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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Wandlungen eines Krematoriums

Als zweites Krematorium Deutschlands wurde nach Gotha 1891 auch in Hamburg eine Leichenverbrennungsanlage fertiggestellt. Sie ist heute mit der Bezeichnung Altes Krematorium bekannt.

Über ein Jahr dauerte es, bis der Betrieb für etwa 40 Jahre aufgenommen werden konnte. Jahrzehnte später sollte es abgerissen werden, erhielt aber Denkmalschutz und beherbergt heute ein Restaurant: ein ungewöhnlicher Lebenslauf eines sepulkralen Bauwerks.

In Hamburg und seiner damals selbstständigen Nachbarstadt Altona gründete sich 1883 ein Feuerbestattungsverein mit dem Ziel der gesetzlichen Einführung dieser Art von Bestattung. Es gelang dem Verein, 1884 die Hamburger Bürgerschaft für sein Anliegen zu gewinnen. Der Hamburger Senat jedoch nahm lange Zeit eine abwehrende Haltung ein. Er konnte sich 1885 dennoch dazu durchringen, die Genehmigung in Aussicht zu stellen für den Fall, dass der Verein den Bau einer Leichenverbrennungsanlage auf privater Basis übernimmt und den Bedarf nachweist.

Unter den etwa 400 Mitgliedern des Feuerbestattungsvereins waren inzwischen ausreichende finanzielle Mittel gesammelt worden, so dass dieser 1887 im Stadtteil Eppendorf ein Grundstück ankaufen konnte. Ein Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben, den 1. Preis erhielt der Architekt Ernst Paul Dorn. Der Senat lehnte diesen Standort für den Bau eines Krematoriums jedoch ab. 1890 wurde der Platz verkauft und ein Grundstück an der Alsterdorfer Straße in der Nähe des Ohlsdorfer Friedhofs für 28 000 Mark erworben. Hier konnte alsbald mit dem Bau des Krematoriums nach den preisgekrönten Plänen begonnen werden. Zur "Grundsteinlegung des Crematoriums des Vereins für Feuerbestattung" am 18. Oktober 1890, beginnt der Bericht einer hamburgischen Tageszeitung mit folgenden Zeilen: "Obige Feier fand auf dem Friedhofe für Feuerbestattung in Ohlsdorf gestern Nachmittag kurz vor 4 Uhr unter zahlreicher Betheiligung von Mitgliedern des Vereins für Feuerbestattung in Hamburg und Freunden der Sache statt."

Ernst Paul Dorn schuf ein Gebäude im Stil des späten Historismus. Stilelemente barocker Kapellen, romanischer und byzantinischer Kirchen wie auch italienischer Profanbauten verband er in freier Anordnung miteinander. Auffallend ist der 25 m hohe Schornstein, der an ein Minarett erinnert. Als Grundriss wählte er einen achteckigen Zentralbau. Mit dem 1911 erfolgten zweigeschossigen Anbau für einen Warteraum nach Plänen des Architekten Ricardo Bahre veränderte sich die ursprünglich symmetrische innere und äußere Gestaltung des Gebäudes. Am 7. Juli 1891 fand die erste Probeverbrennung mit Tierkadavern statt und am 22. August des gleichen Jahres die Einweihung. Der offizielle Einäscherungsbetrieb musste aber immer wieder hinausgeschoben werden. Die Uneinigkeit zwischen Senat und Bürgerschaft über die noch ausstehenden gesetzlichen Bestimmungen zur Genehmigung der Feuerbestattung in Hamburg verhinderten die Inbetriebnahme der fertigen Leichenverbrennungsanlage. Die in ihren Ausmaßen katastrophale Cholera-Epidemie in Hamburg im August 1892 brachte die Wende. Der Senat begründete seine plötzliche Bereitschaft u.a. mit der gewachsenen Bedeutung der Feuerbestattung als eine hygienische Bestattungsform. Am 17. November trat mit der "Bekanntmachung betr. das Feuerbestattungswesen" das längst fällige Gesetz in Kraft. Zwei Tage später fand die erste Leichenverbrennung in Hamburg statt.

Sehr schnell wurde das Krematorium zu einer Sehenswürdigkeit der Stadt, es gab Ansichtskarten zu kaufen und gegen 50 Pfennig Eintritt konnte man das Gebäude besichtigen. Dazu beigetragen haben mag auch der romantisch angelegte Urnenhain. Er entstand in den Jahren zwischen 1901 und 1904, nachdem 1903 Urnenbeisetzungen auch außerhalb des Gebäudes gesetzlich erlaubt wurden. Die Gestaltung lag in den Händen des Friedhofsdirektors Wilhelm Cordes und entsprach ganz seinen landschaftlichen Planungsprinzipien, die er mit Erfolg auf seinem Ohlsdorfer Friedhof anwendete. Vor dem Gebäude entstand aus rotem Mainsandstein in neobarocker Form eine Terrasse mit einer Umfassungsmauer, oben abschließender Balustrade und einer geschwungenen Treppe. Ihr vorgelagert war ein Rosengarten, in dem Urnen beigesetzt werden konnten. Hinter dem Krematorium war das Gelände modelliert und von geschwungenen Wegen erschlossen. Insgesamt stellte sich der Urnenhain als Gartendenkmal des Historismus dar.

Die jährliche Anzahl der Einäscherungen blieb wie auch in anderen Städten Deutschlands zunächst gering. Zwei Jahre nach Inbetriebnahme ist die 67. Einäscherung besonders zu erwähnen. Es war die des als Dirigent und Klaviervirtuose berühmt gewordenen Hans von Bülow. Er starb am 12. Februar 1894 auf einer Reise in Kairo. Sein Leichnam wurde nach Hamburg überführt. Die ergreifenden Beisetzungsfeierlichkeiten in der St. Michaeliskirche und im Alten Krematorium sind ausführlich dokumentiert in: "Ruht wohl, ihr teuren Gebeine - die Trauerfeiern für Hans von Bülow" von Bernhard Stockmann. Der Dankgesang im Krematorium, vorgetragen von Sängern des Hamburger Stadttheaters, wurde am Harmonium von Gustav Mahler begleitet.

Da der Friedhofsverwaltung Ohlsdorf seit langem an einer Förderung der Feuerbestattung gelegen war, erwarb die Stadt Hamburg 1915 das Krematorium vom Feuerbestattungsverein und senkte den Preis der billigsten Bestattung von 15 RM auf 6 RM. Die jährliche Anzahl der Verbrennungen betrug im Jahr der Übernahme nur 537 und steigerte sich auf 2 788 im Jahr 1926. Diese enorme Überlastung der Einäscherungsanlage führte dann zum Bau des Neuen Krematoriums auf dem Ohlsdorfer Friedhof. 1933 wurde es in Betrieb genommen und gleichzeitig das Alte Krematorium stillgelegt. Trauerfeiern für Urnenbeisetzungen im Urnenhain fanden weiterhin bis 1949 statt. Das Schicksal des Krematoriums blieb dann im Ungewissen, auch als 1954 per Gesetz die Schließung und Aufhebung des Urnenfriedhofs zum Ende des Jahres 1979 beschlossen wurde und 1962 sogar eine Abbruchanzeige für das Krematorium und Genehmigung des Abbruchs durch die Baubehörde der Stadt erging. Einbrüche und Sachbeschädigungen am und im Gebäude nahmen zu. Später musste die Polizei sogar gegen schwarze Messen und Gruftifeten vorgehen.

Der erste und behördeninterne Anstoß zur Erhaltung und einer anderen Nutzung der Gesamtanlage ging 1975 vom Garten- und Friedhofsamt der Baubehörde aus. Ein Jahr später erstellte das Denkmalschutzamt der Stadt Hamburg ein Gutachten. Im Ergebnis wurde die hohe geschichtliche und kunstgeschichtliche Bedeutung des Gebäudes hervorgehoben, das Denkmalschutzwürdigkeit beanspruchen kann. 1978 folgte das Staatsarchiv mit der Nennung von 20 Gräbern im Urnenhain, auf denen herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bestattet sind, u.a. das Grab der am 15. Dezember 1933 verstorbenen Malerin der Hamburgischen Sezession Anita Rée. Alsbald wurden erste Stimmen aus der Bevölkerung zur Erhaltung des Alten Krematoriums laut, Presse und Lokalpolitiker nahmen sich des Themas an. 1981 konnte dann nicht nur das Gebäude, sondern auch "das umgebende Parkgelände" unter Schutz gestellt und in die Denkmalliste aufgenommen werden. Damit wurde deutlich, dass Gebäude und Außenanlagen untrennbar als ein schützenwertes Ensemble anzusehen sind. Die Ereignisse der nächsten Jahre überstürzten sich zwar nicht, aber Möglichkeiten zur Erhaltung konkretisierten sich. Sie scheiterten jedoch immer wieder an der fehlenden Nutzung des Gebäudes und ihrer Finanzierung. 1980 erstellte die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal in Kassel AFD ein Gutachten zur Einrichtung eines Sepulkralmuseums im Alten Krematorium und gab damit Anstoß zu weiteren Vorschlägen und Nachfragen der Nutzung wie

Institut für Psychoanalyse

Permanente Mustermesse, z.B. für Naturstein und friedhofsgärtnerische Anlagen

Geschäftsstelle der Architektenkammer Hamburg

Gemeindezentrum einer religiösen Gemeinschaft

Veranstaltungsgebäude für die Großindustrie

Restaurationsbetrieb

Islamisches Kulturzentrum

Altenheim

Fotoatelier

Modeakademie

Und immer wieder fragen Kunst- und Architekturstudenten nach Informationen über das Gebäude und entwickeln Ideen, auch in Form von Diplomarbeiten.

Insbesondere sind die dann folgenden Aktivitäten zu nennen:

1982 Die Handwerkskammer Hamburg bietet mit Arbeitsleistungen zu Selbstkostenpreisen ihre Mithilfe an.

1983 Der Verein "Rettet das Alte Krematorium" wird gegründet. Das Ergebnis seiner Unterschriftensammlung überreicht er höchstpersönlich dem Ersten Bürgermeister der Stadt. Mit spektakulären Veranstaltungen auf dem Krematoriumsgelände macht der Verein auf sein Anliegen aufmerksam.

1984 erfolgt auf Antrag des Senats eine Kostenermittlung zur äußeren Restaurierung des Gebäudes "unter Dach und Fach".

1985 Die Bürgerschaft stimmt den vom Senat beabsichtigten Maßnahmen der Restaurierung zu, veranschlagte Kosten 775 000 DM. Ende des Jahres beginnen die Arbeiten im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

1986 Der Verein schreibt in Verbindung mit der Kulturbehörde einen bundesweiten Wettbewerb zur "Ansprache von Übernahmeinteressenten und deren Nutzungsvorstellungen für das Alte Krematorium" aus, jedoch ohne Erfolg.

1991 Der Verein "Rettet das Alte Krematorium" löst sich auf, da sein Zweck erfüllt ist. Zugleich überträgt er sein Vermögen auf den "Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof" "für die zweckgebundene Förderung von kulturhistorischen Projekten zur Geschichte der Feuerbestattung".

1992 Der "Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof" richtet im Verwaltungsgebäude des Friedhofes Ohlsdorf und im Alten Krematorium die Ausstellung "Tod und Technik - 100 Jahre Feuerbestattung in Hamburg" aus. Begleitende Vorträge und eine gleichnamige Broschüre des Vereins runden die Ausstellung ab.

1996 Im Rahmen des "Tages des offenen Denkmals" werden etwa 400 Besucher durch das Gebäude geführt. Führungen und Erläuterungen leistet der Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof. Im folgenden Jahr haben die Führungen den gleichen Erfolg.

Das Jahr 1996 wurde dann zu einem Meilenstein in der Geschichte des Krematoriums. Die Nordbau, ein Wohnungsbau- und Betreuungsunternehmen, kaufte das benachbarte Grundstück einer ehemaligen Gärtnerei an, um dort Seniorenwohnungen zu errichten: die Rathenau-Residenz. Gleichzeitig erwarb sie das denkmalgeschützte Areal des Alten Krematoriums zu einem ideellen Preis mit der Auflage, es einer Nutzung zuzuführen. Das Ergebnis: Der Sepulkralbau wird zu einem Restaurant umgebaut. "Es kommt nun Leben ins Krematorium", wie eine Tageszeitung diese Wandlung kommentierte.

1998 war es soweit, ein Gourmet-Tempel mit Namen "Alsterpalais" öffnete seine, d.h. die des Krematoriums, Pforten. Durch einen melodramatischen Vorhang hindurch trat man in den ehemaligen Kuppelsaal des Abschiednehmens, in seiner Mitte ein futuristisch anmutender kreisrunder Bartresen und dahinter dann die Treppe, die ins Untergeschoss führte, dorthin wo man sich am Büfett bedienen konnte und die Küche installiert war. Wer weiß schon, dass sich an dieser Stelle früher eine Einrichtung befand, die vor hundert Jahren der Vorsitzende des Feuerbestattungsvereins Eduard Brackenhoeft wie folgt beschrieb: "Nach Schluß der Rede und Einsegnung der Leiche durch den Geistlichen öffnet sich der mittlere Teil des Katafalks, und der blumengeschmückte, oft noch während des Versenkens von den Angehörigen und Freunden mit duftenden Gaben der Liebe zum Abschied bestreute Sarg mit Kränzen und Blumen entschwindet vermöge einer selbsttätigen Versenkungsvorrichtung unhörbar und für die Augen kaum bemerkbar den Augen der Leidtragenden."

Dennoch, die Patriotische Gesellschaft in Hamburg verlieh dem Bauherrn 1999 einen Preis für Denkmalpflege. Ihre Laudatio endet " ... das Alte Krematorium ist gerettet. Die Arbeit aller Beteiligten hat sich gelohnt. Hamburg hat ein Denkmal mehr". Man könnte hinzufügen: und einen Sepulkralbau weniger. Das Konzept des Alsterpalais' ging nicht auf. Seit kurzem bewirtschaftet ein neuer Pächter das Restaurant, mehr schlecht als recht. Die Wandlung des Alten Krematoriums scheint noch nicht abgeschlossen zu sein.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft 125 Jahre Krematorien in Deutschland (November 2003).
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