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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Alternative BestatterInnenkultur - eine Forschungsperspektive

Alternative Bestattungsarten wie Seebestattungen, Naturbestattungen oder Diamantbestattungen sind inzwischen weitläufig bekannt, oft diskutiert und das, was meist mit alternativer Bestattungskultur assoziiert wird: Die vielbeschworene Pluralisierung der Bestattungskultur eben, die als Symptom des Wandels der Bestattungskultur dem Individualisierungstrend der Gesellschaft gerecht zu werden scheint.

Aber nicht nur die Bestattungskultur pluralisiert sich, sondern auch die BestatterInnenkultur. Neben den konventionellen BestatterInnen gibt es inzwischen immer mehr sogenannte alternative BestatterInnen. Als weitere Gruppen können InternetbestatterInnen und DiscountbestatterInnen genannt werden. Da sie den Markt nachhaltig zu beeinflussen scheinen und das Potential haben, die Bestattungskultur zu verändern, sollen hier die alternativen BestatterInnen einmal genauer in den Blick genommen werden. Denn wer oder was sind eigentlich alternative BestatterInnen und was zeichnet sie aus?

Die ersten alternativen Bestattungsunternehmen entstanden in den 1980er-Jahren. Generell sind alternative BestatterInnen solche BestatterInnen, die sich selbst von konventionellen BestatterInnen abgrenzen. Der Begriff ist nicht ganz unproblematisch, da dem Adjektiv 'alternativ' ein Beigeschmack anhängt, mit dem sich nicht jeder identifizieren kann. Zusätzlich drückt er lediglich eine unspezifische Differenz aus und bietet daher wenig Identifizierungspotential. Allerdings gibt es auch keinen passenderen Sammelbegriff, diese Gruppe zu benennen, und so nutzt ein Großteil der AkteurInnen ihn dann doch als Eigenbezeichnung. Einige alternative Bestattungsunternehmen sind auch spezialisiert, entweder in Bezug auf Sex und Gender, unter anderem Bestattungen von und für Frauen oder Homosexuelle, oder in Bezug auf spirituelle Konzepte. So gibt es beispielsweise esoterische oder schamanistische BestatterInnen.

Um die Stellung und das Innovationspotential dieser schwer greifbaren Gruppe besser einschätzen zu können, wird im Folgenden ein Überblick über den Forschungsstand zu alternativen BestatterInnen gegeben. Die Auflistung erfolgt geordnet nach dem Zeitpunkt der Erscheinung, beschränkt sich auf Forschungsliteratur, die über Bestattungskultur in Deutschland berichtet und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.


Beispiel "News" von der Internetseite https://sarggeschichten.de (Screenshot)

Bereits 1997 beschreibt Norbert Fischer einen Trend, der sich seit dem Ende des 20. Jahrhunderts gegen Konfektionsbestattungen richte und nennt beispielhaft einzelne AkteurInnen, ohne die Gruppe näher zu benennen.1 Zwei Jahre später berichtet er an anderer Stelle, dass sich inzwischen viele BestatterInnen auf den neuen, kreativeren Umgang mit Tod und Trauer eingestellt haben und bestehende Rituale um Innovationsangebote ergänzen. Neben der Einbeziehung der Angehörigen sei vor allem neu, dass die klassischen Dienstleistungen der BestatterInnen auf die Betreuung der Trauernden und Hinterbliebenen ausgeweitet werden.2 Dabei werde "der Tod nicht mehr in erster Linie als technisch-organisatorisches, sondern als psychosoziales Problem verstanden."3

Adelheid Fiedler wünscht sich in ihrer Dissertation über den Umgang mit Verstorbenen eine "kulturelle Gegenoffensive,"4 die sich für einen humanen Umgang mit dem Leichnam einsetzt und nennt als eine Personengruppe, die diesen schon aktiv betreibt, die "kreativen Bestatterinnen, die mit ihrer Arbeit Sterbenden und Hinterbliebenen einen individuellen Abschied ermöglichen."5

Dagmar Hänel deutet am Ende ihrer Studie über BestatterInnen im 20. Jahrhundert die Entwicklung einer alternativen BestatterInnenkultur an. Sie erläutert, dass sich als Folge einer Kritik an der Ausgrenzung des Todes ein neues Selbstbild von BestatterInnen entwickle, nach dem der Bestatter "sein gesamtes berufliches Tätigwerden unter dem Aspekt der Hilfe für den Trauerprozess des Angehörigen"6 deute und neue rituelle Formen immer wichtiger werden.7

Antje Kahl beschreibt eine Gruppe von BestatterInnen, die sich durch ihr visuelles Erscheinungsbild und die Selbstbeschreibung bewusst von herkömmlichen BestatterInnen abgrenzen. Diese Andersartigkeit bestehe "in der Art und Weise der Begleitung der Hinterbliebenen, der Totenfürsorge und der Möglichkeiten der Verabschiedung von Verstorbenen."8 Zeit, Raum und eine professionelle Begleitung würden den Kern ihrer Arbeitsweise bilden. Eine weitere zentrale Aufgabe dieser BestatterInnen sei, den Tod begreifbar zu machen.9


Bildbeispiel von der Startseite https://www.trostwerk.de (Screenshot)

Stefan Schütze befasst sich als erster ausführlicher mit alternativen BestatterInnen und betont, dass diese Personengruppe – meist QuereinsteigerInnen – keine homogene sei, sich aber typische wiederkehrend Merkmale zeigen, die sie auszeichnen. Dazu gehöre das Grundverständnis, sich als WegbegleiterIn in einer besonderen Lebensphase zu verstehen, wobei großer Wert auf die Selbstbestimmung und Mitwirkung der Trauernden an der Gestaltung des Abschiedsprozesses gelegt werde. Hierbei würden auch besondere beziehungsweise kreative Formen des Abschieds angeboten, wie zum Beispiel die eigene Gestaltung von Sarg, Urne oder individuellen Ritualen. Darüber hinaus würden alternative BestatterInnen in hohem Maße begleitend Bildungsveranstaltungen zu Sterben, Tod und Trauer anbieten und so über die Begleitung hinaus einen besonderen Wert auf einen Beitrag zum privaten und gesellschaftlichen Umgang mit diesen Themen legen. Neben verschiedenen spirituellen Ausrichtungen würden sich unter den alternativen BestatterInnen oft Frauen befinden, die den weiblichen Aspekt ihrer Herangehensweise betonten.10

Die Magisterarbeit von Jan Möllers stellt die umfangreichste Betrachtung alternativer BestatterInnen dar. Er beschreibt mehrere Entwicklungsphasen alternativer BestatterInnen. Den Anfang stellte das bloße Vorgehen gegen routinierte Handlungsweisen konventioneller BestatterInnen und die Suche nach neuen Formen für Bestattungen dar. Weitere Impulse kamen daraufhin von QuereinsteigerInnen, die sich 2005 erstmals zu einem Netzwerk zusammenschlossen.11 Wichtig sei vor allem ein "persönliches, auch emotionales Engagement und die Gestaltungsmöglichkeiten für Zugehörige, die erst einen wirklich individuellen Abschied ermöglichen."12 Besonders auffällig sei dabei der hohe Anteil von Frauen in der alternativen BestatterInnenszene.13 Sämtliche AkteurInnen würden sich in einem Spannungsfeld zwischen eigenem Anspruch und der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens befinden und in diesem mit ganz unterschiedlichen Lösungen agieren.14

Das große Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur widmet den alternativen BestatterInnen einen eigenen Eintrag. Auch hier wird betont, dass eine präzise Definition schwierig ist, gemeinsam seien ihnen "alternative Organisationsformen und alternative Berufsauffassungen, die alternative Produkte und Handlungsweisen nach sich ziehen."15 Ziel der alternativen BestatterInnen sei es, "kostengünstig und kulturorientiert eine umfassende Betreuung der Hinterbliebenen anzubieten, die auch die spirituelle und psychosoziale Dimension einschließt."16

Die Soziologin und Kulturwissenschaftlerin Julia Schäfer, die - ebenso wie Jan Möllers - selbst als Bestatterin, Trauerbegleiterin und Lebens- und Sozialberaterin arbeitet, spricht von progressiven Bestattungsunternehmen, die "eingeschliffene Strukturen durch neue Wege ersetzten."17 Die Trauerbegleiterin, Therapeutin und Autorin Chris Paul beschreibt "moderne Bestattungsunternehmen,"18 die den Prozess der bewussten Abschiednahme mit allen Sinnen unterstützen.19

Der Theologe und ehemalige Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal und Direktor des Zentralinstituts und Museums für Sepulkralkultur in Kassel, Reiner Sörries, berichtet schlicht von einer "neuen Bestattergeneration."20 Diese seien "Quereinsteiger/innen und kommen aus unterschiedlichsten Berufen; sie haben sich aufgrund eigener Erfahrungen – gelungenen wie weniger gelungenen Abschieden von nahestehenden Menschen – an einem bestimmten Punkt in ihrer Biografie entschieden, ein eigenes Bestattungsinstitut zu gründen."21 Im weiteren Verlauf des Textes nennt er diese neue BestatterInnengeneration alternative Bestatterinnen, die sich "als Wegbegleiter in der kostbaren Zeit zwischen Tod und Bestattung für die Toten und ihre Angehörigen verstehen."22 Dieser kostbaren Zeit solle eine neue Qualität verliehen werden. Darüber hinaus verstünden die alternativen BestatterInnen die Verstorbenen nicht einfach nur "als Objekte ihres Tuns, sondern als schutzbedürftige Menschen und Teil des Beziehungsgeflechtes, innerhalb dessen es eines Interessenausgleichs zwischen Toten, Angehörigen und Institutionen bedarf."23


Beispiel "Veranstaltungen" von der Internetseite https://die-barke.de (Screenshot)

Was lässt sich nun abschließend über alternative BestatterInnen aussagen? Interessant ist, dass in der Forschungsliteratur bis heute keine Einigkeit besteht, wie diese Gruppe von BestatterInnen zu benennen ist. Es überwiegt aber die Bezeichnung alternative BestatterInnen.

Auffallend ist des Weiteren, dass diese BestatterInnenszene zwar mehrfach benannt und teilweise auch genauer beschrieben wird, es aber an keiner Stelle Aussagen darüber gibt, welche Stellung sie innerhalb der gesamten BestatterInnen- bzw. Bestattungskultur haben und welche gesellschaftliche Rolle ihnen zukommt. Ihr Erscheinen wird als Symptom des Wandels der Bestattungskultur oder als Begleiterscheinung der Hospizbewegung beschrieben. Dabei stellen sie eine eigenständige Gruppe von AkteurInnen dar, die den Bestattungsmarkt aktiv mitgestalten. Längst sind alternative BestatterInnen kein Randphänomen mehr, sondern richtungweisende AkteurInnen, die den konventionellen BestatterInnenmarkt deutlich beeinflussen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie vielfältige Bedürfnisse von Angehörigen ansprechen. Wenn man die bisherige Literatur und deren Einordnungsversuche betrachtet, könnte man die alternativen BestatterInnen als eine Gleichzeitigkeit von Retrobewegung und Modernisierung verstehen. Sie treten dafür ein, den Tod als Teil des Lebens zu begreifen, und ihn nicht ausschließlich in professionelle Hände outzusourcen. Sie plädieren für eine Reintegration des Todes in das Leben und versuchen dies durch eine intensivierte Betreuungsarbeit mit den Angehörigen zu leisten.


Beispiel aus der Bildergalerie der Internetseite https://www.puetz-roth.de (Screenshot)

Trotz berechtigter Kritik am Bestattungs- und BestatterInnenmarkt war es nie so, dass alle konventionellen BestatterInnen per se als 'schlecht' wahrgenommen wurden. Es gab es immer BestatterInnen, die den Angehörigen empathisch gegenüberstanden und die Verstorbenen angemessen versorgt haben. Viele konventionell anmutende Bestattungsinstitute leisten gute Arbeit und stehen den Idealen einer sich wandelnden alternativen Bestattungskultur offen gegenüber. Ebenso stellen eine Vielzahl an Bestattungsunternehmen Mischformen dar. So bestehen sowohl konventionelle Bestattungsunternehmen, die die Ideen der alternativen BestatterInnen übernehmen oder längst ausführenund BestatterInnen, die sich als alternative BestatterInnen sehen, aber in der Betriebsorganisation Strukturen konventioneller Bestattungsunternehmen zeigen. Vielleicht werden sich die beiden Gruppen im Laufe des Wandels der Bestattungskultur derart annähern, dass sie nicht mehr zu unterscheiden sind. Auf dem Weg zu einer kulturorientierten Bestattungskultur, die den gesellschaftlichen Ansprüchen an Individualität und Achtsamkeit gerecht wird, scheinen alternative BestatterInnen aktuell jedoch (noch) unverzichtbar zu sein. Denn sie stellen nicht nur ein Phänomen einer Generationenablösung dar, sondern fokussieren Veränderungsbestrebungen eines bereits sehr stark standardisierten Kultur- und Wirtschaftssegments. Welche Elemente der alternativen BestatterInnen in die Berufsgruppe der BestatterInnen im Gesamten diffundieren, hängt wohl letztlich damit zusammen, welche Marktbedeutung sie erlangen und welche Anschlussfähigkeit mit wirtschaftlichen und handlungspraktischen Routinen gegeben ist.

Quellenangaben und Literaturhinweise
1 Fischer, Norbert: Wie wir unter die Erde kommen. Sterben und Tod zwischen Trauer und Technik. Frankfurt/Main 1997.
2, 3 Fischer, Norbert: Leitlinien einer neuen Kultur im Umgang mit Tod und Trauer. In: Timmermanns, Paul: Neue Kultur im Umgang mit Tod und Trauer. Dokumentation der Fachtagung am 25. November 1998 in Wuppertal. Düsseldorf 1999, S. 15-29.
4, 5 Fiedler, Adelheid: "Ich war tot und ihr habt meinem Leichnam geehrt." Unser Umgang mit den Verstorbenen. Diss. Tübingen 2000.
6, 7 Hänel, Dagmar: Bestatter im 20. Jahrhundert. Zur kulturellen Bedeutung eines tabuisierten Berufes. Münster 2003.
8, 9 Kahl, Antje: Das Design bestimmt das Bewusstsein? Die Neue Sichtbarkeit im Bestattungswesen. In: Macho, Thomas/Marek, Christin (Hrsg.): Die neue Sichtbarkeit des Todes. München 2007, S. 151-163.
10 Schütze, Stefan: Das Berufsbild des Bestatters. Eine Medienrecherche. In: Nüchtern, Michael/Ders.: Bestattungskultur im Wandel. Berlin 2008, S. 18-61.
11, 12, 13, 14 Möllers, Jan: Bezahlbare Riten - Über die Wieder-Aneignung von Sterben, Tod und Trauer in der Gegenwart. (2009) http://www.memento-bestattungen.de/images/ritenmagistersmoellers.pdf (09.07.2019).
15, 16 Sörries, Reiner: Eintrag "Alternative BestatterInnen". In: Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Bd. 3. Niedernhausen 2010, S. 22-23.
17 Schäfer, Julia: Tod und Trauerrituale in der modernen Gesellschaft. Perspektiven einer alternativen Trauer- und Bestattungskultur. Stuttgart 2011.
18, 19 Paul, Chris: Gestaltend Abschied nehmen. In: pflegen: palliativ. Für die professionelle Pflege unheilbar kranker und sterbender Menschen, 28 (2015), S. 4-8.
20, 21, 22, 23 Sörries, Reiner: Ein letzter Gruß. Die neue Vielfalt der Bestattungs- und Trauerkultur. Kevelaer 2016.

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