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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der Gedenkplatz für nichtbeerdigte Kinder auf dem Ohlsdorfer Friedhof - Ein Platz für die ganz Kleinen

Trauer braucht Zeit, braucht Raum, braucht einen Ort - eine fast zu einfach klingende Selbstverständlichkeit, die jedoch angesichts eines erlebten Verlustes in unserer trauerarmen Kultur oft keinen Platz findet...

Nach einer vorangegangen Fehlgeburt wurde im Frühjahr 1997 unsere Tochter Sunna Maria im siebten Monat "stillgeboren". Wir Eltern entschieden uns gegen eine Beerdigung, die nach der Rechtslage erst ab einem Gewicht von 1000 Gramm obligatorisch gewesen wäre. Den Worten des behandelten Gynäkologen ("Ihr Kind wird pietätvoll behandelt") glaubte ich damals – und tue es auch heute noch – trotz der spektakulären Medienberichte der letzten zwei Jahre. Zeit geben, um neben dem Schock wieder zu fühlen und zu denken, das wäre hilfreich gewesen – wir bekamen die Frist einer Nacht. Aus meinen zahlreichen Gesprächen in verschiedenen Kliniken Hamburgs weiß ich inzwischen, daß es hier keinen Grund zur Eile gibt! Erst Monate später merkte ich, wie hilfreich das Ritual des "In-die-Erde-Legens" gewesen wäre, um Abschied als endgültig zu begreifen. Gerade deshalb erscheint es mir wichtig, alle möglichen Beteiligten auf diesen Aspekt hinzuweisen.

Die Ahnung, daß auch andere Frauen und Männer, die Eltern ohne sichtbares Zeugnis des Lebens geworden sind, ebenso ein greifbares Zeichen vermissen wie wir, stellt gewissermaßen die Geburtsstunde des Gedenkplatzes für nichtbeerdigte Kinder dar. Während meines Aufenthaltes in der Schweiz anläßlich eines Trauerseminars und einer Weiterbildung zur Lebens- und Trauerbegleiterin bei Dr. Jorgos Canacakis lernte ich die Bildhauerin Beatrice Charen kennen. Dieses Zusammentreffen war der erste Schritt, zur Verwirklichung meines Anliegens. Er lieferte die Skulptur, die jetzt dem Gedenkplatz auf dem Ohlsdorfer Friedhof Gestalt gibt. Die freundliche und tatkräftige Unterstützung der Katholischen Frauen- und Familienbildungsstätte und des "Hamburger Abendblattes" macht es mir möglich, ausreichend Spenden für mein Vorhaben zu erhalten.

In der geschützten Atmosphäre des Friedhofs ist mit Hilfe einer engagierten Mitarbeiterin nun dieser "Ort, an dem ich meine Trauer trage", entstanden. Menschen, die nach einer Fehlgeburt, nach einer Totgeburt Abschied ohne Begrüßung nehmen mußten - auch Eltern, die nach dem eigenen Abbruch einer Schwangerschaft trauern - können sich hier mit einer Kinderseele verbinden, vielleicht auch erst Jahre später. Trost, Zuversicht und Versöhnung soll möglich sein an diesem Ort der Stille, ferner ein Begreifen mit allen Sinnen, damit die Trauer sich umwandelt in neue Lebendigkeit. Eine Brücke und ein Frühlingsbaum, Symbole des Übergangs und der Hoffnung, in der Nähe des Ortes und am Anfang des Stillen Weges, geben dem Platz Atmosphäre in seiner lichtduchfluteten Weite. Beeindruckt und angerührt bin ich über die Resonanz, unter anderem von Hebammen, Seelsorgern und der Vielzahl persönlich Betroffener, deren Verlusterfahrung oft mehrere Jahrzehnte zurückliegt. Mit über 100 Menschen haben wir – jung und alt – an einem sonnigen Tag, dem 25. September 1999, die Einweihung festlich gestaltet.

Trauer erfaßt den ganzen Menschen mit Leib und Seele, sie will gesehen und gelebt werden: Nach jahrelangem Schweigen endlich reden zu können und die Tränen fließen zu lassen, das wurde immer wieder an mich herangetragen. Und es bestätigte mir, daß Trauer - diese normale menschliche Reaktion auf einen Verlust - nicht "überwältigt" werden kann. Sie muß vielmehr durch das eigene Leben getragen werden, in lebensfördernder, statt lebenshemmender Weise. Die Akzeptanz von Werden und Vergehen, von Leben und Tod ist gerade dort am dichtesten gefordert, wo Geburt und Tod unmittelbar zusammentreffen.

Inzwischen gibt es in Hamburg eine Zusicherung für anonyme Gräberfelder seitens der Landeskrankenhäuser, sowie einige individuelle Lösungen weiterer Kliniken. Die Begleitung der "stillen Geburt" ist weiterhin sehr unterschiedlich. Der Gedenkplatz in Ohlsdorf ist für alle Menschen gedacht, für die jede neue Regelung zu spät kommt, ferner für jeden, der sich angesprochen fühlt: Er soll ein greifbares Zeichen der liebevollen Erinnerung sein. Falls es Bestrebungen für ähnliche Plätze in anderen Städten gibt, stehe ich gern für genauere Informationen zur Verfügung.

Susanne Schniering
Lebens- und Trauerbegleiterin (EIFAH)
Tel/Fax: 040/220 98 48

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Friedhof und Grabmal in Kunst und Literatur (Februar 2000).
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