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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Erforschung der Lebensläufe von NS-Opfern auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Seit etwa zwei Jahren engagieren wir uns im Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof und befassen uns vor allem mit der Archiv-Arbeit.

In der Anfangszeit stand dabei die Bearbeitung und Erweiterung der Prominenten-Datei im Vordergrund.

In der Folgezeit konzentrierten wir uns aber zunehmend auf die Grabfelder der NS-Opfer auf dem Friedhofsgelände. Es war unser Bestreben, durch ausgedehnte Begehungen und Untersuchungen einen genaueren Überblick über die Anzahl und Lage der Gräber und über die Geschichte dieses Personenkreises zu gewinnen. Bei unseren Nachforschungen haben wir uns auf die Opfer mit deutscher Staatsangehörigkeit konzentriert, die im Gräberfeld der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft an der Sorbusallee, Nähe Eingang Maisredder, liegen bzw. im Bereich der deutschen Soldatengräber an der Ida-Ehre-Allee (früher Kriegerehrenallee) und Mittelallee.

Nach bisherigen Erkenntnissen liegen in diesen Bereichen mindestens 973 deutsche NS-Opfer. Durch unsere Recherchen konnten wir bislang 190 Personen als Opfer aus dem KZ Neuengamme identifizieren. 58 Menschen wurden auf dem Truppenübungsplatz Höltigbaum, meist als Deserteure oder Wehrkraftzersetzer, erschossen. Weitere 91 Männer fielen Hinrichtungen im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis zum Opfer. Die Gräber der letzten beiden Opfergruppen befinden sich überwiegend auf dem etwas versteckten Friedhofsteil an der Sorbusallee. Ansonsten entdeckten wir Gräber, die Opfern aus dem KZ-Langenhorn oder dem Gefängnis Fuhlsbüttel zuzuordnen sind. Bei unseren Nachforschungen waren vor allem die Aufzeichnungen aus dem Totenbuch Neuengamme und die Akten aus dem Staatsarchiv Hamburg hilfreich.

Unserer Meinung nach muss verhindert werden, dass die Lebenswege dieser Menschen dem Vergessen preisgegeben werden. Bei der Bestattung und der späteren Umbettung wurden alle Opfer oftmals unabhängig von ihren Schicksalen auf verschiedenen Grabfeldern bestattet. Eine Systematik ist für uns nicht erkennbar. So wurden zum Beispiel in Langenhorn verstorbene Säuglinge zwischen russischen Zwangsarbeitern aus Neuengamme beigesetzt. Die Gräber sind zum großen Teil in keinem guten Zustand. Die Namen sind auf vielen Grabsteinen nicht mehr lesbar. Im Laufe der kommenden Jahre und bei weiterer Verwitterung der Grabsteine wird die Identifizierung der Getöteten weiter erschwert.

Unsere Eindrücke werden durch Stellungnahmen in mehreren Veröffentlichungen gestützt. So beklagten zum Beispiel Mitarbeiter der Willi-Bredel-Gesellschaft in der Tagespresse die Bestattung von NS-Opfern auf Grabfeldern für gefallene Soldaten ohne gesonderte Hinweise oder Kennzeichnungen. Ähnlich kritisierte der Historiker Herbert Dierks die Lage der Gräber von Zwangsarbeitern und sogar von Säuglingen von Zwangsarbeiterinnen in den Bereichen der Gefallenen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Auch der Historiker Lars Skowronski merkte an, dass NS-Opfer in diesen Bereichen des Ohlsdorfer Friedhofs nicht annähernd die öffentliche Aufmerksamkeit finden wie zum Beispiel das Sammelgrab für Hamburger Bombenopfer oder der Ehrenhain für Hamburger Widerstandskämpfer. Des Weiteren beklagte er, dass die sterblichen Überreste der Menschen aus Arbeitslagern, aus diversen Krankenanstalten und Gefängnissen scheinbar in willkürlichem Nebeneinander bestattet wurden.

Wir haben uns deshalb vorgenommen, das Schicksal dieser meist unbekannten Opfer zu erforschen und für mehr Aufmerksamkeit zu sorgen. Inwieweit man dabei zu ausführlichen und weiterführenden Erkenntnissen kommen kann, bleibt abzuwarten. Wir werden jedenfalls in den kommenden Jahren daran arbeiten, genauere Zahlen der hier bestatteten Opfer zu ermitteln und diesen Menschen – soweit es noch möglich ist – "eine Biografie" zu verschaffen. Die Arbeitsgruppen, die in Hamburg die Lebensläufe von NS-Verfolgten erforschen und den Opfern mit Hilfe von Stolpersteinen ein ehrendes Erinnern verschaffen, können uns dabei als Vorbild dienen.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft 150 Jahre Südfriedhof Kiel (Juni 2019).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).