Direkt zum Inhalt

OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Mitten im Leben – Die Friedhöfe von Saint Barthélemy (Antillen)

Die Antilleninsel Saint Barthélemy (auch Saint Barths) präsentiert sich am Ende der Regenzeit in kräftigen Farben, aufgeräumt und richtig gut gelaunt.

Ein Jahr nach Hurrikan Irma hat sich die Natur erholt, die großen Infrastruktureinrichtungen sind wiederhergestellt, überall auf der Insel wird unermüdlich gebaut und renoviert und nur wenige Stellen erinnern noch an die Schäden und Verwüstungen, die Irma in der Nacht vom 5. September 2017 hinterlassen hatte.

Lage und Geschichte

Saint Barthélemy gehört zur Inselgruppe der Kleinen Antillen. Die 21 km2 große felsige Insel liegt 22 km südöstlich der französisch-niederländischen Insel Saint Martin und 230 km nordwestlich von Guadeloupe. Gustavia ist der Hauptort der Insel. 1493 entdeckt Christoph Columbus das Eiland und benennt es nach seinem Bruder Bartholomäus. Die spanische Krone hat jedoch keine Verwendung für dieses karge Stück Land. Nach einer ersten Phase der Landnahme durch französische Siedler Ende der 1640er Jahre fällt die Insel 1651 für kurze Zeit an die Malteser Ritter. 1659 kommt es zur neuerlichen Kolonisierung durch Bauern aus der Normandie und der Bretagne. Im Austausch gegen Handelsrechte und ein Lager in Göteborg geht Saint Barthélemy unter Ludwig XVI. 1784 an Gustav III. von Schweden. Ihm zu Ehren wird der Hauptort der Insel Le Carénage in Gustavia umbenannt. In der Zeit der schwedischen Kolonisation wird der Hafen ein wichtiger Umschlagplatz in der Region. Nach einer Abstimmung unter den Inselbewohnern gibt König Oskar II. die Insel 1877 wieder an Frankreich zurück. Für die Bewohner der Insel folgt eine lange Periode großer Armut. Viele der weißen Siedler verlassen die Insel. Die wenigen schwarzen Sklaven hatten Saint Barthélemy schon nach der Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1847 verlassen. Die Insel ist bis in die 1960er Jahre ein vergessener Ort fernab dem französischen Mutterland. Von 1962 bis 2007 wird sie gemeinsam mit den Gemeinden im französischen Teil der Nachbarinsel Saint Martin als Teil des Arrondissements Les Îles du Nord von Guadeloupe aus verwaltet. Seit 2007 hat die Insel das Statut einer französischen Übersee-Körperschaft.

Bevölkerung und Wirtschaft

Der karge, felsige Boden und das trockene Klima machen die Insel für eine landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet. Es gibt nur wenige ebene Flächen, wobei die größte vom Flugplatz in St. Jean beansprucht wird (ca. 76.000 m2). Aufgrund der schwierigen Lage können hier nur Propellermaschinen landen. Saint Barthélemy hat keine Süßwasservorkommen. Trinkwasser wird vor Ort in einer Aufbereitungsanlage hergestellt.

St.Jean, Tor
Friedhof Saint Jean, Tor. Foto: Eveline Haselsteiner

Saint Barthélemy ist eine Servicewirtschaft, deren Dienstleister fast ausschließlich im Freizeitbereich tätig sind. Immobilienbüros, private Villen, Bars, Restaurants, Beauty-Salons, Boutiquen, … Ihre Angebote richten sich an die internationalen Eliten aus Wirtschaft und Unterhaltung, die Saint Barths, so die Kurzform des Namens, gerne als Ferienort und Rückzugsraum nutzen. Diese Entwicklung geht zurück auf David Rockefeller, der die Insel in den 1950er Jahren bei einem Segelturn entdeckte und im Nordwesten ein Stück Land kaufte. Freunde und Geschäftspartner folgten seinem Beispiel, und die Insel entwickelte sich zu einem exklusiven Ferien- und Freizeitrefugium.

Rund 9.100 Menschen leben auf Saint Barths. Die Ethnologen Bruno Cousin und Sébastien Chauvin identifizieren drei Bevölkerungsgruppen: Die erste Gruppe ist jene der Saint-Barther. Es sind jene alteingesessenen Familien, die seit dem 17. Jahrhundert hier ansässig sind und die Geschicke der Insel lenken. Zur zweiten Gruppe gehören die Einwanderer aus Kontinentalfrankreich und aus anderen Ländern der Europäischen Union, die als Dienstleister oder in der Bauwirtschaft tätig sind. Die dritte Gruppe bilden schließlich die reichen Urlaubsgäste und Villenbesitzer.

Die Friedhöfe der Insel

Saint Barthélemy hat fünf Friedhöfe. Sie liegen in den urbanen Hauptorten der Insel im Südwesten und im Norden, entweder direkt an der dicht befahrenen Hauptstraße oder am Strand. Alle Friedhöfe sind jederzeit zugänglich. Mit Ausnahme des denkmalgeschützten schwedischen Friedhofs am Strand von Public ist für die Besucher nicht erkennbar, zu welcher Kommune oder Kirchengemeinschaft der Friedhof gehört.

Die Friedhöfe sind ähnlich angelegt. Es gibt immer eine niedrige Friedhofsmauer, die verschieden großen Gräber sind entlang des kreuzförmigen Hauptwegs angeordnet. Im Schnittpunkt des Wegkreuzes steht ein weißes, hölzernes Kreuz auf einem Sockel. Auf dem Sandboden sind die Hauptwege gekiest oder mit niedrig wachsenden Grünpflanzen eingefasst. Hochgewachsene, schlanke Palmen, sattgrüne Laubbäume und blühende, tropische Sträucher sind auf den Allgemeinflächen aller fünf Friedhöfe gepflanzt.
Die Friedhöfe haben keine sichtbare Infrastruktur wie Müllsammel- und Wasserentnahmestelle. Eine Zeughütte für die Friedhofsarbeiter habe ich nur auf einem der Friedhöfe gesehen.

Der Friedhof von St. Jean

St. Jean ist der Verkehrsknotenpunkt der Insel. Hier liegt der Flugplatz, auf dem alle Personen- und Frachtflüge abgewickelt werden. Für Nervenkitzel sorgt neben den schwierigen Windverhältnissen die gerade einmal 650 m lange Start- und Landebahn. Auch die Autovermieter haben ihre Stützpunkte und die Flotten am Flugplatz.Direkt gegenüber dem Flugplatzgelände liegt ein Gewerbezentrum mit einem Supermarkt, einer Apotheke, einigen Restaurants, einer Tankstelle und einer KFZ-Werkstatt; daran anschließend der PKW-Parkplatz, der sowohl von den Einkäufern als auch von den Friedhofsbesuchern genutzt wird. Besucher sehe ich bei meinem Besuch allerdings keine.

St. Jean
Weg auf dem Friedhof von Saint Jean. Foto: Eveline Haselsteiner

Der Friedhof liegt in einer sehr windexponierten Lage. Er ist nur rechts der Hauptachse belegt. Die kreuzförmigen Hauptwege sind mit dunklen Pflastersteinen ausgelegt und großzügig begrünt. Die Einfassung der Gräber ist aus weißem Holz oder Stein. Jedes Grab hat ein weißes Kreuz aus Holz, Stein oder Kunststoff. Geschmückt sind die Gräber mit unzähligen Kunststoffblumen, die in schwarzen Blumentöpfen verankert sind. Kerzen oder andere Lichter sehe ich beim Gang durch die Gräberreihen nicht. Hat ein Grab nur ein schlichtes Holzkreuz, ist dieses nur mit dem Namen der oder des Verstorbenen versehen. Auf den Grabsteinen ist auch oft das Geburts- und Todesdatum zu lesen. Die Schriftfarbe Gold überwiegt. Vereinzelt haben die weißen Grabsteine auch kupferfarbene Plaketten mit eingravierten Namen und Daten.

Erst zur dunkelgrauen Friedhofsmauer hin sehe ich auch einzelne Gräber aus dunklem Stein. Im Vergleich zu den anderen Friedhöfen hat dieser Ort eine sehr markante Pforte, die schlicht und kühl wirkt. Trotz der Nähe zum Flugplatz und der anliegenden Hauptstraße ist der Ort erstaunlich ruhig. Auffallend ist die Häufung gleichlautender Familiennamen, allesamt französisch. Diese Beobachtung werde ich auch auf den anderen Friedhöfen machen.

Die Friedhöfe von Lorient

Nordöstlich von St. Jean liegen die beiden Friedhöfe von Lorient in etwa 1 km Entfernung zueinander. In Lorient haben sich im 17. Jahrhundert die ersten französischen Siedler niedergelassen, der Ort gilt auch als das erste religiöse Zentrum der Insel. Lorient ist nicht nur ein beliebter Surfspot, auch Schnorchler und Familien mit Kleinkindern verbringen gern Zeit am weißen Sandstrand. Die Wege zum Strand führen direkt am cimetière marin, dem Friedhof am Meer vorbei.

Betreten kann man den Friedhof direkt von der Hauptstraße durch eine kleine Pforte in der dunkelgrünen Friedhofsmauer. Auch hier folgt die Anlage dem Kreuzmuster. Er ist der einzige Friedhof der Insel, der eine Zeughütte für die Friedhofsarbeiter direkt vor Ort hat. Der Sandboden ist hier nicht bekiest oder gepflastert. Die Belegung ist sehr luftig, freie Flächen sind zum Teil begrünt.

Viele Gräber sind ähnlich gestaltet wie in St. Jean; die kniehohe Grabeinfassung aus weißem Holz oder Stein, dazu ein schlichtes Holzkreuz oder ein kleiner Grabstein mit dem Namen und den Geburts- und Sterbedaten. Die üppigen, bunten Kunststoffblumenarrangements strahlen mit der Sonne um die Wette. Die letzten Ruhestätten der alteingesessenen Familien, deren Namen mir jetzt schon geläufig sind, kommen auch hier ohne schwere Steinplatten oder monumentale Grüfte aus. Insgesamt empfinde ich diesen Friedhof aber als "gesprächiger". Gerade im dem Strand näher liegenden Bereich des Friedhofs geben die Hinterbliebenen Einblick in das Leben der Verstorbenen. Die Inschriften auf den Grabsteinen sind ausführlicher, ich lese liebevolle Abschiedsworte, lese über die Hobbies und Berufe der Verstorbenen. Hier ruhen verunglückte Surfer neben leidenschaftlichen Seglern und Bergsteigern.

Lorient
Lorient, Blick auf den Friedhof am Kirchenhügel. Foto: Eveline Haselsteiner

Das Grab von zwei jungen Männern ist besonders auffällig. Es ist mit tibetischen Gebetsfahnen geschmückt, auf denen Mantras zu lesen sind. Der Wind soll die Gebete in die Welt tragen. Die Fahnen zerfallen im Lauf der Zeit und symbolisieren die Vergänglichkeit des Lebens. Es ist eine der wenigen Grabstätten, die neben echten Blumen auch mit Kerzen und kleinen Erinnerungssteinen geschmückt ist.

Gebetsfahnen
Grab mit Gebetsfahnen. Foto: Eveline Haselsteiner

Der zweite Friedhof in Lorient liegt am Fuß des Kirchenhügels, direkt an der Hauptstraße. Der Friedhof ist nur durch eine niedrige Steinmauer von den Straßen um den Friedhof getrennt. An einer Seite des Friedhofs wird gerade ein neues Haus errichtet, daneben die Hausgemeinschaft öffentliche Bibliothek und Ballettschule. Rechts vom Friedhof befindet sich ein stark frequentierter Burgerladen, auf der linken Seite ein Supermarkt mit Kundenparkplatz.

Auch hier sind die Grabstätten sehr gepflegt, einige wenige Gräber sind mit dunklem Stein eingefasst. Vereinzelt sind auch schwarze und weiße Fliesen als Grababdeckung zu sehen. Neben den befestigten Gräbern finde ich hier auch Gräber, die ohne Einfassung auskommen. Größere Steine und Muscheln bilden die Umfassung, der Blumenschmuck ist auch hier liebevoll ausgewählt. Es gibt keinen Hinweis auf die verstorbene Person.

Hallyday
Grab des Sängers und Songwriters Johnny Hallyday. Foto: Eveline Haselsteiner

Der Friedhof bei der Kirche von Lorient ist der einzige, auf dem ich während meines Besuchs nie allein bin. Ich führe diesen Umstand darauf zurück, dass hier der in den französischsprachigen Ländern überaus populäre Sänger und Songwriter Johnny Hallyday im Dezember 2017 seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Der Künstler hat ein Grab aus weißem Stein, am Kopf ein schlichtes, weißes, steinernes Kreuz, auf der Grabplatte sind am unteren Ende zwei weiße Laternen befestigt. Um die vielen Trauerbekundungen der Fans aufzunehmen, wurde das Grab rechts und links um eine Holzeinfassung erweitert. Im Sandboden stecken Steine mit Textauszügen aus seinen Liedern, geschriebene Dankesbotschaften der Fans, viele blaue Kerzen schmücken das Grab, dazwischen weiße Rosen und Rosen in Pastellfarben. Direkt hinter dem Kreuz stehen vier Staffeleien, auf denen blumengeschmückte Gitarren und Kränze befestigt sind. Dieses Grab wirkt liebevoll orchestriert und wird regelmäßig gepflegt. Es ist immer jemand am Grab, kleine Gruppen von zwei bis drei Personen, die aus dem Nichts auftauchen. Manche bleiben stehen, fotografieren, trinken, rauchen, snacken. Manche Besucher bleiben auf den Friedhofsmäuerchen sitzen und genießen die Sonne. Niemand schlendert durch die Gräberreihen.

Die Friedhöfe im Viertel Public

Das Viertel Public liegt am Handelshafen von Gustavia. Direkt hinter dem Containerlagerplatz sorgt ein Dieselkraftwerk für die Stromversorgung der Insel. Das Kraftwerk ist durch eine Zufahrtsstraße vom weißen Sandstrand getrennt. Geht man den Strand entlang, kommt man zunächst an der Segelschule vorbei und erreicht dann den alten schwedischen Friedhof, der an den cimetière marin von Public angrenzt. Dieser Friedhof ist sehr klein. Er liegt unter schattenspendenden Laubbäumen, hat eine grüne Wiese und in seiner Mitte erinnert ein Denkmal an "Alle auf Saint Barthélemy während der schwedischen Periode 1784 – 1878 verstorbenen schwedischen Bürger". Das Denkmal ist aus dunkelgrauem Stein und hat eine ovale, schwarze Gedenktafel mit weißer Schrift.

An den schwedischen Friedhof grenzt der Friedhof am Meer von Public. Dieser Friedhof wiederum ist ganz in der Tradition der Insel gestaltet. Er liegt zwischen alten Bootsrümpfen einer Schiffswerft und dem weißen Strand von Public, ein Restaurant mit großzügiger Terrasse und Blick auf das Meer und die vor Anker liegenden Yachten liegt gleich etwas weiter oben am Strand.

Die Friedhöfe auf Saint Barthélemy nehme ich als kraftvolle Orte wahr, die den Charakter der jeweiligen Gemeinde wiederspiegeln. Es sind Orte "Mitten im Leben", die fernab von Jetset und Luxus Raum für Trauer und Erinnerung schaffen. Ein Jahr nach Irma haben die Saint Barther ihre Trauerorte in liebevoller Kleinarbeit und mit großer Sorgfalt vollständig wieder aufgebaut.

Quellen:
–Collectivité de Saint Barthélemy - Carte d´urbanisme 2017, rapport de présentation
Adopté au Conseil Territorial du 24 février 2017 par délibération N° 2017-011 CT du 24 février 2017. http://www.comstbarth.fr/iso_album/2017-011_ct_-_2._rapport_de_presenta…
aufgerufen am 7. Januar 2019

Literatur:
–Cousin Bruno, Chauvin Sébastien, « L‘entre-soi élitaire à Saint-Barthélemy », Ethnologie française, 2012/2 (Vol. 42), p. 335-345. DOI : 10.3917/ethn.122.0335. URL : https://www.cairn.info/revue-ethnologie-francaise-2012-2-page-335.htm aufgerufen am 7. Januar 2019

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Tod in Wien (Januar 2019).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).