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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Zwischen Leichenwaschung und hygienischer Grundversorgung: Der Umgang mit dem Leichnam als Übergangsritus

Die ehemals gängige Praxis der Versorgung der Verstorbenen durch die Angehörigen ist heute einerseits fast in Vergessenheit geraten.

Durch die Hospizbewegung und das ideologisch wie wirtschaftlich begründete Engagement einiger BestatterInnen wird sie andererseits als aktive Form der Trauerarbeit inzwischen wieder häufiger praktiziert, stellt aber immer noch ein Randphänomen dar. Der auch von manchen Hinterbliebenen geäußerte Wunsch nach einer liebevollen, persönlichen Leichenwaschung steht der technisierten mitunter auch minimalistischen hygienischen Grundversorgung durch BestatterInnen gegenüber. Ein anderes Bild zeigt sich im Kontext der rituellen Leichenwaschung, die unter anderem fester Bestandteil der jüdischen und muslimischen Bestattungskultur ist. Die rituelle Leichenwaschung ist hier eine religiöse Pflicht für die Hinterbliebenen beziehungsweise die Glaubensgemeinschaft.

Im Rahmen der Masterarbeit beschäftigte ich mich mit gängigen Handlungspraxen im Umgang mit dem Leichnam. Ausgangsbeobachtungen waren unterschiedliche religiöse Praktiken der Leichenwaschung, ihre Standardisierung als hygienische Grundversorgung im Bestattungswesen und ein seit einiger Zeit beobachtbares zunehmendes Interesse an einer Beteiligung Angehöriger und damit zusammenhängend einem Umdeuten des Handlungskontextes im Sinne von aktiver Trauerarbeit – Aspekte, die bisher noch nicht zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen wurden. Zentrale Fragestellungen fokussierten zum einen die individuellen und sozialen Sinngebungs- und Deutungsmuster der AkteurInnen der Versorgung Verstorbener und fragten zum anderen, inwieweit die Versorgung als Übergansritus nach Arnold van Gennep fungiert oder helfen kann, diesen Übergang zu bewerkstelligen. Die zugrundeliegende These war, dass die Versorgung der Verstorbenen im religiösen Kontext ein Übergangsritus für Verstorbene sei, in der säkularisierten Bestattungskultur hingegen lediglich als Übergangsritus für die Hinterbliebenen und ihren Weg der Trauer fungiert, während die Funktion im Hinblick auf die Verstorbenen in Vergessenheit geriet.

Die in der Literatur wahrnehmbaren theoretischen Diskurse wurden mit den Ergebnissen aus neun qualitativen Leitfadeninterviews im Sinne Brigitta Schmidt-Laubers mit AkteurInnen der Versorgung Verstorbener abgeglichen und zusammenfassend verdichtet.

Die empirischen Ergebnisse sind vielschichtig, denn während das Handeln einer professionellen, einer beziehungsorientierten oder einer religiös-verpflichtenden Ebene entspringen kann, wird es mit Argumenten in Bezug auf die Einbeziehung Angehöriger, pragmatischen oder normativen Zuschreibungen begründet. Dabei lassen sich die Argumentationsebenen nicht jeweils einer Handlungsebene zuschreiben. Vielmehr bedienten sich alle Befragten mehrerer Schablonen. Auch wenn der rituellen Leichenwaschung ein völlig anderes verpflichtendes Konzept zugrunde liegt, gingen die Aussagen in den einzelnen Kategorien erstaunlich konform mit denen der anderen InterviewpartnerInnen.

Als Leitmotiv der Sinngebungs- und Deutungsprozesse wurde die Inszenierung der Leichenwaschung auf der Vorderbühne für die Angehörigen herausgearbeitet, der transzendente Erfahrungsqualitäten zugrunde liegen, mittels derer die Krise des Übergangs im Sinne einer positiven Trauerbewältigung einfacher durchgestanden werden kann. Bei der Auseinandersetzung mit Sinn und Unsinn der Versorgung Verstorbener ist im Sample eine Betonung der positiven Aspekte für Angehörige, wie der pragmatischen und der normativen Gründe bei gleichzeitiger Vermutung eines häufigen Ausbleibens der Versorgung und eines Desinteresses der Angehörigen auffallend. Trotz der geringen Verankerung der Versorgung Verstorbener in der säkularisierten Bestattungskultur scheint es schwer legitimierbar, sie nicht durchzuführen. Sie kann nur stillschweigend und auf die Hinterbühne verlagert unterlassen werden. Gleichzeitig ist der Trend zu einer stärkeren Betonung der beziehungsorientierten Ebene spürbar, die auf der Vorderbühne stattfindet.

Abschließend betrachtet fällt die Versorgung der Verstorbenen wohl immer öfter weg. In der Fachliteratur für BestatterInnen ist dieser Umstand aber noch nicht angekommen. Es wird immer noch selbstverständlichen von einer Versorgung ausgegangen. Gleichzeitig werben sogenannte alternative BestatterInnen damit, vor allem die Leichenwaschung wieder in ihr Handlungsrepertoire aufzunehmen, während die Ratgeberliteratur genau das fordert, was die selbstverständlichen Annahmen in der Fachliteratur für BestatterInnen erneut in Frage stellt.

Die Ergebnisse weisen also keine Einheitlichkeit auf, sondern sind genreabhängig und verweisen so auf das breite Spektrum an Handlungspraxen beziehungsweise auf die Bemühungen um das Aufrechterhalten eines Berufsethos. Während auf der beziehungsorientierten Ebene für eine Verschmelzung von Vorder- und Hinterbühne plädiert wird, ist die professionelle hygienisch orientierte Ebene daran interessiert, die Trennung aufrechtzuerhalten. Die Begriffe Leichenwaschung und hygienische Grundversorgung stehen dabei für das Ringen um gesellschaftliche Normierungen, das sich als Konflikt innerhalb der Profession offenbart. Die Ergebnisse zeigen des Weiteren, dass die zu Beginn aufgestellte These in Bezug auf die Übergangsriten, nach der die Versorgung nach wie vor als Übergangsritus zu werten sei, der sich aber nicht mehr auf den Verstorbenen, sondern nur noch auf die Angehörigen beziehe, nicht verifiziert werden kann. Vor allem die Ebene der normativen Argumente ergab, dass die Versorgung auch im christlich-säkularen Kontext nach wie vor einen Übergangsritus auch für den Verstorbenen darstellt. Anders als angenommen zeigt sich die Bedeutung des Übergangsritus für den Verstorbenen nicht nur im religiösen Kontext, sondern bei allen InterviewpartnerInnen. Entgegen der im historischen Teil erarbeiteten Aspekte kann zwar wohl von einer Technisierung, vielleicht auch von einer Entpersonalisierung, entsprechend der erarbeiteten Deutungsmomente aber nicht von einer Rationalisierung der Bestattungskultur gesprochen werden. Vielfach genannte Jenseitsbezüge, die die Notwendigkeit des Übergangsritus für den Verstorbenen aufzeigen, können als spirituelle oder transzendente Aspekte gefasst werden. Die Versorgung Verstorbener kann also nach wie vor auf zwei Ebenen als Übergangsritus gewertet werden – auf der Ebene der Verstorbenen und der der Angehörigen.

Insgesamt zeigte sich die Anwendung von Genneps dreistufigem Modell von 1909 – also die Unterteilung in Trennungsriten, Schwellenriten und Angliederungsriten – in Bezug auf einen konkreten Aspekt wie die Versorgung des Leichnams als schwierig. Es kann im Zusammenhang mit Sterben und Tod zwar vage formuliert werden, konkrete Zuschreibungen sind aber problematisch. Vor allem der Abschluss dieses Überganges bleibt nicht nachvollziehbar, da er in Bezug auf den Verstorbenen in einem für uns nicht nachvollziehbaren Bereich liegt oder es sich im Falle der Trauer um einen fließenden Prozess handelt, der vielleicht sogar niemals endet.

Anmerkung der Redaktion: Bei diesem Text handelt es sich um die Zusammenfassung der Masterarbeit von Frau Marlene Lippok im Fach Europäische Ethnologie/Volkskunde

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Reformfriedhöfe (Mai 2018).
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