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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Marilyn Yalom: The American Resting Place. Four Hundred Years of History Through Our Cemeteries and Burial Grounds.

Houghton Mifflin, 336 Seiten

Mit der Überschrift "How We R.I.P., The cemetery as a mirror of society" stellt der Journalist John Berendt in der Zeitung "Washington Post" vom 15.6.2008 das oben genannte Buch vor: Allein die Rezension ist interessant genug, um sie hier im Wesentlichen wiederzugeben:

Berendt fängt seine Buchbesprechung mit einer kurzen Geschichte an und erzählt, wie eine Frau beim Ausschütten von Aschen in Disneyland ertappt wird. Doch niemand staunt über den Vorfall, der häufiger und sogar "in epidemic proportions" beobachtet wird; und diese Epidemie, wie sie genannt wird, ist sicherlich nicht nur auf dort begrenzt. Die Feuerbestattung wird immer beliebter in Amerika, besonders in den westlichen Staaten der USA, wo mehr als 50 Prozent der Verstorbenen eingeäschert werden. Traditionell werden die Aschen in einer Urne versiegelt, dann in ein individuelles Wandgewölbe auf einem Friedhof eingeschlossen. Falls die heimliche Aschenzerstreuung in öffentlichen Orten wirklich üblich werden sollte, wäre ein viertes Stadium in der Entwicklung der Bestattungskultur in Amerika erreicht, meint der Verfasser. Diese Entwicklung hat in den USA über vier Jahrhunderte seit der Kolonisierung bis heute zu drei Arten von Begräbnisstätten mit unterschiedlicher Bedeutung geführt:

Die älteste Art ist das schlichte Begräbnisfeld - ein düsterer Ort, meist urban und oft neben einer Kirche angesiedelt, mit einfachen rechteckigen Grabsteinen und knappen Inschriften ("Here lies the body of..."). Solche Gottesäcker sollten den Besucher hauptsächlich warnen und an den eigenen Tod erinnern.

Die zweite Friedhofsform ist der landschaftlich gestaltete Friedhof, auch Gartenfriedhof genannt. Nach dem Beispiel von Mount Auburn (1831) bei Boston liegen diese meist außerhalb der Stadt in idyllischer Landschaft mit Hügeln, Wald und Teichen sowie anspruchvoller Grabplastik. Weniger als die Gewissheit vom Tode war die Botschaft hier vielmehr die Verheißung vom Paradies.

Die dritte Art entwickelte sich in Reaktion zur Sentimentalität und zum Prunk vieler Gartenfriedhöfe: Der Rasenfriedhof verzichtet auf Skulpturen und Mausoleen zugunsten von bescheidenen Bodenplatten. Der Besucher wird von einer riesigen Fläche begrüßt, die eher einem Golfplatz als einem Garten ähnelt und wo die Vorstellung vom Tod virtuell verschwunden ist, wie zum Beispiel auf dem Friedhof "Forest Lawn" in Glendale, Kalifornien.

Rasenfriedhof
Rasenfriedhof in Knoxville/Tennessee. Foto: Christine Behrens

Die Veränderungen über vier Jahrhunderte führen zu dem, was Marilyn Yalom "distancing the dead" nennt, also etwa "den Tod in die Ferne rücken"; der Friedhof wird so gestaltet, als ob er mit dem Tod keine Gemeinsamkeiten hätte. Ein früher Beweis von dieser Tendenz wird sichtbar auf den Grabreliefs mit dem Übergang vom Schädel mit gekreuzten Knochen zu geflügelten Engeln im 18. Jahrhundert. Dieser Wechsel geschieht gerade in der Zeit, in der die triste puritanische Fixierung auf Tod, Verfall und Verdammnis einem hoffnungsvolleren Glauben an das ewige Leben der Seele Platz macht.

Grabplatten
Grabplatten auf einem Rasenfriedhof in Knoxville/Tennessee. Foto: Christine Behrens

Laut John Berendt beginnt das fesselnde Buch von Yalom als historische Monographie, wird dann aber auch Reisekatalog zu einigen der 250 Friedhöfe, die sie während ihrer Forschungen besuchte. Ihr Sohn, der Photograph Reid S. Yalom, machte die anschaulichen schwarz-weißen Aufnahmen am Anfang des Buches. Nicht nur Kenner sollen sich von der Begeisterung der Autorin anstecken lassen, die wie eine Archäologin die Friedhöfe nach Beweisen der kulturellen, sozialen, ethischen und politischen Geschichte untersucht. Die wachsenden Lebenserwartungen zum Beispiel sind gut nachvollziehbar beim Studieren der Geburts- und Todesjahre auf Grabstätten, bzw. beim Feststellen des Verschwindens von Orten wie dem schrecklichen "baby pit" vom St. Matthew Cemetery (Conshohocken, Penn.), Zeugnis der früheren hohen Kindersterblichkeit.

Die Trennungen nach Rasse, Religion, Kultur oder Sprache finden sich auf Friedhöfen bis heute wieder, nicht immer harmlos. In Massachusetts durften Juden bis 1840 nicht beerdigt werden; private Friedhöfe in Kalifornien durften bis 1959 Schwarze und Asiaten ablehnen. Die Namen von zwei afrikanisch-amerikanischen Friedhöfen in Charleston, S.C., erzählen viel vom Schikanieren von Schwarzen untereinander. Der eine ist der für hellhäutige Schwarze 1794 eingeweihte "Brown Fellowship Graveyard", der Mitgliedschaft und Beerdigungsrechte dunkleren Schwarzen verweigerte. Der zweite Friedhof, "Thomas Small's Graveyard", genannt nach einem eben dort ausgestoßenen dunkelhäutigen Schwarzen, wurde 1843 für die "Society of Blacks of Dark Complexion" gegründet.

Grabsteine lassen die veränderte Rolle der amerikanischen Frauen ebenfalls gut erkennen. Yalom zitiert eine Studie der kolonialen Grabsteine der Gegend um Boston, wo mehr als 70 Prozent der Frauen nur als Frau, Witwe, Mutter oder Tochter beschrieben werden. Noch erstaunlicher, die Untersuchung fand Hinweise auf Ehe durch Grabschriften von 2000 Frauen, aber nur von neun Männern. Vier Jahrhunderte später verkündet ein Grabstein in Wilmington, N. C., dass die Verstorbene "An honest and forthright businesswoman" - eine ehrliche und echte Geschäftsfrau - gewesen ist.

Trotz anregend vieler Anekdoten und Informationen im Buch von Yalom vermisst Berendt einen Hinweis auf die Rolle der Landfriedhöfe als erste öffentliche Parks in Amerika. So wurden in einer einzigen Saison der 1840er-Jahre schätzungsweise 60.000 New Yorker gezählt, die sich auf dem langen Weg bis zum "Greenwood Cemetery" in Brooklyn machten, um dort zu picknicken und Entspannung zu suchen. Dieses Phänomen regte Andrew Jackson Downing, Landschaftsarchitekt und Verteidiger von öffentlichen Parks an, im Jahr 1849 den folgenden Satz zu schreiben: "Ist das in diesen Friedhöfen an den Tag gelegte allgemeine Interesse nicht ein Beweis dafür, dass öffentliche Gärten ... den gleichen Erfolg haben könnten?" Das mögliche Ergebnis seiner Kampagne war die Gründung des ersten öffentlichen Parks in Amerika, New York's Central Park.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Ohlsdorf und seine Dichter (November 2008).
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