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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Gräber des Ersten und Zweiten Weltkrieges auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf: Einblicke in die Arbeit einer Initiative

Wer eine der auf dem Friedhof Ohlsdorf verkehrenden Buslinien an den Haltestellen Krieger-Ehrenallee oder Kapelle 9 verlässt, stößt in unmittelbarer Nähe auf große Felder mit Gräbern aus den beiden Weltkriegen.

Lange Jahre fristete die Anlage ein nahezu unbeachtetes Dasein. Lediglich an offiziellen Gedenktagen, wie etwa dem Volkstrauertag, geriet sie in den Fokus einer begrenzten Öffentlichkeit. In den 1990er Jahren änderte sich dieser Zustand teilweise durch eine Publikation des Historikers Herbert Diercks, der in einem schmalen Band auf den Umstand hinwies, dass es sich bei den Gräbern dort keineswegs nur um solche von Soldaten handelte. Vielmehr konnte er bereits damals unter den Bestatteten eine große Zahl von Menschen identifizieren, die Opfer von NS-Verfolgungsmaßnahmen geworden waren. Angeregt durch Diercks‘ Ergebnisse und auf einen Impuls der Willi-Bredel-Gesellschaft hin fand sich 2013 die Initiative "Umgang mit den Weltkriegsgräbern auf dem Friedhof Ohlsdorf" zusammen. Ihr gehören neben der Willi-Bredel-Gesellschaft u.a. der Landesverband Hamburg des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, die Landeszentrale für politische Bildung, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme sowie die Hamburger Friedhöfe -AöR- an. Die Beteiligten haben es sich zum Ziel gesetzt, die Entstehungs-, Nutzungs- und Wirkungsgeschichte der Anlage umfassend zu erforschen. Darüber hinaus sollen Aspekte der Baugeschichte ebenso untersucht werden wie die Lebensläufe jener Menschen, die in den Gräbern ihre letzte Ruhestätte fanden.

Für 2017 ist eine umfassende Publikation der Forschungsresultate geplant. Mit diesem und einem folgenden Artikel werden erste Einblicke in die Arbeitsergebnisse der Initiative vermittelt. Im Folgenden sollen vor allem die Entstehungs- und Nutzungsgeschichte des Soldatenfriedhofs im Zentrum der Ausführungen stehen.

Die Geschichte der Anlage lässt sich bis in die Anfangstage des Ersten Weltkrieges zurückverfolgen. Am 10. August 1914 wandte sich das Hamburger Marinelazarett an die Friedhofsdeputation und fragte dort an, "ob bei eventuell eintretenden Sterbefällen […] die Leichen in Ohlsdorf auf einem besonderen Platze gemeinsam ohne Entrichtung einer Grabgebühr beerdigt werden können". Die zuständigen Stellen entschieden in der Angelegenheit kurzfristig. Bereits wenige Tage später erhielt das Marinelazarett einen positiven Bescheid mit der Zusage, einen solchen "besonderen Platz" zur Bestattung von Militärpersonen bereitzustellen. Die Friedhofsverwaltung schlug hierfür zwei Areale vor. Während eine Fläche, an der Gabelung von Kapellen- und Ringstraße gelegen, für 1.800 Grabstellen vorgesehen war, sollte ein zweiter, im südlichen Teil des Friedhofs bei Kapelle 4 befindlicher Platz 1.500 Gräber aufnehmen können. Letztlich fasste der Senat am 13. August 1914 einen anderslautenden Beschluss. Er stellte nicht nur 15.000 Mark zur Herrichtung eines Begräbnisplatzes für Kriegstote bereit, sondern legte auch fest, dass dieser auf dem Erweiterungsgelände des Friedhofs Ohlsdorf in Bramfeld angelegt werden sollte. Damit war die Entscheidung für das Areal nördlich der Straßenkreuzung von Mittel- und Krieger-Ehrenallee gefallen. Bereits im Oktober des Jahres hatte die Friedhofsverwaltung die gesamte Anlage projektiert. Auf dem bald als Kriegerehrenfriedhof bezeichneten Teil des Ohlsdorfer Friedhofs konnten militärische Dienststellen von nun an Tote in Einzelgräbern bestatten lassen. Hauptsächlich handelte es sich dabei um Soldaten, die an Verwundungen oder Erkrankungen in den Lazaretten Hamburgs verstorben waren. Eine zweite Gruppe bildeten solche Soldaten, die aus Hamburg stammten, jedoch andernorts umkamen. Machten die betroffenen Familien von der Möglichkeit Gebrauch, die Angehörigen in ihre Heimatstadt überführen zu lassen, konnten auch sie dort ihre letzte Ruhestätte finden.

Aufnahme um 1920
Blick vom Gräberfeld für die Toten des Ersten Weltkriegs in Richtung Krieger-Ehrenallee. Aufnahme um 1920. Quelle: Hamburger Friedhöfe -AöR-

Im Verlauf des Krieges wuchs die Zahl der Gräber sukzessive an. Während 1914 lediglich 177 Bestattungen stattfanden, schnellten die Zahlen in den Folgejahren in die Höhe. Bis November 1918 verzeichnete die Friedhofsverwaltung knapp 2.300 Gräber deutscher Soldaten. Hinzu kamen die Gräber von 263 Kriegsgefangenen, darunter neben Engländern, Franzosen und Italienern vor allem zahlreiche Russen. Die Grabstellen der "fremden Krieger" befanden sich im nördlichen Teil des Kriegerehrenfriedhofs. Landschaftsgestalterisch hatten die Friedhofsplaner den Bereich so angelegt, dass er vom Teil mit den Gräbern der Deutschen zwar separiert und durch einen eigenen Zugang zu betreten war, zugleich aber als zugehörig zur Gesamtanlage erkannt werden konnte.

Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete nicht das Ende der Bestattungen auf der Ohlsdorfer Kriegsgräberstätte. Da auch in den Folgejahren ehemalige Soldaten an Kriegsbeschädigungen starben, standen die Verantwortlichen vor der Frage, wie mit dem Problem umgegangen werden sollte. Den weit reichenden Forderungen von Interessenverbänden der Kriegsversehrten nach einem Anrecht auf Grabstätten für Veteranen und deren Angehörige stand das Argument gegenüber, dass dies den Hamburger Haushalt in unkalkulierbarer Höhe belasten würde. Als Kompromiss einigte man sich schließlich darauf, Gräber künftig nur dann an verstorbene Kriegsteilnehmer zu vergeben, wenn durch amtliche Bescheinigung nachgewiesen war, dass der Tod infolge einer Kriegsbeschädigung eingetreten war. Der geschaffene Status quo dauerte bis in die 1920er Jahre fort. Infolgedessen kamen zu den vorhanden Gräbern aus der Zeit bis 1918 nochmals mehrere hundert hinzu, sodass die Gesamtzahl auf über 3.000 anstieg. Vor dem Hintergrund zunehmenden Platzmangels und wegen der Bestimmungen des Gräbergesetzes von 1922, das den Kommunen nur für bestimmte Gräber Reichszuschüsse für die Grabpflege zubilligte, wurden die Bestattungen schließlich 1923 eingestellt. Damit endete die erste Nutzungsphase des Kriegerehrenfriedhofs.

Ihr heutiges Erscheinungsbild erhielt die Anlage mit den Gräbern des Ersten Weltkrieges erst nach einem Prozess, der sich ein Jahrzehnt lang hinzog. Bereits im November 1914 beschloss die Friedhofsdeputation die einheitliche Ausstattung aller Grabstätten mit Bronzetafeln. Darauf sollten der Name des Verstorbenen sowie die Lebensdaten verzeichnet sein. Durch die schnell wachsende Zahl der Gräber stetig steigende Kosten, vor allem aber die Beschlagnahme sämtlicher Metalle für Kriegszwecke ließen das Projekt schließlich scheitern. Weil aufgrund fehlender Mittel bis weit in die 1920er Jahre hinein staatlicherseits keine einheitliche Ausstattung der Gräber mit Grabzeichen erfolgte, tolerierte die Friedhofsverwaltung die private Gestaltung der Gräber. Entsprechend vielgestaltig muss der Anblick gewesen sein, der sich dem Betrachter zu jener Zeit bot. Eine Aufstellung aus 1918 nennt verschiedene Arten von Holz- und Steinkreuzen, Reststücke von Flugzeugpropellern, Porzellanengel sowie Metall- und Perlenkränze als Grabschmuck. Diesem von der Öffentlichkeit und den Angehörigen der Bestatteten oft beklagten anarchischen Zustand wurde erst 1924 ein Ende bereitet. Nach zähen Verhandlungen zwischen Friedhofs- und Finanzdeputation sowie Senat und Bürgerschaft stellte die Stadt Hamburg schließlich die benötigten Mittel zur Ausstattung aller Gräber mit einheitlichen Grabzeichen bereit. Zur Ausführung kamen die heute immer noch vorhandenen Grabsteine aus Obernkirchner Sandstein, die die Friedhofsverwaltung zum Stückpreis von 53 Goldmark in Auftrag gab.

Für die Zeit unmittelbar nach dem Überfall auf Polen im September 1939 lassen sich in den überlieferten Unterlagen keine Diskussionen darüber nachvollziehen, wie mit den Toten des neuen Weltkrieges umgegangen werden sollte. Wie selbstverständlich wurden diese zunächst auf den bestehenden Kriegerehrenfriedhof hinzugebettet. Anfangs nutzte man hierfür freie Randlagen im Westen des Areals, später wurde eine Fläche mit über 400 Grabstätten unmittelbar neben dem Gräberfeld für die verstorbenen Kriegsgefangenen aus dem Ersten Weltkrieg erschlossen. Nach den Überlegungen der Hamburger NS-Führung sollte es sich dabei aber lediglich um ein Provisorium handeln. Als dauerhafte Lösung beabsichtigte sie – auch aus Kapazitätsgründen – die Schaffung einer neuen Anlage. Mitte Dezember 1939 teilte die Hamburger Bauverwaltung dem Standortältesten der Wehrmacht mit, dass die Frage geprüft worden sei, ob der vorhandene Platz in der bestehenden Anlage auch die zu erwartende Zahl der Opfer des aktuellen Krieges aufnehmen könne: "Diese Prüfung hat ergeben, dass der bestehende Ehrenfriedhof diesen Anforderungen nicht voll entsprechen kann. Infolgedessen hat der Reichsstatthalter angeordnet, dass die Planung für einen etwa 2.000 bis 2.500 Grabstätten fassenden Ehrenhain nordwestlich des vorhandenen Ehrenfriedhofs in Ohlsdorf beschleunigt in Angriff genommen wird." Dorthin sollten dann auch alle zunächst auf dem Friedhofsteil für die Toten des Ersten Weltkriegs Bestatteten umgebettet werden. Das ambitionierte Vorhaben kam jedoch schnell zum Erliegen. Personal- und Ressourcenmangel führten zur Vertagung des Projekts bis in die Zeit nach Kriegsende.

Das Problem des fehlenden Platzes blieb somit bestehen und erwies sich ab Sommer 1941 als akut. Infolgedessen schuf die Friedhofsverwaltung eine neue Fläche, wie sie der Heeresstandortverwaltung Hamburg Anfang August 1941 mitteilte: "In unmittelbarer Nähe des Weltkriegsehrenfriedhofs ist eine weitere Fläche für Beisetzungen bereit gestellt worden, die ca. 524 Grabstellen umfasst und im Bedarfsfall auch noch erweitert werden kann." Bekanntlich trat der "Bedarfsfall" tatsächlich ein und die beiden Felder westlich und östlich der Linnestraße nahmen in der Folge den Großteil der über 2.000 Soldatengräber des Zweiten Weltkrieges auf.
Ebenso wie die Gräber des Ersten Weltkrieges zeigen sich auch jene aus der Zeit von 1939 bis 1945 heute weitgehend in einheitlichem Erscheinungsbild. Auch die Grabstätten des Zweiten Weltkrieges waren zunächst mit behelfsmäßigen Grabzeichen versehen worden. In der Regel kennzeichnete man sie mit einfachen Holzkreuzen oder Pfählen, deren Kopfende mit einem Eisernen Kreuz abschloss. Allerdings währte der provisorische Zustand hier nur vergleichsweise kurz, denn bereits im Zuge der Gestaltung der Anlage Anfang der 1950er Jahre erhielten alle Gräber einheitliche Kissensteine.

Aufnahme 2010
Gräber der Toten des Zweiten Weltkriegs rechts und links der Linnestraße. Aufnahme 2010. Quelle: R. Senenko

Die dritte Nutzungsphase lässt sich ab Ende der 1950er Jahre beobachten. Sie steht in engem Zusammenhang mit dem Gräbergesetz von 1952, das als wesentlichen Kern eine Bestandsgarantie für alle Gräber aus dem Kontext der NS-Gewaltherrschaft enthielt. Um das dauerhafte Ruherecht für die Opfer von Repressionen, für die Toten der Bombenangriffe und verstorbene Soldaten zu gewährleisten, sollten u.a. bis dahin verstreut auf den jeweiligen Friedhöfen befindliche Gräber in Sammelanlagen zusammengeführt werden. Die Notwendigkeit solcher Maßnahmen bestand auch auf dem Friedhof Ohlsdorf. So hatten die Nationalsozialisten die Angehörigen unterschiedlicher Opfergruppen an verschiedenen, oftmals abgelegenen Stellen des Friedhofs bestattet. Darüber hinaus hatten Angehörige von Bombenopfern oder von gefallenen Soldaten ihre Toten nicht selten in Familiengrabstätten mit zeitlich beschränktem Ruherecht beisetzen lassen. All diese Gräber fielen unter das Gräbergesetz und sollten nun zusammengeführt werden. Die Friedhofsverwaltung wählte für die neu zu errichtenden Sammelanlagen Flächen in unmittelbarer Nähe zu den bestehenden Soldatengrabfeldern aus. So entstanden einerseits neue Grabfelder rechts und links der Linnestraße, direkt an den jeweiligen Enden der Bestattungsplätze für die Soldaten des Zweiten Weltkrieges. Zum anderen griff man auf einen Platz an der Gabelung von Mittel- und Krieger-Ehrenallee zurück. Bis weit in die 1960er Jahre hinein wurden so über 1.000 Gräber von Bombenopfern, exekutierten oder verstorbenen Justizhäftlingen, KZ-Insassen und Flüchtlingen aus verschiedensten Teilen des Friedhofs in diese Anlagen verlegt. Weitere Zubettungen fanden in das Gräberfeld für die ausländischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges statt.

Durch den Vollzug des Gräbergesetzes, der in jeder Hinsicht von Verwaltungspragmatismus gekennzeichnet war, entstand somit eine Gemengelage, die aus heutiger Sicht unter erinnerungspolitischen Gesichtspunkten mindestens als heikel zu bewerten ist. Infolgedessen befinden sich die Gräber von unmittelbaren NS-Opfern in nächster Nähe zu den Grabstätten von potentiellen Tätern. Sämtliche Gräber sind zudem mit gleichartigen Grabzeichen – nämlich Kissensteinen – versehen, was eine Unterscheidung der verschiedenen Betroffenengruppen voneinander für den Betrachter bislang unmöglich macht. Für den Umgang mit dieser Problematik Lösungsvorschläge zu erarbeiten, wird eine der künftigen Kernaufgaben der Initiative sein.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Bestattungskultur und Politik (Mai 2016).
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