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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der Hamburger Friedhofsverwalter Wilhelm Cordes vor Gericht

Am 4. März 1892 berichtete das "Hamburger Echo" von einem recht merkwürdigen Vorfall:
Ein junger Mann war in der Redaktion erschienen und bat um die Veröffentlichung eines Schriftstücks. Es war "die Abschrift eines nach allen Regeln der Kunst abgefaßten Denunziationsschreibens an die Staatsanwaltschaft", in dem eine in Ohlsdorf lebende Person der Majestätsbeleidigung beschuldigt wurde. Urheber war der Schwiegervater des jungen Mannes.

Offenbar hielt man aber beim "Echo" nichts vom Anschwärzen, denn man veröffentlichte nun nicht etwa den Namen der beschuldigten Person, sondern stattdessen den Namen des Denunzianten – Andreas Wenderoth –, und zitierte ihn folgendermaßen: "Da Herr – – – seine Worte niemals zu zügeln weiß, und überhaupt immer sehr freie Redensarten führt, so halte ich es als alter Hamburger Bürger und patriotischer Anhänger des Deutschen Reiches für meine ehrenhafte Pflicht, dieses einer hochlöblichen Staatsanwaltschaft zur Anzeige zu bringen, und bitte dringend darum, daß Herr – – hierüber zur Verantwortung gezogen wird." Der Redakteur des "Echo" kommentierte dies so: "Was sagt man zu diesem Patrioten, der das Denunziren als eine ‚ehrenhafte Pflicht‘ auffaßt?"

Tatsächlich führte die Beschuldigung zu einer Anklage, und als nach Abschluss des Verfahrens in den Tageszeitungen über das ergangene Urteil berichtet wurde, erfuhren die Leser Anfang Mai 1892 nun auch den Namen des Beschuldigten, nämlich Johann Wilhelm Cordes, Verwalter des Ohlsdorfer Friedhofs. In der anberaumten Verhandlung, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, wurde Cordes tatsächlich der Majestätsbeleidigung für schuldig befunden, allerdings nicht auf Grund der Anzeige. Diese wurde vom Gericht als Racheakt gewertet, denn Cordes hatte den Schwiegersohn des Denunzianten entlassen, eben jenen jungen Mann, der beim "Hamburger Echo" erschienen war.

Belastet wurde Cordes aber durch die Aussagen zweier Friedhofsmitarbeiter, die als Zeugen vernommen worden waren. So erklärte der Registrator Powell unter Eid, sein Chef habe sich über einen Erlass des Kaisers Wilhelm II. zum höheren Schulwesen folgendermaßen geäußert: "Der Kaiser ist ein dummer Junge, er kann weiter nichts als Kinder machen!" Und der zweite Belastungszeuge, der Geometer von Ahlefeldt, gab an, von Cordes in einem Gespräch "bald nach der Entlassung des Fürsten Bismark als Reichskanzler" folgende Äußerung gehört zu haben: "Im Verhältnis zu dem alten u. erfahrenen Bismark sei der Kaiser doch nur ein dummer Junge." Von Ahlefeldt hatte diesen Satz allerdings nicht als Beleidigung empfunden, da "der Angekl., der soviel er wisse, ein conservativer Mann sei, nur gut zu Kaiser u. Reich halte, …".

Neben einigen anderen Zeugen, die aber nichts zur Sache beitragen konnten, wurde noch Cordes‘ Vorgesetzter Senator Stahmer, der Vorsitzende der Friedhofs-Deputation, vernommen. Stahmer erklärte, Cordes sei "ein pflichttreuer begabter Beamter" und habe sich "stets als durchaus wahrheitsliebend gezeigt. Allerdings sei er lebhaften Temperamentes, auch bei seinen Gesprächen in geschäftlichen Angelegenheiten nicht ruhig u. werde, wenn er nicht gleich richtig verstanden werde, leicht etwas hitzig u. spreche mehr als nöthig."

Wilhelm Cordes bestritt die ihm zur Last gelegten Äußerungen. Das Gericht sah aber keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit der Zeugen Powell und von Ahlefeldt zu zweifeln, denn weder seien sie dem Angeklagten feindlich gesonnen, noch hätten sie ein Interesse daran, ihm zu schaden, und "… da ferner für die innere Wahrscheinlichkeit ihrer Angaben der Umstand spricht, daß der Angekl. ein leicht erregbarer Mann ist, der nach der Schilderung des Zeugen Stahmer auch bei geschäftlichen Gesprächen nicht immer die volle Ruhe bewahrt und mehr spricht als nöthig ist, wenn er sich für eine Sache besonders erwärmt, so hat das Gericht die eidlichen bestimmten Aussagen dieser Zeugen über die vom Angeklagten in Bezug auf den Kaiser gemachten Aeußerungen für wahr halten müssen."

Das Gericht befand daher: "Die vom Angekl. in beiden Fällen gebrauchten Aeußerungen sind objectiv beleidigender Natur, sie enthalten eine unzweideutige Kundgebung der Mißachtung des Kaisers. Es kann auch nach dem Zusammenhange, in welchem die Aeußerungen gefallen sind, keinem Zweifel unterliegen, daß der Angekl. sich bewußter- u. gewolltermaßen mißachtend über den Kaiser geäußert hat. Damit aber ist der gesetzliche Thatbestand der Majestätsbeleidigung vollständig erfüllt, …"

Der Staatsanwalt beantragte eine Gefängnisstrafe von zwei Monaten und einem Tag. Das Gericht entschied sich aber schließlich für zwei Monate, 14 Tage Festungshaft. Festungshaft wurde meist gegen Angehörige der höheren Stände verhängt, denen man eine ehrenhafte Gesinnung zubilligte. Diese Strafe war weniger schwerwiegend als Gefängnis und auf jeden Fall mit etwas mehr Komfort verbunden, als man Gefängnisinsassen zugestand.

Nachlesen kann man den Vorgang heute im Hamburger Staatsarchiv. Die Akte ist zu bestellen unter der Signatur 331-3_4360. Eine Frage bleibt dort allerdings offen: Wann und wo hat Wilhelm Cordes die Strafe verbüßt?

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