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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Feuerbestattung und Krematorium - Ein Reformprojekt des späten 19. Jahrhunderts

Feuerbestattung und Krematorien sind die Ausdrucksformen des modernen, technisierten Umgangs mit dem Tod. Sie entsprechen der rationalisierten Gesellschaft des bürgerlichen Industriezeitalters, denn sie haben die Bestattung effizienter gestaltet.

Die Einführung der modernen Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert bildet die bedeutendste Zäsur im Bestattungswesen der letzten Jahrhunderte – eine Zäsur, deren Folgen bis heute fortwirken.

Allerdings ist die Feuerbestattung an sich keine Erfindung der Moderne. Historisch gilt sie zusammen mit der Erdbestattung als wichtigste Bestattungsart und war in vorchristlicher Zeit in Europa ebenso üblich wie sie zur Tradition verschiedener außereuropäischer Kulturen gehört. Frühere Leichenverbrennungen fanden in offenem Feuer statt. Das sich ausbreitende Christentum hatte die Feuerbestattung über Jahrhunderte hinweg regelrecht tabuisiert, bevor sie im 18. Jahrhundert wieder stärker ins gesellschaftliche Blickfeld rückte. Im Kontext von Aufklärung, Reform und Revolution gab es in Frankreich und Deutschland utopische, nie realisierte Ideen zur Wiedereinführung der Leichenverbrennung.

Erst jene in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftretenden infrastrukturellen Probleme in den Städten, die mit der Industrialisierung zusammenhingen, verhalfen der modernen Feuerbestattung zum Durchbruch. Die Einäscherung wurde nun als hygienische und kostengünstige Lösung der Raumprobleme auf städtischen Friedhöfen propagiert – sie galt als modernes Reformprojekt. Letztlich war es ein in sich verwobenes Faktorenbündel aus städtischem Bevölkerungswachstum, Raumnot auf den Friedhöfen und wachsender Sensibilität für hygienische Probleme, das im späten 19. Jahrhundert den Bau der ersten Krematorien ermöglichte. Auf allgemeine Weise begünstigend wirkten der technische Fortschritt und vor allem die gesellschaftliche Säkularisierung, also der wachsende Bedeutungsverlust der Kirchen. Hinzu kam nicht zuletzt eine berufsspezifische Interessenpolitik, etwa von Hygienikern, Medizinern und Ingenieuren, die die Feuerbestattung unterstützte.

Einäscherungsapparat
Einäscherungsapparat System Schneider für das Hamburger Krematorium (1892) Repro: Fischer

Vor diesem Hintergrund entfaltete sich in Deutschland seit den 1870er-Jahren eine in Vereinen organisierte Feuerbestattungsbewegung. Ihr wichtigster gesellschaftlicher Gegner waren die Kirchen, vor allem die katholische (die übrigens die Feuerbestattung bis in die 1960er-Jahre hinein verbot). Trotz dieser Widerstände konnten unter Regie der Feuerbestattungsvereine die ersten deutschen Krematorien in Gotha (1878), Heidelberg (1891) und Hamburg (1892) eröffnet werden. Architektonisch bildeten sie zum Teil seltsam anmutende Erscheinungen, geprägt vom Historismus der Kaiserreich-Zeit.

Urnenhalle Gotha
Urnenhalle Krematorium Gotha (1878) (Foto: AFD)

Erst die Krematorien von Peter Behrens in Hagen/Westf. (1909) und Fritz Schumacher in Dresden (1911) fanden zu modern-funktionalerer Gestaltung.

Krematorium Hagen
Krematorium Hagen /Westf. von P. Behrens (1909) (Foto: Fischer)

Um 1910 gab es bereits 20 Krematorien in Deutschland. Dennoch blieb die Feuerbestattung vor dem Ersten Weltkrieg weitgehend Angelegenheit einer schmalen Schicht innerhalb des aufgeklärten Bürgertums. Für die weitere Geschichte der Feuerbestattung sollte es von großer Bedeutung sein, dass sie dank der Volks-Feuerbestattungsvereine auch in breiten Arbeiterkreisen Fuß fassen konnte. Dies geschah im wesentlichen nach dem Ersten Weltkrieg. Nun erwies sich die Feuerbestattung als ein entscheidender Baustein der Rationalisierung im kommunalen Bestattungswesen. Immer mehr Krematorien waren inzwischen in kommunale Hände übergegangen bzw. von den Städten neu errichtet worden. Durch gezielte Gebührensenkungen gelang es den Kommunen, die Einäscherungszahlen deutlich zu steigern und die Krematorien besser auszulasten. Anfang der 1930er-Jahre gab es in Deutschland bereits über 100 Krematorien. Dieser Aufwärtstrend der Feuerbestattung hat sich bis heute fortgesetzt – mit allerdings nach wie vor deutlichen regionalen Unterschieden und einem starken Stadt-Land-Gefälle.

Das Krematorium vereint erstmals wichtige Etappen der Bestattung funktional in einem einzigen Gebäude: Es ist Verwahrort für Leichen, Ort der Trauerfeier und Ort der Einäscherung – einige Krematorien sind mit ihren Kolumbarien (Urnenhallen und -nischen) auch Beisetzungsort. Das Krematorium ist zum architektonischen Zeugnis eines pragmatischen Umgangs mit dem Tod geworden, weil es die Bestattung durch einen möglichst reibungslosen, ineinandergreifenden Ablauf funktionalisierte und effizient gestaltete.

Darüber hinaus veränderte die Feuerbestattung das Erscheinungsbild der Friedhöfe im allgemeinen und die Grabgestaltung im besonderen. Da Aschengräber erheblich weniger Raum als Erdgräber benötigen, wurden sie bereits im Zuge der im frühen 20. Jahrhundert einsetzenden Friedhofsreform bevorzugt. Die Aschengräber ermöglichten jene strenge Homogenität, die von den Reformern gewünscht wurde und bis hin zur Serialisierung der Grabstätten reichte. Die effizientere Nutzung der Friedhofsfläche war Element jener bürgerlich-industriellen Rationalisierungsprozesse, die spätestens seit den 1920er-Jahren auch die Friedhöfe erfasste – eine Entwicklung, die mittlerweile in der zunehmenden Rasenbeisetzung (sog. "anonyme" Beisetzung) eine weitere Steigerung erfahren hat.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Feuer und Asche (August 2006).
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