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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Seebestattung meines Vaters

Neulich gingen wir auf dem Deich am Ostseestrand spazieren. Im Gras lag ein Blumenkranz, dem man ansah, dass er im Wasser gelegen hatte.

Kranz
Im Gras lag ein Blumenkranz. Foto: K. Siedler

Da erinnerte ich mich an die Seebestattung meines Vaters. Er starb vor einer Reihe von Jahren in den letzten Tagen des Oktobers nach einer längeren Krankheit. Wir hatten eines Tages zusammengesessen, als er anfing über sein Leben zu sprechen und mir dabei zu verstehen gab, dass er zufrieden daraus scheiden würde. Über seine Beerdigung wechselten wir kein Wort.

Nach seinem Tod erklärte meine Mutter, dass er eine Seebestattung gewünscht habe. In jungen Jahren war er ein Jahr lang als Schiffsarzt um die Welt gefahren. Außerdem war er in einer Hafenstadt an der Ostsee geboren und hatte dort fast sein ganzes Leben verbracht. Der Wunsch war also nicht aus der Luft gegriffen.

Die Trauerfeier fand in einer kleinen Friedhofskapelle statt; nur die engsten Angehörigen und wenige Freunde; keine Rede; ein Vaterunser gesprochen von der Bestatterin und Musik. Etwas befremdet stand ich im Anschluss daran vor der Kapellentür und sah zu wie der Sarg in den Leichenwagen geschoben und weggefahren wurde. Ein Zeichen unserer mobilen Zeit, dachte ich. Der Sarg wird nicht in die Erde gesenkt, sondern ins Krematorium transportiert. Aber eigentlich passte das zu meinem Vater. Sein Auto war ihm wichtig gewesen.

Mitte November kam die Nachricht, dass die Seebestattung stattfinden sollte. Wir fuhren zu dritt nach Kiel, mein Mann, mein achtjähriger Sohn und ich. In dem kleinen Hafen von Möltenort gingen wir an Bord. Meine Mutter, meine Geschwister mit ihren Ehegatten und meine kleine Familie, dazu nur noch eine enge Freundin meiner Eltern. In der Kabine war eine Nische, in der die Urne mit der Asche meines Vaters auf einem Sockel stand. Draußen ein grauer stürmischer Herbsttag. Drinnen gedrückte Stimmung. Das kleine Schiff legte ab und fuhr Richtung offene See. Je weiter wir hinausfuhren desto bewegter wurde das Meer. Bald sah ich, dass mein Mann blass wurde und an die frische Luft ging. Mein kleiner Sohn folgte ihm nach kurzer Zeit in derselben Verfassung. Zu meiner Trauer um den Vater kam jetzt die Sorge um die Meinen. Beiden ging es richtig schlecht. Sie vertrugen die Schaukelei nicht und hätten viel darum gegeben, von Bord gehen zu können.

Endlich waren wir an der Stelle angelangt, wo die Urne versenkt werden konnte. Sie wurde aus der Kajüte getragen, jemand läutete die Schiffsglocke, der Kapitän – oder war es jemand anderes? – sagte ein paar Worte, die ich sofort wieder vergaß. Dann hielt er die Urne über Bord und ließ sie ins Meer gleiten, wo sie schnell versank. Wir standen an der Reling, sahen zu und warfen ein paar Blumen hinterher. Danach gingen alle wieder in die Kabine; alle, bis auf meinen Sohn und meinen Mann. Der Junge lag frierend und bleich auf einer Bank. Ich saß neben ihm, hielt seinen Kopf und versuchte ihn warm zu halten. Mein Mann saß auf der anderen Seite der Kajüte und wollte nichts hören und nichts sehen. Wie froh war ich, als das Schiff zurück in die Förde fuhr und das Meer wieder etwas ruhiger wurde. Aber erst an Land konnte ich aufatmen.

Seitdem bin ich sicher, dass ich meiner Familie niemals mehr eine Seebestattung antun würde.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Seebestattung (Dezember 2014).
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