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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Die Totenfeiern der westafrikanischen Grebo, Teil II

Teil I, Sterben und Tod bei den westafrikanischen Grebo, erschien in Ausgabe Nr. 107, IV, 2009

Die Grebo (auch Glebo) betreiben wie an der afrikanischen Westküste üblich Landwirtschaft durch Brandrodung. Da nach dem Abbrennen des Urwalds der tropische Regen die Nährstoffe schnell aus dem Boden spült, bleibt das Farmland nur für zwei bis drei Ernten fruchtbar. Deshalb legen die Grebo immer neue Farmen an, oft zwei bis drei Tagesreisen von ihren Dörfern entfernt, und errichten dort einfache, kleine Hütten. Zur Pflanz- und Erntezeit leben die meisten Grebo in den Farmdörfern. Wenn während dieser Zeit jemand stirbt, richtet die Familie einige Tage nach der Beerdigung, die im Tropenklima schnell erfolgen muss, die "kleine Totenfeier" aus. Nach dem Tode eines nahen Angehörigen müssen die Grebo vier Wochen lang weinen. Als Ausdruck der Trauer um Ehegatten oder Eltern lassen sie ihre Köpfe kahl scheren. Die "große Totenfeier" erfolgt dann daheim in den Dörfern gemeinsam für alle im vergangenen Erntejahr Verstorbenen während der trockenen Monate Februar und März. Auch wenn jemand außerhalb der Farmzeit im Heimatdorf verstirbt, erhält er zwei Totenfeiern, gleich nach der Beerdigung und zum Ende der Trauerzeit.1

Die Kriegstänze

Die Grebo galten als ein kriegerisches Volk. Während der "großen Totenfeier" vollführen die Männer des Dorfes den traditionellen Kriegstanz Doklo. Am Dorfplatz, unter einem aus Stöcken und Bananen- oder Palmblättern errichteten, manchmal mit bunten Umschlagtüchern geschmückten Baldachin warten die klagenden Frauen, ihre Köpfe kahl geschoren. Vor ihnen wird der Besitz des Toten öffentlich zur Schau gestellt. So befanden sich auf einem kleinen Holzkasten eine Flasche mit Wasser, zwei Plastikbecher und daneben zwei Fußringe als Zeichen eines hohen Priesters oder Medizinmannes.

Baldachin
Trauernde Frauen unter Baldachin.
Whole Gravy, Maryland County, 7.3.1961
Foto: H. Kalthoff

Wenn die Trommler, manchmal begleitet vom unheimlich klingenden Kriegshorn, beginnen, ihre unterschiedlichen Trommeln zu schlagen, schreiten die jüngeren Männer, oft mit einem bunten Tuch über dem Arm, einzeln und betont würdevoll zum Sammelplatz am Dorfeingang. Sie sind Angehörige der Kriegerklasse Sidibo (auch Gbo), der jeder verheiratete, gesunde Grebomann angehört. Sidibo tanzt den Kriegstanz Doklo und erledigt auch öffentliche Arbeiten, wie das Freihalten der Wege, Brückenbau u. a. Als Knaben waren sie Mitglieder des Chiehnbo und erfüllten einfache Aufgaben wie das Säubern des Dorfplatzes. Als unverheiratete Männer gehörten sie dem Kinibo an, der die Beschlüsse des Rates aller Dorfbewohner durchsetzen muss.2 Vor dem meist am Dorfplatz gelegenen Medizinhaus, dem Takae, haben der hohe Priester (Bodio) mit dem Eisenring am linken Unterschenkel und die anderen Honoratioren Platz genommen, um den Kriegstanz abzunehmen.

Trommler
Trommler vor dem Kriegstanz.
Wotchloke, Zodoke Subdistr., 3.2.1958.
Aus: Kalthoff, H.: S. 263, Abb. 108

Jedes größere Dorf hat zwei Offiziere: Der Yibadio führt die Krieger an, der Tibawa marschiert hinterher und hält die Truppe zusammen. Der Yidabio wird vor dem Kriegstanz von seinem Adjutanten geschmückt.

Yidabio
Der Yidabio (Offizier) auf einem Mörser wird von seinem Adjutanten geschmückt, der Kopfschmuck steht noch am Boden. Der schwarz-weiß bemalte Herold steht daneben.
Wotchloke, Zodoke Subdistr., 3.2.1958.
Aus: Kalthoff, H. (1996): S. 265, Abb. 110

Dabei steht er mit Ruß geschwärztem Gesicht auf einem Mörser. Sein hoher Kopfschmuck steht am Boden in einem frisch weiß und rot bemalten Worfelkorb, daneben liegt sein Haumesser. Der Adjutant setzt dem Yidabio mit rituellen Gebärden den Kopfschmuck auf, gibt ihm das Haumesser in die rechte Hand, ein Büschel grüner Farnblätter in die linke. Dann fächert er mit dem Worfelkorb einige Male kräftig auf und ab. Bei jedem Luftzug zuckt der Yidabio und reckt sich in die Höhe. Daneben steht ein junger Mann mit kahlem Kopf, Gesicht und Hals sowie die linke Körperhälfte sind weiß angemalt, die rechte geschwärzt.

Herold
Der schwarz-weiße Herold kündigt den Kriegstanz an.
Wotchloke, Zodoke Subdistr., 3.2.1958.
Aus: Kalthoff, H. (1996): S. 265, Abb. 109

Er läuft, nachdem der Yidabio geschmückt ist, auf seinem Kuhhorn blasend als Herold durch das Dorf und kündigt den Kriegstanz an. Wenn er schließlich mit großen Schritten über die Hüttendächer rennt, wird das Trommeln schneller und lauter: der Doklo beginnt.

Herold auf Dach
Der Herold läuft über die Dächer: Der Kriegstanz Doklo beginnt.
Wotchloke, Zodoke Subdistr., 3.2.1958.
Aus: Kalthoff, H. (1996): S. 264, Abb. 113

Am Dorfeingang erscheinen die Krieger mit Haumessern in einer Reihe hintereinander, ihre Knöchelbänder rasseln im Takt der kurzen Schritte. Vorweg läuft der Yidabio, neben ihm fächert der Adjutant mit dem bemalten Worfelkorb. Als Nachhut folgt der Tibawa, sein Kopfschmuck ist kleiner als der des Yidabio. Die einfachen Krieger tragen Kopfbänder, einen Tropen- oder auch Arbeitsschutzhelm, manchmal einen alten Zylinderhut, gar eine Gasmaske oder anderes.

Kriegstanz 2
Kriegstanz in Whole Gravy, Maryland County. Vorn der Yidabio, wie die meisten Krieger im Bastrock. 7.3.1961.
Aus: Kalthoff, H. (1996): S. 359, Abb. 153

Den typischen Bastrock der Grebo sieht man nur noch selten, er wurde durch bunte über Hüften und Oberarme getragene Tücher verdrängt.

Knabengruppe
Tanz der Knabengruppe Chiehnbo. Links im Hintergrund trauernde Frauen unter Baldachin.
Whole Gravy, Maryland County. 7.3.1961.
Aus: Kalthoff, H. (1996): S. 360, Abb. 155

Unabhängig von den Kriegern tanzt auch Chiehnbo, die Gruppe der Knaben.

Kriegstanz 1
Kriegstanz in Wotchloke, Zodoke Subdistr., rechts der Yidabio (Offizier) mit großem Kopfschmuck, ganz links fächert sein Adjutant mit dem Worfelkorb. 3.2.1958.
Aus: Kalthoff, H. (1996): S. 265, Abb. 111

Stets tritt auch ein Dorfnarr auf.

Dorfnarr
Dorfnarr.
Whole Gravy, Maryland County. 7.3.1961.
Aus: Kalthoff, H. (1996): S. 360, Abb. 156

Die Krieger tanzen durch das Dorf, am hohen Priester vor dem Medizinhaus vorbei. Dann stürmen sie mit immer schneller und wilder werdendem Tanz zu den laut klagenden Frauen. Schließlich durchschlagen sie die Stützen des Baldachins und verschwinden. Der Kriegstanz ist zu Ende. Nach der Zerstörung des Baldachins darf niemand mehr den Verstorbenen beweinen.



Die Totenfeiern sogenannter "Societies"

Whole Gravy, das größte der drei Dörfer auf dem schmalen Landstreifen zwischen Atlantik und der Lagune östlich von Cape Palmas, besuchte der Verfasser mit zwei Medical Assistants einmal wöchentlich mit einem Motorboot, um Sprechstunde zu halten. Hier dauerten die großen Totenfeiern mehrere Wochen im Februar und März. Noch vor dem Kriegstanz gab es zwei Zeremonien der beiden örtlichen "Societies", wie Medical Assistant Mr. Howe sie nannte. Offensichtlich handelte es sich nicht um Freimaurerlogen, da die Feiern öffentlich stattfanden.

Tambourmajor
Tambourmajor der LFF, dahinter die Frauen beider "Societies".
Whole Gravy, Maryland County, 28.2.1961.
Aus: Kalthoff, H. (1996): S. 256, Abb. 151

Beide „Societies” halten zwei gemeinsame Totenfeiern ab, eine für die im letzten Jahr Verstorbenen jeder "Society". Zur Feier tragen alle Männer, die, wie Mr. Howe sagte, "call themselves gentlemen", ein weißes Hemd mit seitlichen Schlitzen und abgerundeten Ecken über das rockgleich um die Hüfte gewickelte, farbige Umschlagtuch. Hinzu kommen ein bunter oder schwarzer Schlips sowie Knöchelbänder mit glänzenden, braunen Samenkapseln, die bei jedem Schritt rasseln. Ebenso wie beim späteren Kriegstanz sitzen die Frauen der Trauerfamilien unter Baldachinen aus Stöcken und Bananenblättern, vor ihnen die Kiste mit dem Besitz des Verstorbenen, verdeckt unter einem Umschlagtuch in leuchtenden Farben. Der heutige Tanz findet ohne Musik und Trommeln statt. Die unbewaffneten Männer ziehen mit schnellen Schritten, bei denen sie ihre Beine storchähnlich anheben, in einer langen Reihe hintereinander um die Hütten am Tanzplatz, man hört nur das Rasseln ihrer Knöchelbänder. Die Baldachine werden nicht niedergeschlagen.

Eine Woche später beginnen die Feierlichkeiten damit, dass der Musikzug der Miliz der Liberian Frontier Force (LFF) in kurzen Khakihosen und mit roten Käppis durch das Dorf zum Haus des kürzlich verstorbenen Paramount Chief Landford zieht und dort musiziert, angeführt von einem älteren Offizier in Khakiuniform und mit silbernem Degen an der Seite. Bald darauf erscheinen die Musiker des aktiven LFF-Regiments in langen Khakihosen, Schnürstiefeln und mit Schirmmützen, vorweg ein junger Offizier mit gezogenem Degen, dahinter der Tambourmajor mit azurblauer, fezförmiger Kappe. Der Kapelle folgen die weiblichen Mitglieder beider "Societies" mit aufgespannten Regenschirmen. Die Frauen der einen tragen weiße Blusen über schwarzen Röcken, die der anderen sind in einheimischer Tracht aus farbigen Druck-stoffen gekleidet. Der Zug zieht zweimal um das Landfordsche Haus und das hinter dem Haus am Strand gelegene frische Grab.

Frauen
Frauen am niedergeschlagenen Baldachin, links der Paramount Chief von Wotchloke, Zodoke Subdistr., 3.2.1958.
Aus: Kalthoff, H.: (1996) S. 265, Abb. 112

Vor einem anderen Trauerhaus liegt ein Gebinde aus frischem Grün auf einem Klappstuhl mit zerbrochener Lehne. Auf der Terrasse sitzen trauernde Frauen unter einem Baldachin, daneben die Frauen des verstorbenen Paramount Chief Landford. Beide Musikzüge nehmen vor dem grünen Gebinde Aufstellung, hinter dem der Miliz versammeln sich die schwarzweiß gekleideten Frauen, hinter dem des aktiven Regiments die Frauen in bunten Trachten. Die Männer beider "Societies" tragen dunkle Anzüge, einige bunte Umschlagtücher an Stelle von Hosen. Vier Herren mit Hüten treten auf, jeder trägt ein großes, silbernes Kreuz an einem breiten silberschwarzen Band auf der Brust. Mr. Howe bezeichnet sie als die "Big Men" der "Societies". Unter den Klängen der beiden Kapellen zieht die ganze Gesellschaft hinter den vier "Big Men" langsam mit wiegenden Schritten im großen Kreis einmal um das grüne Gebinde und bleibt im weiten Rund stehen. Die "Big Men" treten nebeneinander vor das Gebinde, nehmen ihre Hüte ab, einer spricht es an. Mr. Howe flüstert: "Das Gebinde ist die Seele des toten Körpers. Man sagt ihr, das dieses ihr letzter Auftritt sei." Die Festteilnehmer plaudern, beachten die Ansprache kaum. Als der Verfasser fotografiert, bringt sich der Offizier in Positur, mit dem Degen an der Schulter dreht er den "Big Men" den Rücken zu.

Frauen
Die Frauen beider "Societies" stehen im weiten Kreis um den Stuhl mit dem Blumengebinde und die drei "Big Men". Der Offizier salutiert zum Fotografen.
Whole Gravy, Maryland County. 28.2.1961.
Aus: Kalthoff, H. (1996): S. 357, Abb. 152

Nun hebt ein Mann den Stuhl mit dem Gebinde an und führt mit den vier "Big Men" den Zug an, der mit Trauermusik langsam zum Grab von Paramount Chief Landford zieht. Dort spielt erst die Kapelle des Tambourmajors, dann die der Miliz. Kaum ist das Gebinde auf dem Grab niedergelegt, erklingen flotte Marschtakte. Im Nu löst sich der Trauerzug auf. Die vier "Big Men" tanzen wie wild inmitten einiger Frauen.

Am anderen Ende des Dorfes trifft der Verfasser auf das Grab eines anderen Paramount Chief. Sein großer Grabstein unter einer Kokospalme am Strand trägt eine Greboinschrift in lateinischen Lettern, wie Bischof John Payne sie entwickelte. Auf einem kleinen Tisch davor stehen eine weiße Plastikflasche mit Wasser, eine grüne Bierflasche mit Palmwein und ein Glas. "Man hat dem Chief die Getränke hingestellt, damit er seinen Freunden etwas anbieten kann, wenn sie ihn besuchen", erklärt Mr. Howe – die toten Grebo leben eben in ihren Dörfern fort. Bald formiert sich der Trauerzug erneut und zieht mit Musik den Strand entlang zum Grab eines anderen, kürzlich Verstorbenen. Kaum ist auch hier ein Gebinde niedergelegt, laufen und tanzen alle ausgelassen zurück. Einzelne Musiker spielen dazwischen, jeder eine andere Melodie.

Dem Verfasser ist nicht bekannt, ob sich die Tradition der großen Totenfeiern, wie er sie in den 1950er und 1960er Jahren erlebte, über den fast zwanzigjährigen Bürgerkrieg hinweg fortsetzen konnte.

Literatur:

1 Kalthoff, Horst: Arzt in Liberia. Liberia, Land und Leute zwischen 1956 und 1963 sowie seine Geschichte bis zur Gegenwart. Germering 1996, S. 260–266, 355-360

2 Johnson, S. J. M.: Tribal Government. In: Grigsby, Harrison: Traditional History and Folklore of the Glebo Tribe. Monrovia 1957, S. 40-52

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Grabmalinschriften (März 2010).
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