Der Historiker Florian Greiner untersucht in seiner Habilitationsschrift die kulturellen und zeithistorischen Veränderungen des Umgangs mit dem Sterben nach 1945. Die sehr umfangreiche und akribisch recherchierte Studie wurde mit dem Mieczysław-Pemper-Forschungspreis der Universitätsstiftung Augsburg ausgezeichnet. Mit seiner Arbeit will der Autor zeigen, dass das Sterben nach 1945 zu keiner Zeit etwas "Unsagbares" darstellte.

Vielmehr markiere "die bis heute omnipräsente These von der vermeintlichen Tabuisierung von Tod und Sterben in der modernen Gesellschaft einen wichtigen Bestandteil jener kulturkritischen Problemdiagnosen ..., die die Zeitgeschichte des Lebensendes prägten." So geht es ihm letztendlich darum, "das Verdrängungsnarrativ ... konsequent zu historisieren, seinen Erfolg zu erklären und seine Folgen zu analysieren."
Das erste der neun Hauptkapitel thematisiert die Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach wird unter dem Titel "Todestabu in der Moderne" die Herkunft und Ausbreitung dieses Gedankens analysiert. Der öffentliche Diskurs zu Tod und Sterben wird nachgezeichnet und der - öfters als vermeintlich bezeichneten - Tabuisierung des Todes gegenüber gestellt. Unter der Überschrift "1969: Das Buch, oder: die Erfindung des Sterbeaktivismus" geht der Autor auf die Forschungen von Elisabeth Kübler-Ross sowie auf die von ihr angestoßene Thanatologie und damit die fortschreitende Verwissenschaftlichung von Tod und Sterben ein und erörtert anschließend umfassend die Geschichte der Hospizbewegung und der von medizinischer Seite aufkommenden Palliativmedizin. Dabei sind die Untersuchung der Entwicklung auf beiden Seiten Deutschlands und ihr Vergleich eine der großen Stärken dieser Arbeit. Das Buch schließt mit der Pandemie im Jahr 2020 und der Frage, was das eigentlich sei: das "gute Sterben".
Diese sehr umfangreiche und äußerst verdienstvolle Untersuchung bietet damit zum ersten Mal eine unabhängige Darstellung der Entwicklung der Hospiz- und Palliativbewegung und bildet so eine außerordentlich breitgefächerte Grundlage für alle weiteren zeithistorischen Forschungen in diesem Bereich.
Florian Greiner, Die Entdeckung des Sterbens. Das menschliche Lebensende in beiden deutschen Staaten nach 1945. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte Band 137, Berlin/Boston 2023, 676 S., 33 Abb.