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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der Friedhof der Namenlosen an der Donau in Wien

Der Friedhof der Namenlosen, gelegen an der Donau im Alberner Hafen am äußersten Stadtrand von Wien, diente einst der Bestattung von angeschwemmten, zumeist unbekannten Flussleichen.

Bis heute wird der Friedhof gepflegt und ist Schauplatz von Gedenkveranstaltungen. Werner T. Bauer beschrieb ihn in der ersten Auflage seines "Wiener Friedhofsführers" im Jahr 1988 wie folgt: "Die Gräber sind betont schlicht und zumeist nur von schmiedeeisernen Kreuzen geziert … . Die Stimmung auf diesem stillsten aller Wiener Friedhöfe ist sehr, sehr traurig und doch voller Frieden, vor allem zu Allerseelen, wenn der kleine Friedhof von einem Meer gespendeter Blumen überschwemmt wird und gegen Abend mit Lichtern versehene Kränze auf der Donau ausgesetzt werden."

Eingang
Eingang zum Friedhof der Namenlosen. Foto: Norbert Fischer

Die Geschichte des Wiener Friedhofs der Namenlosen ist eigentlich die Geschichte zweier unterschiedlicher Anlagen und reicht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Diese Geschichte ist durchaus wechselvoll: Die erste Anlage – auch als Alter Friedhof der Namenlosen bezeichnet – ging aus der Bestattung einer unbekannten ertrunkenen Person im Jahr 1840 hervor. Im späten 19. Jahrhundert bezeichnete ein Holztor den Eingang, auch ein kleines Gebäude zur Aufbahrung von Leichen war vorhanden. Jedoch kam es durch Überschwemmungen immer wieder zu Beschädigungen der Anlage. Bis 1893 wurden auf diesem ersten Namenlosen-Friedhof rund 200 Tote beigesetzt (die Fläche wurde dann bei Hafenerweiterungsarbeiten 2012/13 eingeebnet). Diese ältere Anlage ist heute überwuchert und kaum noch zu erkennen.

Der zweite bzw. neue Friedhof der Namenlosen wurde 1900 hinter dem Hochwasserschutzdamm auf einer Fläche angelegt, die die damals noch selbstständige Gemeinde Albern von der Stadt Wien gepachtet hatte. Dies ist die heutige Anlage, die seit 1935 von einer Mauer umgeben ist. Eine Einsegnungskapelle (so genannte Auferstehungskapelle), entworfen vom Architekten Karl Franz Eder, wurde am 9. Oktober 1935 eingeweiht. Nach der Eingemeindung Alberns nach Wien 1938 wurden im Folgejahr Hafenanlagen errichtet. Dadurch sowie durch die neueren Donauregulierungen und technischen Bauten (Kraftwerk Freudenau) änderten sich die Strömungsverhältnisse des Flusses, so dass kaum noch Tote in Albern angeschwemmt wurden.

Blick
Blick in den Friedhof der Namenlosen. Foto: Norbert Fischer

Auf der heutigen Anlage wurden insgesamt 104 Ertrunkene bestattet, davon 61 nicht Identifizierte. Im Gegensatz zu andernorts bisweilen üblichen Praktiken der Beisetzung von unbekannten Toten erhielt jeder Leichnam hier eine durch Spenden finanzierte Sargbestattung. Seit 1940 werden unbekannte Donau-Tote auf dem Zentralfriedhof der Stadt Wien beigesetzt. Seit 1957 befindet sich der zweite Namenlosen-Friedhof unter Verwaltung der Stadt Wien bzw. der Wiener Hafengesellschaft, mit deren Unterstützung auch 1987 die Kapelle restauriert wurde. Offiziell gilt der Friedhof als "stillgelegt".

Eine besondere Rolle in Bezug auf den Friedhof spielten der ehrenamtlich tätige Totengräber Josef Fuchs (1906–1996) und seine Nachfahren. Josef Fuchs engagierte sich für die Anlage, betreute und pflegte sie und trug maßgeblich zu ihrer Erhaltung innerhalb des Hafengebietes bei. Ihm verdankt sie auch ihr aktuelles Erscheinungsbild mit den eisernen Kreuzen als Gedenk- und Erinnerungszeichen. Eine Gedenktafel bei der Auferstehungskapelle, in der einmal im Monat die Heilige Messe stattfindet, erinnert an seine Verdienste. Im Übrigen werden auf dem Friedhof der Namenlosen weitere Gedenkveranstaltungen abgehalten. Am ersten Sonntag nach Allerseelen wird vom Alberner Fischerverein mit Hilfe einer Holzzille, also einem traditionellen Donauboot, ein geschmücktes Gedenkfloß in einem Prozessionszug zeremoniell in die Mitte des Flusses gebracht. Es enthält einen Gedenkstein mit den Worten "Den Opfern der Donau" und der – mehrsprachigen – Bitte, das Floß immer weiter flussabwärts treiben zu lassen.

Gedicht
Grabstein mit Gedicht. Foto: Norbert Fischer

Der Wiener Namenlosen-Friedhof ist inzwischen eine in vielen Reiseführern aufgeführte sepulkrale Sehenswürdigkeit. Im Herbst 2017 wurde er in einer Reportage der "Süddeutschen Zeitung" ausführlich gewürdigt. Dort hieß es unter anderem: "Die Reise zum Tod beginnt in der Buslinie 76A. … … Endlich, unten am Donauhafen, wo Arbeiter gerade riesige Teile einer Windkraftanlage auf ein Schiff verladen, findet sich das Schild. Hier, hinter einem künstlich aufgeschütteten Erdhügel, liegen Hunderte von Toten, die die Donau jahrhundertelang ausgespuckt hat. Wasserleichen, für die es lange kein Kreuz, keinen Kranz und keine Kerze gab."

Gedenkstein
Den namenlosen Opfern gewidmeter Gedenkstein. Foto: Norbert Fischer

Auch in anderen Medien ist der Wiener Namenlosen-Friedhof immer wieder thematisiert worden: beispielsweise in Rundfunk und Fernsehen sowie in dem 1982 erschienenen Roman "Friedhof der Namenlosen" des österreichischen Historikers und Schriftstellers Georg Erich Schmid. International wohl bekanntestes Beispiel ist eine mehrminütige Sequenz im Spielfilm "Before Sunrise" (USA 1995).

Und die Donau selbst erfährt seit einigen Jahren noch einen ganz anderen Umgang mit Verstorbenen: die Flussbestattungen. Sie werden unter anderem von der Städtischen Bestattung in der niederösterreichischen Stadt Krems angeboten.

Voraussetzung ist eine vorangegangene Einäscherung, anschließend wird die wasserlösliche Urne mit der Asche in einer feierlichen Zeremonie von einem Schiff aus zu Wasser gelassen. Ein Denkmal auf dem Kremser Friedhof verzeichnet Namen und Daten von Donaubestattungen. So hat sich die Rolle des Flusses vollständig gewandelt: Vom Schauplatz eines gewaltsam-tragischen Unglücks oder Freitods zum Ort einer regulären Variante heutiger Naturbestattungen.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Tod in Wien (Januar 2019).
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