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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Toten der Franzosenzeit

Während der französischen Besatzungszeit war Hamburg 1806-1814 als Hauptort des "Département des Bouches de l’Elbe" im Generalgouvernement der Hanseatischen Departements und dazu ab 1811 als "bonne ville" in das französische Kaiserreich eingegliedert.

Damit galt für Hamburg zugleich der napoleonische Code Civil von 1804 und mit ihm auch erstmals die politische Gleichberechtigung von Juden und anderen Minderheiten. An die Besatzung erinnert zum Beispiel noch der Straßenname Franzosenkoppel in Lurup, aber auch französische Wörter wie Adieu, Tschüss, Chaussee, Allee sind weiter im Gebrauch. Den Hamburgern aber blieb die „Franzosenzeit“ lange als Schreckenszeit in Erinnerung, denn damals wurden nicht nur Kirchen als Pferdeställe benutzt. Zweihundert Jahre später ist diese Zeit nach dem Grauen beider Weltkriege verblasst und kaum jemand weiß noch von der Vertreibung bedürftiger Hamburger unter Marschall Davoust, der Hamburg zur Festung machte, vom entbehrungsreichen Winter 1813-1814 – und von den Toten aus dieser Zeit.


1 Hamburg-Barmbek, Pfennigsbusch/Ecke Kraepelinweg: Vorderseite Monolith. Grabdenkmal zur Erinnerung an die Toten, die nach Ausweisung durch Davoust 1814 in Barmbek an Hunger, Krankheit und Kälte starben

Gegen das Vergessen solcher Erinnerungen kämpft der Fachmann für die Napoleonzeit und Privatdozent an der Bundeswehrhochschule Helmut Stubbe da Luz seit Jahren an. Als engagierter Lehrer der Stadtteilschule Barmbek ermunterte er seine Schüler, sich 2009 am Tag des Offenen Denkmals 2009 zu beteiligen. Daraus entstand die Idee einer gemeinsamen Ausstellung mit dem Förderkreis im Museum des Friedhofs. Ein Jahr später war dann in Bonn die große Ausstellung „Napoleon und Europa. Traum und Trauma“. Darauf folgte 2013 in Paris "Napoléon et l’Europe. Le rêve et la blessure". Unterstützt vom Barmbeker Heimatforscher Georg Baumann war in Ohlsdorf schon im Winter 2009/10 die wesentlich bescheidenere Ausstellung "30.000 vertriebene Hamburger (1813/14) – Das Ende der Hamburger Napoleonzeit in Denkmälern" zu sehen. Übrig geblieben ist eine von Petra Schmolinske zusammengestellte Mappe im Museum des Förderkreises, die dank ihrer Spurensuche auf dem Friedhof erstaunlich viele Informationen über die Hamburger Toten aus dieser Zeit und über ihre Denkmäler im öffentlichen Raum birgt.


2 Alter Hammer Friedhof, Mahnmal Französischer Belagerungswinter 1813/14

So finden sich auf dem "Althamburgischen Gedächtnisfriedhof" bzw. im "Heckengartenmuseum" durch die Umbettung nach Ohlsdorf aus den alten, ab 1926 geräumten Friedhöfen über 20 Persönlichkeiten aus der Franzosenzeit – Bürgermeister, Pädagogen, Verleger, Pastoren, Kaufleute, Künstler, aber auch Bürgermilitär und Freiheitskämpfer. Zuerst auf dem Maria-Magdalenen-Friedhof aufgestellt, seit 1924 versetzt auf einen Platz gegenüber der Kapelle 4, steht ein Grabmal von 1832, das ursprünglich auf der "Ruhestaette der Mitglieder des Verein Hanseatischer Kampfgenossen von 1813 und 1814" aufgerichtet worden war. Statt der ursprünglichen Wappen von Bremen, Hamburg und Lübeck sind auf dem Zippus dazu die folgenden Sprüche zu lesen: "Ein Grab vereint die einst in den Tagen des Kampfes verbunden waren in fester Treue", "Gott war mit uns", und "Geweiht auch denen die im heiligen Kampfe gefallen sind – süss ist’s und ehrenvoll für’s Vaterland zu sterben".


3 "Ruhestaette der Mitglieder des Vereins Hanseatischer Kampfgenossen von 1813 und 1814, Hamburg-Ohlsdorf

Zahlreiche Vertreibungsspuren sind außerdem im ganzen Hamburger Raum zu finden. Zu Weihnachten 1813 ließ Marschall Davoust 30.000 Menschen gewaltsam aus der Stadt vertreiben, weil sie sich nicht verproviantieren konnten.


4 Gedenkstein für die 1138 Vertriebenen, die zunächst in Ottensen bestattet worden waren

Sie fanden in Ottensen, Barmbek und anderen Orten Aufnahme. Viele kamen in diesem entbehrungsreichen Winter um. So wurden in Ottensen 1.138 Tote in einem Massengrab bestattet. An sie erinnert das 1815 aufgestellte "Vertriebenendenkmal" in Planten un Blomen, das von Ottensen hierher gebracht wurde. In Barmbek steht ebenfalls noch ein Denkmal aus demselben Jahr für die dort rund 70 verstorbenen "Unterverproviantierten", ebenso existieren weitere in Hamm, Marmstorf, Altona-Ottensen, Bergstedt, Lohbrügge, Nienstedten und auch im weiteren Hamburger Umland.

Literatur:
- Barbara Leisner, Ellen Thormann, Heiko K.L. Schulze, Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf, Geschichte und Grabmäler, Band 2, Hamburg 1990, Ka.-Nr. 86
- Barbara Leisner, Memorials auf Hamburger Friedhöfen – Welche Erinnerung wird an den Orten des kollektiven Gedächtnisses und der Trauer bewahrt? OZT Nr. 111, IV/2010, S. 11-14
- Helmut Stubbe da Luz, Vergegenwärtigung – Trauerkultur – Zukunftperspektiven. Bemerkungen zur Ausstellung "30.000 vertriebenen Hamburger (1813/14) – Das Ende der Hamburger Napoleonzeit in Denkmälern" im Museum Friedhof Ohlsdorf. OZT Nr. 111, IV/2010, S. 8-10
- Hambourg et la France. Gemeinsame Vergangenheit und Zukunft. Passé et avenir communs. Eine Ausstellung der Staatlichen Pressestelle der Freien und Hansestadt Hamburg, 2013

Fotos: 1: Von Roland.h.bueb - Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91058220. - 2: Von NordNordWest - Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=24966031. - 3: Christine Behrens. - 4: Von User:Wmeinhart - Wolfgang Meinhart, Hamburg - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15096133

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