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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Totenmasken als Erinnerungszeichen

Autor/in: Holger Wende
Ausgabe Nr. 138, III, 2017 - August 2017

Nach Parmenides gibt es kein Werden und Vergehen, sondern nur ein SEIN.

Das Sein über den Tod hinaus zu verlängern ist ein wesensgleiches Minus zum Leben und doch versuchen sich die Menschen daran in verschiedentlichen Ausformungen. Eine davon ist die Totenmaske.
Totenmasken gab es schon im alten Ägypten vor über 3000 Jahren. Angeblich wurden schon im 8. Jahrtausend aus Gips Abformungen von Köpfen vorgenommen. Im antiken Griechenland wurden von reichen Staatsbürgern und Denkern Totenmasken gefertigt, manchmal sogar aus Gold.

Insbesondere im Bürgertum der Romantik war diese Art der perpetuierten Verewigung beliebt. Kant hat in der "Kritik der Urteilskraft" den Genie-Gedanken des begabten Menschen herausgearbeitet. Daraus erwuchs eine Bewegung der Anhimmelung des Genies, die selbstverständlich nach deren Tod auch weiter fortgeführt werden sollte: über die Totenmasken.

Im 19. Jahrhundert ist eine wahre Flut von Gipsabgüssen von Kunstwerken und lebenden Personen und Toten entstanden.
Künstler aus dem 20. Jahrhundert haben sich in Installationen darüber lustig gemacht, wie z.B. Olaf Metzel in seiner "Eichenlaubstudie" von 1986 in der Hamburger Kunsthalle.

1.Totenmasken als Wahrheitsbote?

Die Kulturwissenschaftlerin Claudia Schmölder schreibt "Totengesichter spielen eine zentrale Rolle im fazialen Diskurs, sie sind die Vorbilder und Erben der Fotografie. Rein logisch erlösen sie uns von der Maskenwelt: Tote können sich nicht mehr verstellen."

Klingt hübsch, ist aber trotzdem falsch. Tote sind keine Menschen. Menschen zeichnen sich aus durch ihr Sein, dass durch genau diese Bewusstseinsströme – Seele, seine Prägnanz in der Welt ausformt. Wenn das Bewusstsein des Ich qua naturbedingter Auslöschung nicht mehr vorhanden ist, ist der Blick auf den Rest nichts weiter als der Blick auf eine Körperlichkeit, die eo ipso nicht "unverstellt" sein kann, denn "unverstellt" ist die adverbiale Prädikation von Sein.

2. Die Totenmaske aus Trauerbegleiter-Sicht

Erinnerungszeichen zu Hause zu haben sind förderlich für den Umgang mit dem Verlust. Der Tod als nicht bestimmbarer Schnitter, bestimmt ohne Zustimmungsmöglichkeit des Trauernden und greift in dessen Selbstbestimmung ein. Die Erinnerung zu vergegenwärtigen ist ein kluger Weg der Trauer-Formung. "Sehen ist kein Abbilden der Realität, sondern ein Herstellen und Erzeugen. Sehen konstituiert visuelle Muster, die dem Menschen ermöglichen, sich mit der Wirklichkeit zu verbinden," schreibt Manfred Faßler (Billigkeit 2002). Die Menschen sind mit der "Differenzfolie Fiktion" gern unterwegs." Medien funktionieren aufgrund der "Fähigkeit des Menschen Fiktionen zu entwickeln und gedankliche Entwürfe", (Faßler S. 84). Manche Trauernden können sich so qua Phantasie und Erinnerungs-Fiktion in der Vergangenheit verfestigen, so dass sie ihr ganzes Leben um das Residuum des Seins stricken. Daher ist es sinnvoll Trauerbegleitungsangebote in Anspruch zu nehmen, wenn man sein Leben nur noch in der gelebten Vergangenheit fiktioniert. Trauerbegleitung heißt nicht, die Vergangenheit zu vergessen, sondern die Erinnerungen in eine ganzheitliche perspektivische Lebenskonzeption zu kanalisieren. Da kann die Totenmaske ein wohlfühlsamer Erinnerungsort sein, denn die Abformungen sind extrem genau, so dass man jede Hautpore einzeln zählen könnte, und jeder Schmiss wird gipsern verewigt. So wäre das Medium ein Vergewisserungs-Sein, ähnlich wie die abertausende Fotografien, die unser Erinnerungsgedächtnis beflügeln können.

3. Totenmasken vs. Totenfotografie

Eine gedankliche Fortführung der Totenmaske ist die Totenfotografie, die in Deutschland bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts in Mode war. Ob es ein pietätvoller Umgang mit dem Verstorbenen war, den Toten in ein Fotostudio zu verbringen, möchte ich ausdrücklich dahingestellt sein lassen. Im 21. Jahrhundert haben sich verschiedenen Fotografen aus unterschiedlichen Perspektiven auf den Weg gemacht die Totenfotografie wiederzubeleben. In dem sehr sehenswerten Bildband "Noch mal Leben" hat der Fotograf Walter Scheels Menschen in Schwarzweiß fotografiert – kurz vor dem Tod und kurz nach dem Tod. Das Umkreisen des unergründlichen Mysteriums Tod ist seit Jahrtausenden eine Herausforderung des menschlichen Denkens. Das Aufzeichnen der Seele ist vielleicht das Antriebsmoment, aber die Seele ist wie ein Engel unfassbar für die Physik und doch erinnerbar im Herzen. Thomas von Aquin schreibt: Engel sind unkörperlich und rein geistige Energie.

Ein anderer Weg der Totenfotografie kommt aus der Trauerbegleiter-Perspektive. Der Biologe Dr. Kreuels benutzt die Totenfotografie als Möglichkeit der Trauerauseinandersetzung. Kreuels beschreibt den Impetus Tote zu fotografieren im Death Café im Juni 2017 wie folgt: "Es geht gar nicht um schöne oder gute, ästhetische Totenfotografien, sondern um den Prozess der Auseinandersetzung mit dem Tod. Ich umkreise den Toten mindestens 30 Minuten in aller Stille, um den richtigen Winkel für das Bild zu finden, denn jeder Tote lächelt." Ein spannender Ansatz das Positive im Negativen – Tod – zu sehen: das Lächeln im Totenbett. (Man kann sich natürlich fragen, ob ein Lächeln ein Lächeln ist, wenn es nicht durch unser Seelen-Sein gesteuert wird und wir in unserem inneren Fiktionskarusell daraus ein Lächeln imaginieren.)

4. Totenmasken von Terroristen ausstellen?

2010 berichtet der Tagesspiegel aus Berlin, dass die Totenmasken von Ensslin, Raspe und Bader ausgestellt werden in einer öffentlich finanzierten Galerie. "Unzulässige Ikonisierung oder historisch wertvolle Dokumentation, Ehrung oder Inszenierung? Über Charakter, Leben und Taten der RAF-Terroristen sagen solche Masken nichts,..." Die Autorin Christina Tilmann schreibt vom "gipsmusealen Erinnerungsraum" über die Totenmasken. Ein hochkritisches Unterfangen, denn warum soll man solchen "Persönlichkeiten" mehr Erinnerung verschaffen, als sie sich schon im Traumagedächtnis der Erinnerungslandschaften der BRD-Bürger eingeschrieben haben.

5. Die Totenmaske als Ikone

"Ikone" (von griechisch eikón‚ Bild, Abbild). Die Totenmaske wird genau dann zur Ikone im Sinne einer Verstetigung der Erinnerung, wenn der Dargestellte eine Persönlichkeit von Rang und Wirkmächtigkeit war und damit in das kollektive Erinnerungsgedächtnis eingeschrieben wurde. So können wir z.B. Herrn Körber bewundern vor den Deichtorhallen, wobei das sicherlich eine Abformung des Lebens war und keine Totenmaske. Es gibt Totenmasken von vielen Herrschern, wie z.B. von Friedrich II., oder dem König von Mexiko und vielen antiken Herrschern.

6. Die Totenmaske als Selbstnobilitierung

Wenn man in der Familie verfügt hat, dass eine Totenmaske von einem selbst anfertigt wird im 21. Jahrhundert, könnte man auf die Idee kommen, dass es sich um eine Persönlichkeit handelt, die sehr von sich überzeugt ist. Gleichzeitig können solche Menschen mit narzisstischen Anwandlungen relativ schlecht damit leben, dass die Welt auch ohne sie existieren kann, und möchten zumindest ihre Macht weiter verbreitet sehen durch die Totenmaske als Erinnerungszeichen ihres Welt-Wirkens. Diese Menschengattung arbeitet darauf hin, dass sie Ikonifiziert wird und damit eine Unendlichkeitsdimension erklimmen kann.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Die Cholera in Hamburg 1892 (August 2017).
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