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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

50. Todestag von Paul Abraham

Mit einer Kranzniederlegung am Grab ihres berühmten Landsmanns gedachte die Republik Ungarn am 6. Mai 2010 des 50. Todestages des Komponisten Paul Abraham.

Kranzniederlegung
Der Botschafter der Republik Ungarn S. E. Sándor Peisch legte am 6. Mai am Grab von Paul Abraham einen Kranz nieder. In seiner Begleitung kam Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck.
Foto: P. Schulze

Paul Abraham, ungarisch Pál Ábrahám, wurde am 2. November 1892 als Sohn eines Bankdirektors in Apatin, damals im österreichisch-ungarischen Reich der Habsburg-Monarchie, heute in Serbien gelegen, geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters übersiedelte er nach Budapest, wo er Bürgerschule und Handelsakademie absolvierte. Von 1910 bis 1916 studierte er an der dortigen Landesakademie für Musik Cello und Komposition. Bei Akademiekonzerten wurden erste eigene Kompositionen aufgeführt, unter anderem ein Cellokonzert, ein Streichquartett und eine ungarische Serenade ("Magyar szerenád").

1927 erhielt Paul Abraham die Stelle eines Kapellmeisters am Fövárosi Operettszínház, dem Operettenhaus von Budapest, wo er am 13. Oktober 1928 auch seine erste vollständig eigene Operette "Der Gatte des Fräuleins" zur Aufführung brachte. Am 21. Februar 1930 folgte dann jenes Werk, das den Komponisten von der Budapester Peripherie in das damalige Theaterzentrum Berlin katapultierte: "Viktoria". Trotz ihres konventionellen deutschen Titels "Viktoria und ihr Husar" wirkte die Musik Abrahams ungeheuer modern. Das lag vor allem an Jazznummern, wie sie in der Operette nie zuvor gewagt worden waren. Während die Musik anderer Komponisten musikalisch noch dem Wiener Walzer verbunden waren, spiegelten Abrahams Stücke den Zeitgeist nach dem Ersten Weltkrieg wider. Im amerikanischen Jazz artikulierte sich das neue Lebensgefühl. Abraham ließ sich davon inspirieren und integrierte auf ganz eigene Weise den Jazz in die Operette. "Es gibt in der Operettengeschichte keinen anderen Komponisten, der einen solchen Klang, eine solche Wirkung wie Abraham entfaltete", sagt der Musikwissenschaftler Kevin Clarke.

Über Nacht berühmt und durch Tantiemen für ausverkaufte Häuser und Schallplattenverkäufe vermögend geworden, kaufte er sich eine Villa in Berlin und war bald für rauschende Feste, die er dort mit Freunden und Kollegen fast täglich feierte, stadtbekannt. Abraham avancierte in den frühen dreißiger Jahren auf Bühne und Leinwand zu den beliebtesten und bestbezahlten Komponisten. Seine Operette "Blume von Hawaii" trat ab 1931 ihren weltweiten Siegeszug an. "Ball im Savoy", uraufgeführt im Dezember 1932, wurde bei der Premiere vom Publikum ebenso umjubelt. Wie ihre Vorgänger, wurde auch diese Operette bald nach der Bühnenpremiere mit Starbesetzung verfilmt. Es war der politische Umbruch wenige Wochen später, der dem Erfolg von "Ball im Savoy" ein Ende setzte. Was eben noch Millionen begeisterte, galt fortan nicht mehr als opportun. Was eben noch Jazz war, hieß bei den Nazis "Niggermusik" und verschwand von den Spielplänen.

Als ungarischer Musiker mit jüdischer Abstammung musste Paul Abraham nach dem Machtantritt der Nazis Anfang 1933 überstürzt Deutschland verlassen. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich auf dem Höhepunkt seiner ebenso steilen wie kurzen Karriere. Seiner Rückkehr nach Budapest aber folgte ein schleichender Abstieg. Konnte er sich anfangs noch in Wien und Budapest als Operettenkomponist halten, u.a. mit der Fußball-Operette "Roxy und ihr Wunderteam", erging es ihm ab 1938 schlechter. Im Frühjahr 1939 verließ er schließlich Ungarn allein ohne seine nicht jüdische Frau, die ihm in die Emigration nicht folgen wollte. Über ein Jahr blieb er in Paris, ehe er sich nach einer Irrfahrt über Casablanca und Havanna schließlich nach New York retten konnte.

Dort, wo George Gershwin und Cole Porter die Musikszene geprägt hatten, konnte er als Komponist nicht mehr Fuß fassen. Abgeschnitten von den gewohnten Einkünften, ohne Zugriff auf den Großteil seiner Tantiemen, lebte Abraham, unterstützt von seinem Verleger, in einem Hotel. Zermürbende Erfolgslosigkeit und der sich rasch verschlechternde Gesundheitszustand mündeten in einen Zusammenbruch. Nachdem er auf der Madison Avenue, mitten im tosenden Autoverkehr, ein imaginäres Orchester dirigiert und beim Friseur erzählt hatte, er habe am Abend eine große Premiere, riefen Freunde im Januar 1946 ärztliche Hilfe. Die Diagnose der Ärzte war schnell gestellt: Syphilis im Spätstadium. Die Krankheit hatte bei Abraham bereits irreparable Hirnschäden hervorgerufen, die die psychischen Störungen erklärten. Er kam in eine Nervenheilanstalt.

Zehn Jahre lebte er im New Yorker Creedmoor State Hospital auf Long Island. Sein Besuchervisum war längst abgelaufen, er lebte ohne rechtliche Basis in New York. Finanziert wurde sein Klinikaufenthalt durch die nun wieder besser fließenden Tantiemen. Als man nach Jahren, in denen er in Europa völlig in Vergessenheit geraten war, durch einen Artikel im "Aufbau" in Deutschland von seinem Schicksal erfuhr, wurde von Freunden des Komponisten in Hamburg ein "Abraham-Komitee" gegründet. Diese Gruppe bemühte sich darum, Paul Abraham, dessen Werke nach dem Kriege hier wieder gespielt wurden, nach Deutschland zurückzuholen. Als dies 1956 endlich gelang, war Abraham nur noch ein Schatten seiner selbst. Nach einem 16monatigen Aufenthalt in der Psychiatrie des Universitätskrankenhauses Eppendorf, bezog er mit seiner aus Ungarn freigekommenen Frau Charlotte eine Wohnung in der Nähe der Klinik.

Paul Abraham, der bis zuletzt glaubte, er befinde sich in New York, starb am 6. Mai 1960 an den Folgen einer wegen der Entfernung eines Krebsgeschwürs notwendigen Knieoperation. Er wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. Seine Ehefrau erwarb das Nutzungsrecht an dem zweistelligen Wahlgrab, Lage: O 11, 123 / P 11, 89, für sich und ihren verstorbenen Ehemann Paul Abraham.

Quellen:

Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, ab 2005 an der Universität Hamburg herausgegeben von Claudia Maurer Zenck und Peter Petersen unter Mitarbeit von Sophie Fetthauer.

Katja Behling in "tachles, das jüdische Wochenmagazin", 7. 3. 2008, 8. Jahrgang, Ausg. 10.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Porträts auf Grabmälern (Mai 2010).
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