches Ordensrecht ein. Da viele Guttempler-Gruppen in Restaurants tagten, was die Helferarbeit nicht förderte, setzte sich Hermann Blume mit viel Engagement für die Schaffung von eigenen Tagungseinrichtungen ein. 1914 verfügten die deutschen Guttempler über 71 eigene Häuser, davon acht allein in Hamburg sowie drei weitere in Altona und Harburg.

1911 waren die Hamburger Guttempler Gastgeber des alle drei Jahre stattfindenden Guttempler-Weltkongresses, an dem 5 000 Besucher aus aller Welt teilnehmen. Der 12 Tage dauernde Kongress umfasste eine Fülle von Sitzungen, Festen, Umzügen, einen besonderen Frauentag, Fachvorträge anerkannter Wissenschaftler und Festvorstellungen in den Hamburger Theatern. Nachhaltig setzten sich die Guttempler und namhafte Wissenschaftler auf dieser Tagung dafür ein, Alkoholismus als Krankheit zu sehen und notwendige Hilfseinrichtungen wie Beratungsstellen und Fachkliniken zu schaffen. Heftige Kritik erregte das Verschreibungsverhalten vieler Ärzte, die im Alkohol ein Breitbandpsychopharmakon sahen und es zur Behebung von Verstimmungszuständen selbst bei Kindern einsetzten. Wie weit die Guttempler und auch das Blaue Kreuz und der Kreuzbund, die beiden christlichen Abstinenzverbände, ihrer Zeit voraus waren, wird daran deutlich, dass erst 1968 ihre Forderung, Alkoholismus als Krankheit im Sinne der Reichsversicherungsordnung anzuerkennen, durch ein Bundessozialgerichtsurteil bestätigt wurde.

1914, 25 Jahre nach der Gründung des Ordens als "Reichsverband" und 15jähriger Tätigkeit Hermann Blumes als Vorsitzender, umfassten die deutschen Guttempler 59 000 Erwachsene, 5 000 Jugendliche und 16 000 Kinder, zusammen mehr als 80 000 Mitglieder. Hermann Blume übergab in diesem Jahr sein Amt an den versierten Großkaufmann Hermann Sievers, Hamburg, ab, um es zwei Jahre später wieder zu übernehmen. In den beiden Kriegsjahren 1915/1916 hatten Hermann Blume und seine Frau Anna die schwersten Schicksalsschläge hinnehmen müssen, die Eltern zugefügt werden können. In knapp anderthalb Jahren verloren die Eltern ihre drei Söhne, Kurt, Walter und Hermann im Alter von 21, 23 und 25 Jahren durch den Soldatentod. Geblieben waren ihren lediglich die beiden Töchter. Bald darauf verstarb auch seine Frau, die den Tod der Söhne nicht verwinden konnte.

1927 gab Hermann Blume, der begabte Redner und glänzende Organisator, sein Amt als Vorsitzender in jüngere Hände. Am Vorabend seines Todes, der in den frühen Morgenstunden am Sonntag, dem 22. September 1935, in einem Hotel in Bremen eingetreten ist, hatte Hermann Blume noch auf einer Versammlung der Bremer Guttempler gesprochen. Seine wie immer fesselnde Rede hatte in den Aufruf: "Der Orden lebt, die Arbeit geht weiter!" gemündet. Mit dieser Aussage, die Vermächtnis und Aufforderung war, rief er seine Freunde auf, nicht aufzugeben. Vorausgegangen waren erhebliche Veränderungen innerhalb des Guttempler-Ordens aufgrund nationalsozialistischer Einflussnahme, worunter die Bindung und Motivation vieler Mitglieder gelitten hatte, so dass es um den Bestand des Guttempler-Ordens ging.

Grabstein Blume
Grabmal für Hermann Blume. Foto: Ernest

Die deutschen Guttempler ehrten ihren ehemaligen "Großtempler" mit der Errichtung eines Gedenksteins am Grab auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Nach Ablauf der Liegefrist im Bereich W 35, 177-182, im Jahre 1973 würdigte der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg Hermann Blume, in dem der Stein diesen besonderen Platz an der Mittelallee des Friedhofes erhielt. Die Inschrift der Stele lautet: im oberen Teil "Der Orden lebt, die Arbeit geht weiter", im mittleren Teil Hermann Blume 24. Jan. 1862 – 22. Sept. 1935 Großtempler des Deutschen Guttempler-Ordens 1899-1914 und 1916-1927 und im unteren Teil: Sein Leben war Dienst am Volke.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Friedhof und Wasser (August 2010).
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