Eines der bemerkenswertesten Grabmale auf dem Kieler Südfriedhof ist das Grabmal für Henning Lass (1904-1925).
Auf den ersten Blick erinnert es an ein Denkmal für einen jung verstorbenen Soldaten des Ersten Weltkriegs, deren oft in antikisierenden Darstellungen gedacht wird – oft als nackte Heroen, in Trauerhaltung kniend, mit Schild, Fahne oder Schwert als Attribut. Hier fehlen aber jegliche Accessoires kriegerischer Handlung. Nachdenklich sitzt der Jüngling – ein lebensgroßes Porträt – zwischen zwei pfeilerartigen Aufbauten in leicht seitlicher Ansicht, die Beine angewinkelt, mit seinem rechten Arm auf einen der Pfeiler gelehnt, die Linke stützt den geneigten Kopf. Bekleidet ist er mit einem sehr dünnen ärmellosen Gewand, das den Oberkörper und die Oberschenkel bedeckt, dazu Sandalen. Auf der rechten Schulter durch eine Fibel gehalten erinnert es an eine Tunika. Das Besondere ist, dass der Verstorbene als Lebender dargestellt ist, so wie ihn die trauernden Angehörigen in Erinnerung behalten wollen. Die aufgrund des dünnen Gewandes spürbare Muskulosität des dargestellten Jünglings lässt trotz der nachdenklichen Pose seine Kraft spüren. Man fühlt beim Betrachten den Willen zu einem Leben, aus dessen Mitte der Verstorbene gerissen wurde. Es ist so, als hätte er sich nur einen Moment zum Ausruhen und Nachdenken niedergelassen und würde sich im nächsten Augenblick erheben wollen.
Die näheren Umstände seines Todes können wir seiner Todesanzeige in der "Kieler Zeitung und Handelsblatt" vom 6. August 1925 entnehmen: "Infolge eines Unglücksfalls in Berlin verschied heute unser hoffnungsvoller, heißgeliebter Sohn Henning im blühenden Alter von 21 ½ Jahren." Das Unglück war ein tödlicher Motorradunfall.
Die Eltern Wilhelm (1876-1956) und Marie Lass (1873-1937) gaben das Grabmal in Auftrag; es wurde vermutlich 1926/27 ausgeführt. Wilhelm Lass war ein bekannter, wohlhabender Kieler Kaufmann, der einen über die Grenzen des Landes hinaus bekannten Fischgroßhandel und eine Räucherei betrieb, die 1956 Konkurs anmelden musste. Da es keine weiteren Nachkommen gab, fiel das Grabmal nach Ablauf der Ruhefrist an den evangelisch-lutherischen Friedhof zurück, der dem Kirchenkreis Altholstein gehört. Inzwischen war das Grabmal 1995 unter Denkmalschutz gestellt worden und wurde auf Initiative von Annie Lander Laszig durch die Deutsch-Dänische Gesellschaft bis 2002 und dank zahlreicher Spenden restauriert.
Bildhauer des Denkmals aus weißem Laaser Marmor aus Südtirol war Edvard Eriksen, geboren am 10. März 1876 in Kopenhagen. Es ist das einzige Werk des Dänen auf deutschem Boden.
Nach einer Lehre zum Holzschnitzer studierte er 1895 bis 1899 an der Königlichen Akademie der Schönen Künste, nahm dann eine Stelle in einer Eisengießerei in Svendborg an und arbeitete als Zeichenlehrer. 1902 präsentierte er zum ersten Mal ein Werk in der Öffentlichkeit. Mit einer Figurengruppe "Die Hoffnung" gelang ihm 1904 der künstlerische Durchbruch. Es folgten zahlreiche Reisen, so 1907 nach Carrara. Zu seinen frühen Werken zählen die Sarkophag-Figuren für König Christian IX. und Königin Louise in der Roskilder Domkirche, 1917 vollendet und 1922 aufgestellt. Nach dem Krieg beschäftigte Eriksen sich ab 1924 mehr und mehr mit religiösen Motiven und Grabmalkunst.
Edvard Eriksen starb am 12. Januar 1959. Aber ein Werk, das ihn sozusagen "unsterblich" gemacht hat, soll noch erwähnt werden: 1910 hatte er vom Brauer Carl Jacobsen (Carlsberg Brauerei) den Auftrag erhalten, die Figur einer kleinen Meerjungfrau zu schaffen. Inspiriert worden war Jacobsen durch ein Werk des Komponisten Fini Henriques. 1909 war dessen Märchenballett "Die kleine Meerjungfrau" mit Ellen Price de Plane als Solotänzerin in Kopenhagen uraufgeführt worden. 1911 wurde die Figur in Bronze gegossen und 1913 aufgestellt.
Grablage: Kiel, Südfriedhof, Feld F/ 129. Die Informationen sind entnommen aus: "Meerjungfrau und Marmorjüngling – Edvard Eriksen, ein vergessener Bildhauer", mit Texten von Birgit Sippel-Amon und Fotos von Annie Lander Laszig, hrsg. von der Deutsch-Dänischen Gesellschaft e.V., o. O., o. J. [Kiel 2006]; darin: Heiko K. L. Schulze: "In Kiel einzigartig": Bemerkungen zum Grabmal Lass auf dem Südfriedhof, S. 18-21.
Foto: Cornelia Fehre, Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein