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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Ohlsdorfer Porträts

Wer sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof nach Portraits, verdeutscht Porträts, umschauen will, sollte etwas Muße mitbringen. Bildnisse und Medaillons, angebracht auf großen Findlingen, Stelen, mitunter auch auf sehr ansehnlichen Grabanlagen, wirken im Vergleich relativ bescheiden, können manchmal sehr klein sein.

Die Mühe wird dennoch durch eine beachtliche Zahl von zum Teil auch sehr lebendigen Porträts belohnt. Diese Bildnisse, überwiegend im alten Cordes-Teil verteilt, erzählen dem heutigen Betrachter viel über Auftraggeber, Abgebildete und Künstler, auch über die Gesellschaft und die Zeiten, in denen sie entstanden. So können wir über zwei Jahrhunderte anhand dieser Grabmalkultur einige Rückschlüsse auf die soziale und kulturelle Entwicklung von Bürgern Hamburgs ziehen.

Die Grundlage dieses Beitrages ist an erster Stelle die ganzflächige Inventarisierung von erhaltenswerten Grabmalen seit der Gründung des Friedhofs 1877. Von 1981 bis 1986 erarbeiteten Barbara Leisner, Heiko Schulze und Ellen Thormann das aufwändige Forschungsprojekt im Auftrag des Denkmalschutzamtes; es wurde von der Volkswagen-Stiftung und der Freien und Hansestadt Hamburg getragen. Die Ergebnisse erschienen 1990 beim Christians Verlag unter dem Titel "Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf" in zwei Bänden. Für alle Interessierten sind sie eine unentbehrliche Quelle an Informationen, besonders der zweite Band, hier einfach "Katalog" genannt (die Nummern in Klammern nach den Namen der Grabmale weisen darauf hin). Unter den 1307 ausgewählten Grabmalen wurden auch 85 mit Porträts damals gründlich erfasst – wenn auch leider nicht alle. Überdies hört die vortreffliche Arbeit mit dem Jahr 1949 auf.

Da nach gut zwanzig Jahren mehrere der einst zitierten Porträts (mindestens 12, mit * markiert) unterdes verloren sind, schien es sinnvoll, das Inventar der Ohlsdorfer Bildnisse zu aktualisieren, auch zu ergänzen. Es handelt sich längst nicht mehr um 85 Grabmale, sondern fast das Doppelte... Von den nicht erfassten, doch reizvollen Werken aus dem erarbeiteten Zeitraum sind noch 20 zu erwähnen, nach 1950 weit über 40 – und die Liste wächst. Weil der Parkfriedhof so ausgedehnt und naturgemäß in ständiger Veränderung bleibt, sollte man die Eintragungen des beigefügten Verzeichnisses (mit Grablage und kurzer Beschreibung) ohnehin nur als Momentaufnahme verstehen; bei noch fehlenden Daten sind ergänzende Hinweise willkommen. Auf dieser doppelten Grundlage also folgen hier einige Leitgedanken mit Beispielen.

I. Porträtskulpturen

Diese Art Skulpturen sind in Ohlsdorf sehr selten (ob der hanseatische Sinn für selbstbewusste Bescheidenheit dies erklären sollte?) – weit entfernt sind wir von den allseits stehenden Büsten und Vollplastiken anderer Friedhöfe, ganz besonders z.B. des ukrainischen Zentralfriedhofs Bajkowo in Kiew (siehe: Ch. Behrens, Eindrücke aus Kiew, „Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur” I/1999, Nr. 64, S. 26-28). Als Bildnis und Vollplastik einer ganzen Person zählen eigentlich nur zwei Grabmale von verstorbenen Hamburger Prominenten. Das erste steht westlich vom Nordteich und wurde im Auftrag seiner Familie gesetzt – ein auffälliges bronzenes Denkmal für Gustav Adolf Graf von Goetzen (699),1866-1910; auf hohem Podest thront die Figur des kaiserlichen Gouverneurs von Deutsch-Ost-Afrika und königlich-preußischen Gesandten bei den freien Hansestädten. Nördlich der Kapelle 4 befindet sich das zweite, auch aus Bronze. Es ist die sitzende Figur des Marinemalers Christopher Rave (1081), 1881-1933, mit Hut, Spazierstock und einem Greifvogel auf der Schulter.

Rave
Christapher Rave; Foto: Behrens

Zu diesen Exemplaren sollte man gleichwohl die lebensgroße Porträtgruppe – ein sitzendes Ehepaar mit Tochter, seitlich stehend – auf dem marmornen Grabmal Klein-Reichel-Howoldt-Wenk (839) von 1918 zählen; alle drei, obwohl nicht namentlich genau erkannt, sind mit zeitgenössischer Haar- und Barttracht und individuellen Gesichtszügen eindeutig als Porträt gemeint.

Klein
Klein-Reichel-Howoldt-Wenk; Y 13, 9-16
Foto: Behrens

Außerdem gut zu dieser Kategorie passt das Grabmal Zimmer (132) mit der jungen Sitzenden aus Marmor, die der Bildhauer Girolamo Massini 1873 nachdenklich und zugleich wunderbar lässig darstellte; die akkurate Wiedergabe von deren Kleid, Haarzöpfen und Halsschmuck sowie des Biedermeier-Stuhls plädieren dafür, dass das Gesicht der ebenfalls Namenlosen genauso realistisch abgebildet wurde. Und zuletzt könnte ferner laut Katalog die Trauernde mit individuellen Zügen und zeitgenössischer Haartracht des Grabmals Kohlmann (590), jetzt Patenschaft Oster, dazu gehören.

Zimmer
Zimmer; R 25, 57-70
Foto: Behrens

Eine besondere Beachtung verdient ein bronzenes Porträt in sehr repräsentativer Lage neben Graf Goetzen, obwohl "nur" Büste; in der Hauptnische eines hohen Säulenmonuments am Nordteich ist der Senator und 1. Präses der Friedhofsdeputation Stahmer (268) in Amtstracht mit Halskrause dargestellt. Der bekannte Bildhauer Xaver Arnold, der viel mit Wilhelm Cordes arbeitete, schuf 1898 mit dieser Büste ein sehr gelungenes und lebendiges Porträt – als ob der Senator in Person, andeutungsweise lächelnd, wohlwollend, aber deutlich überlegen dem Betrachter gegenüber stünde. Und in dieser Liste von Ohlsdorfer Skulpturen darf natürlich die Cordes-Büste (12) von Oskar Ulmer, aus fränkischem Muschelkalk von 1920, nicht fehlen; sie steht am Rosengarten im Zentrum des Denkmals für den berühmten ersten Friedhofsdirektor auf einem 2,15 Meter hohen Sockel.

Pini
Elena Pini; W 21, 54-63
Foto: Behrens

Es gibt Grabmale mit Skulpturen von Kindern, die trotz zusätzlicher Flügel auch als Porträts bezeichnet werden könnten: so die Vollplastik aus Bronze des sitzenden Jungen Philippi (349) von 1902 und sechs Jahre später die aus Marmor des knienden Mädchens Elena Pini (644) von O. Dobler.

Zwei der bekanntesten Grabmale mit Bildnissen sind kurz vor und nach 1900 entstanden, diesmal aber in szenischer Darstellung und beide als Halbreliefs aus weißem Marmor. Es ist einmal die jung verstorbene Anne Marie Lippert (269), die der bekannte Bildhauer Johannes Schilling in verschiedenen Szenen aus ihrem Leben als Gutsherrin in Afrika und Stifterin in Hamburg gleich fünfmal kunstvoll abbildete. Und zweitens – mit fast vollplastischen Köpfen – auf dem großen Grabmalaufbau Hünlinghof (489) von Valentino Casal, die Darstellung der Wiederbegegnung im Himmel von Vater und Sohn (kurz nacheinander verstorben).

Wegener
Wegener; R 7, 156-61
Foto: Behrens

Aus den 30er Jahren sind weiterhin interessante Porträtreliefs zu nennen. Der Katalog erwähnt den Fackelträger Wegener (1117) von Willi Neu, der als männlicher Halbakt sehr an die Figuren von Arno Breker erinnert. Und ähnlich wie bei Lippert wird Erika Steffen (1167), Angehörige des BDM, dreimal als 24jährige auf ihrem Grabrelief dargestellt.

Asche
Asche; AF 38, 55-58, AF 39, 1-2
Foto: Behrens

Es gibt ansonsten Miniatur-Reliefs mit szenischen, porträthaften Bildnissen. Eines der schönsten von 1918 stellt den Tod der Elisabeth Asche (845) auf einem kleinen Bühnenbild aus Sandstein dar. Zentral in einem Sessel sitzend, wird sie verabschiedet von ihrem Mann und ihrer Tochter, die um sie trauern. Sie stehen ihr gegenüber – alle drei in zeitgenössischer Kleidung. Obwohl das Bild nur 50 x 100 cm misst, erkennt man gut die Physiognomie der einzelnen Personen, vor allem die des Vaters im Profil mit dickem Schnurrbart, und sogar das Muster der Tapete an der Wand. Erwähnenswert schließlich und unverhofft, da auf einem neuen Stein angebracht, ist auch eine kleine, rechteckige Bronzetafel mit den Eheleuten Wels zu Pferd (Grablage L 17, 133-4). Überraschenderweise ist die Kleidung aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts zu datieren, das Halbrelief dennoch erst von 2006; nach der Beschriftung ist anzunehmen, dass das eigentümliche Halbrelief vermutlich nach einem Photo von 1984 mit dem reitenden, damals verkleideten Paar, von der Witwe im Auftrag bestellt wurde.

Wels
Wels; Foto: Behrens

II. Porträtreliefs und Medaillons: eine Männerwelt

Nach dieser Aufzählung von einzelnen, zum Teil sehr kunstvollen Grabmalen, kommt eine zweite, weit gängigere Gruppe von Porträts, bei denen nur der Kopf, seltener die Büste als Halbrelief abgebildet wird. Das früheste dieser Art ist das Grabmal Büsch (43), (1728-1800, Mathematikprofessor, Gründer der Handelsakademie und Mitbegründer der Patriotischen Gesellschaft); überführt vom Jakobi-Kirchhof am Peterskamp nach Ohlsdorf, steht es nun im Heckengarten-Museum. Interessant ist dabei ein Vergleich dieser Reliefbüste aus weißem Marmor mit dem Bronze-Relief von Ernst Matthaei am Büsch-Denkmal in Hamburg (Ecke Rothenbaumchaussee / Edmund-Siemers-Allee), beide in linker Ansicht und antiker Weise dargestellt, doch nicht identisch. Eine zweite Rarität aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch in dieser Musealanlage, ist das Eisengusskreuz für den Maler Julius Oldach (83), 1804-1830; man erkennt deutlich auf dem Medaillon in der Kreuzmitte, aus dem gleichen Material, den Künstler mit Pinsel und Palette beim Malen.

Oldach
Julius Oldach; Heckengarten-Museum
Foto: Behrens

Alle späteren Porträts bis 1920, meistens aus Bronze gegossen oder weißem Marmor gearbeitet, werden stets in einer eigenen Medaillonform dem Grabmal appliziert und durch ihre Farbigkeit deutlich abgehoben. Mit dieser relativ aufwändigen Herstellung kommen Porträtreliefs auf Stelen und großen Grabanlagen vorzugsweise bei bedeutenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vor. Typisch dafür sind zwei Beispiele aus weißem Marmor, eines von 1885 auf rotem Sandstein für den Senator Johann Georg Mönckeberg (170), das andere von 1892 wurde 1954 vom Friedhof St. Jakobi hierher umgebettet, es ist für den Wohltäter Abraham Philipp Schuldt (214) auf schwarzem poliertem Granit platziert. Wie bei diesen Medaillons dominieren Profil- und Schrägansichten.

Schuldt
Schuldt; Foto: Behrens

Am häufigsten jedoch trifft man diese Porträts, in Form von rechteckigen Platten und vor allem von runden Tondi auf Felsen und Findlingen; oben, mittig, vereinzelt auch unten angebracht, bilden sie dort einen Blickfang für den Betrachter. So entstanden in Ohlsdorf zwischen 1899 und 1931 rund 20 Porträtsreliefs und Medaillons allein auf Findlingen bzw. Felsen. Das bronzene Porträtmedaillon von Johannes Schilling auf einem großen Findling von über 3 m Höhe für den Oberingenieur Andreas Meyer (328), 1837-1901, fällt mit seinem Durchmesser von 86 cm im Vergleich deutlich größer aus. Dagegen wirkt die nur 20 x 16 cm kleine Bronzeplakette mit Porträt, oben auf dem 2 m breiten behauenen Findling Dührkoop (932), fast lächerlich, zumal es außerdem mit besonders großen Namensbuchstaben versehen ist!

Dührkoop
Dührkoop; Foto: Behrens

Das ganze Grabmal wird gelegentlich als Gesamtkunstwerk verarbeitet, wie 1902 das vom Lehrer Julius Schmarje (364) durch seinen Sohn, den Bildhauer Walter Schmarje. Die Porträtplatten – meist nicht oder nur mit schlichter Randleiste gerahmt – können dennoch auch mit Zweigen, Kränzen und reicheren Rahmungen verziert werden: Blumenmotive zum Beispiel (Dalmann, 134, Wex, 188) oder Lorbeerzweige (Rée, 203; Köllisch, 329; Halben, 363; Propfe, 383), Rosen mit Lorbeer (Fahrenkrug, 381), Lorbeergirlande (Reincke, AF 18, 117-8), Eichenkranz (Canel, 146b), Lorbeerzweige und Eichenblätter (Boysen, J 10, 251-2), geometrische Umrandung (Menzel, 601). Das Grabmal für Carl Boysen, 1839-1906, "Königl. Oekonomierat" und Schlachthofdirektor, wird zusätzlich mit der Inschrift „dem Andenken des treuen Mannes, gewidmet von seinen Freunden” begleitet; das von Heinrich Fricke (1854-1914) mit einer Widmung vom Druidenorden, den er lange geführt hatte.

Dalmann
Dalmann; Foto: Behrens
Wex
Wex; Foto: Behrens

Unter dem Porträt für den Reeder und Kaufmann Carl Woermann (384), 1813-1880, trägt die Reliefplatte auf dem Findling seinen Wahlspruch aus dem Psalm 90 nach Luthers Übersetzung "... und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen". Trotz dessen Größe lässt das Grabmal kaum erkennen, dass Woermann einer der wirtschaftlich mächtigsten Hamburger seiner Zeit war; sein Bildnis, ein Werk des Bildhauers Walter Sintenis (von ihm ebenfalls die Afrikaner-Freiplastik am Eingang vom Afrika-Haus, das für die Reederei Woermann gebaut wurde), stellt ihn uns in Frontansicht mit Büstenansatz als einen gutmütigen Mann mit direktem, sehr lebendigem Blick vor.

Woermann
Woermann; Foto: Behrens

Durch unterschiedliche Frisur und Kleidung sind alle diese Porträts möglichst getreu wiedergegeben und individuell: In Amtstracht (Stahmer 268, Leo 297, Manchot 599), mit Schnurrbart (Bernuth, 126), wilhelminischem Vollbart (Röver, 152), langem, zweispitzigen Bart (Bauer, 283); mit Zylinderhut (Köllisch, 329), Brille (Ruths, 405), Brille und Hut (Stavenhagen, 997) oder Schnurrbart und Brille (Moeller, 1935, Y 26, 24-5). Ergänzt mit Büstenansatz, bieten die Porträts eine interessante Auswahl jeweils zeitgenössischer Beispiele des bürgerlichen Denkmals in Hamburg, gleichzeitig auch einen guten Überblick über die Entwicklung der Mode durch das 19. und 20. Jahrhundert.

Köllisch
Hein Köllisch; Foto: Behrens

Für das Grabmal von Julius von Bernuth, 1830-1902, Direktor der Philharmonie und des Tonkünstlervereins, sowie das für den Architekten Richard Bahre (700), 1873 schon 40 Jahre vor seinem Tod geschaffen, wurden Bildnisse aus jüngeren Jahren verwendet. Sonst sind diese Männer fast alle im reifen Alter dargestellt.

Keitel
Keitel; Foto: Behrens

Die wenigen Porträts junger Männer fallen desto deutlicher auf. Viele sollen an junge Verstorbene des Ersten Weltkriegs erinnern. So findet man am Grabmal Keitel (431) das bronzene Porträtrelief eines Soldaten mit Stahlhelm für die beiden 1915 und 1918 gefallenen Söhne; desgleichen mit Porträt und Stahlhelm erinnert ein Ehrenmal aus Marmor als Bodenplatte an den 1918 verstorbenen Chef- und Stabarzt Dr. Alfred Teubert (1116). Auf einer Reliefplakette aus Bronze mit hochovalem Bildnis in Uniform schaut uns der junge, kindlich aussehende Alfred Reunert (734), 1894-1914, mit seinem eindringlichen Blick an.

Reunert
Alfred Reunert; AA 21, 13-21
Foto: Behrens

Es gibt noch andere Porträtreliefs: für Walther Patow, 1882-1915, „gefallen für das Vaterland” (dessen Mutter den sehr französischen Mädchennamen Courvoisier trug); für "unsern braven Jungen" Herbert Brinck, 1896-1916 (W 33); für Ernst Schnacke (849), gefallen 1918, mit den bewegenden Inschriften "zum Gedächtnis unseres einzigen, innigstgeliebten Sohnes" und, am Ende, "Du warst unseres Lebens Inhalt, unser Stolz und unsere Hoffnung". Für Tote des Zweiten Weltkriegs findet man zwei Büsten, ebenfalls in Erinnerung an die in Russland 1942 und in Schlesien 1945 gefallenen Gebrüder Baeumer (1240).

Schnacke
Ernst Schnacke; Foto: Behrens

Bei nicht im Krieg Gefallenen erhält das Grabmal auch gern ein Erinnerungsporträt für den jung Verstorbenen. Im Heckengarten-Museum steht ein sehr feines Marmorrelief mit Scheitel und etwas wilden Haarsträhnen auf der Stele des 1845 in Moskau geborenen Ernst Achenbach (119), der in Frankfurt 1863 erst achtzehnjährig verstarb. Ferner trägt die kleine rechteckige Bronzeplakette der Familie Reincke von 1910 ein ovales Porträtmedaillon mit Lorbeereinrahmung und Jugendstilschrift "Dem Andenken unseres lieben Ernst" (1881-1908), in Guayaquil verstorben. In den darauffolgenden Jahren und bis heute findet man, oft aus Marmor, weitere Porträtreliefs wie die von 1928 für Heinrich Kaufmann, Paul Schult (1920-1954), Andreas Pampel (1943-1962) oder die Totenmaske von Nicolas Meckserer (1978-2003) (eine zweite gibt es übrigens auf der dreiteiligen Breitstele Schlickum von 1958).

Nicht allein für Kinder und junge Männer aus früheren Zeiten gelten diese Porträts, auch für Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte – so für den Pianisten Eduard Erdmann (1896-1958), den Willy Neu hinter einem angedeuteten offenen Flügel abbildete; für den Schausteller Otto Witte (1872-1958), "König von Albanien"; ferner den Vorsitzenden des Chinesischen Vereins Chen Chung Ching (1908-1971), sowie Hans-Martin Schulz (1937-2002); und bronzene Büsten trifft man auch für den Schauspieler Harry Gondi (1900-1968) oder Dr. Wlodzimierz Sawluk (1927-1997).

Gondi
Harry Gondi; AB 13, 95-98
Foto: Behrens

III. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft

Alle der bisher erwähnten Porträts waren fast nur für Männer. Auf der großen Grabanlage für die Wohltäter der "Wilhelm und Helene Hell Stiftung für verwaiste Kinder der gebildeten Stände" (248) ist der Industrielle dargestellt, seine Frau nicht. Selbst auf dem Grabmal für Marie-Anne Lippert (269) ließ ihr Ehemann sich selbstverständlich mit ihr zusammen in der Mitte abbilden. Und das Grabmal der Freiherren von Harder und von Harmhove (949) hat mit seinen vier Ahnenporträts keine einzige Frau dabei.

Um 1900 hatte eine Frau wenig zu sagen, sondern vielmehr bescheiden ihren Mann zu unterstützen; bei den seltenen Ohlsdorfer Doppelporträts steht sie daher meist im Hintergrund und bei Sonne buchstäblich im Schatten ihres Mannes.

Fahrenkrug
Fahrenkrug; Foto: Behrens

Dementsprechend abgebildet werden das Reederehepaar Canel (146b) als Bronze-Relief in rechter Seitenansicht, das Architektenehepaar Fahrenkrug (381), nach links blickend in Dreiviertelansicht, und in linkem Profil die Eheleute Munckel (771) vom Bildhauer Paul Uhlig. Als überraschende Ausnahme werden dagegen die Eheleute beim Doppelporträt der großen Grabanlage Thörl (528) gleich behandelt, die Halbreliefs links und rechts oben schauen sich gegenseitig an. Ähnlich zeigt übrigens eine vereinfachte, moderne Version von 1994 das Architektenehepaar Sandtmann (O 9) in zwei kleinen, flachen, sich gegenüberstehenden ovalen Porträtmedaillons, den Mann mit Hut. Bis 1920 erwähnt der Katalog nur vier Porträts von Frauen.

Kalmar
Annie Kalmar; Garten der Frauen
Foto: Behrens

Eines der sicherlich schönsten und bekanntesten ist das der berühmten Schauspielerin Annie Kalmar, 1877-1901 (362), jetzt im Garten der Frauen; der Bildhauer Richard Tautenhayn stellte die jung Verstorbene aus weißem Marmor konturlos und fast ätherisch aus dem Steinhintergrund dar, ihre weichen Züge nur zart angedeutet. Das zweite Porträt, ein Bronzerelief von 1905 für Emilie Oppenheim (406) mit aufgeknoteten Haaren, wurde anscheinend in Rom von einem Verwandten entworfen; ebenfalls von einem Familienangehörigen das der Conny Michaelis (659) mit ihrem prägnanten, nicht sehr schmeichelhaften Profil.

Michaelis
Conny Michaelis; Foto: Behrens

Seit der Patenschaft Löwe 2004 ist die große Grabanlage Peters (453) verändert und reduziert worden; dabei sind leider die beiden letzten von vier bronzenen Porträtreliefs abgeräumt worden: das der Wilhelmine, 1817-1902, mit der Inschrift "Still ist das Herz, das treue, das heilige Mutterherz" – sowie des jungen Theodor, 1859-1883, mit folgendem Text "Dahin ist Streben, ist Hoffen und Schaffen des Jünglings"; beide waren 2002 noch vorhanden!

Strasser
Grete Strasser; Foto: Behrens

Aus dieser Zeit gibt es dennoch drei andere Porträtreliefs von jung verstorbenen Frauen, alle aus Bronze: das der jungen Grete Strasser (506), 1880-1908, mit Flügeln und Wolken; das rechteckige Relief der 36jährigen Charlotte Krause (AF 16) mit wehendem Schleier und Kreuz an der linken Hand, auch von 1908; sowie das Medaillon der Jenny Schmoldt (885), 1889-1918, mit Brosche und Ohrschmuck. Die Zahl der Frauenporträts nimmt nach 1920 deutlich zu, sie werden nicht mehr allein für jung Verstorbenen bestellt. Auf dem hochrechteckigen Porträtrelief aus Bronze von Emmerich Oehler wird Anita Jahn, 1897-1923, mit Haarknoten im Nacken und Ohrschmuck dargestellt; aus Marmor Elfriede Johne, 1908-1931, mit geschlossenen Augen zwischen zwei Mädchen;

Praßler
Clara Praßler; Foto: Behrens

Clara Praßler (1214), 1878-1940, breit lächelnd mit Ohrschmuck und typisch zeitgenössischer gewellter Haartracht; Anna Brocker, 1881-1940, mit Pullover.

Brocker
Anna Brocker; D 17, 233
Foto: Behrens

Und die Schaustellerin Mutter Veldkamp (1268), 1865-1944, wird von Oskar Witt mit hochgeschlossenem Kleid und Kopftuch abgebildet. Außerdem steht noch beim Grabmal Klugt (1134) von 1937/38 die Marmor-Büste einer nicht bekannten Frau.

Drei kleine Mädchen übrigens werden 1938 ebenso porträtiert, zwei davon auf Sandsteinstelen – die fast neunjährige Erika Wegener (1168) als kniender Engel, die kleine einjährige Edith Ahrens, ebenfalls mit Flügeln, als Porträtmedaillon. Beim Grabmal Böttcher (1169) wurde der Kopf der dreijährigen Tochter ("unsere liebe, unvergessliche, süße, kleine Barbara2) als Porträtrelief auf einem Kissenstein mit Bronzeplakette abgebildet. Zwei weitere Mädchenporträts stehen auf der Stele Gagmann von 1944, das linke Mädchen mit offenen, das rechte mit geschlossenen Augen.

Winter
Frieda Winter; Foto: Behrens

Zu Frauenporträts der letzten Zeit kann man noch das hochrechteckige Bronzerelief mit Jugendporträt der hübschen Frieda Winter, 1895-1960, nennen (mit angedeutetem Lächeln, gewellter Hochfrisur und Perlenschmuck), das – noch 2005 dokumentiert – leider nicht mehr auffindbar ist. Das Gesicht der Elisavjeta Privalova, 1902-1963, unter dem die russische Inschrift "meinem Täubchen, der Ehefrau" steht, wurde mit ähnlicher Andeutungstechnik wie bei Annie Kalmar wiedergegeben; ferner steht ein Bronzerelief von 1964 auf der Stele von Anke Jung Lothar. Und eine Marmor-Halbbüste wurde in einer Granitstele für Carmen Pérez-Heidelmann de Nebot, 1936-1992, eingesetzt; ihre Spitznase, ihre Lockenfrisur und ihr Kleid sind sehr realistisch wiedergegeben.

Pérez-Heidelmann
Carmen Péres-Heidelmann; T 20, 251
Foto: Behrens

Zuletzt beweist auch noch das porzellanfarbene Porträtmedaillon von Bert Ulrich Beppler für Domenica Niehoff, 1945-2009, dass Abbildungen von geliebten bzw. verehrten Menschen nicht nur Mode der Vergangenheit sind.

IV. Photos statt Skulpturen und Porträtreliefs? Schlussbemerkungen

Porzellan- und Emaillephotos sind kleine ovale Plaketten mit Porträts; relativ leicht und billig herzustellen, waren sie damals viel günstiger als Skulpturen und Reliefs aus Stein oder Bronze und verbreitet. Das frühste Porträtphoto aus Porzellan fand sich auf einem Grabmal von 1894. Heute sind leider kaum noch welche erhalten: das Grabmal Matthies (673) mit Porträts beider Eheleute wurde von der Familie durch ein modernes ersetzt, das Porzellanmedaillon Lamps (788) fehlt ebenfalls – so bleiben wohl von den vier erwähnten Exemplaren aus dem Katalog von 1990 nur noch zwei! Es sind die sehr kleinen ovalen Porzellanphotos, einmal der jungen Erna Boldt (672), 1889-1912, mit zeitgenössischer Hochfrisur sowie des Erick Richter (855) in Uniform, der im Ersten Weltkrieg fiel, 1918 erst zwanzig Jahre alt.

Boldt
Erna Boldt; H 18, 40-42
Foto: Behrens
Richter
Erick Richter; K 30, 89-91
Foto: Behrens

Seit einiger Zeit erlebt diese vergessene Bilder-Mode eine allgemeine Renaissance – man findet häufig (gerahmt, laminiert oder einfach in einer Plastiktüte geschützt) Photos auf Grabmalen, auch zusammen mit anderen Erinnerungsstücken bei den Urnen in den Kolumbarien. Und immer mehr werden Grabmale sogar mit richtigen ovalen Photomedaillons bestückt, wie es in den südlicheren Ländern längst üblich ist. Oft tragen solche Medaillons ausländische Namen, nicht nur im katholischen Bereich des Friedhofs bei der Kapelle 13.

Binelli
Matteo Binelli; BW 69, 511-512
Foto: Behrens

So findet man ovale Photomedaillons mit schwarz-weißen bzw. farbigen Photos, zum Beispiel auf dem Holzkreuz Mertens von 1964, auf einem Marmorkissen mit Dekoreinrahmung aus Metall für den Italiener Matteo Binelli, 1973, oder auf dem schwarzem Granitgrabmal Reese/Wolff mit weißer Umrandung für den zweijährigen Lars, 1999. Weiter auch auf dem Grabmal des Polen Grzabka, 1988, des Griechen Basileios Kanares, 2001, des (wohl Deutschen) Ingo Burat, 2002; des katholischen Iraners Bakzadeh, 2005, des Spaniers Andres Moreno de la Fuente, 2008. Ebenfalls sind zwei Photomedaillons seit 2003 auf dem chinesischen Teil des Friedhofs (Bp 67) vorhanden.

Farokhi
Sheema Farokhi
Foto: Behrens

Besonders interessant ist die Entwicklung bei den relativ neuen islamischen Gräberfeldern östlich der Kapelle 13 (Bn 72). Speziell bei den iranischen Moslems waren zahlreiche, meist auf dunklem Hintergrund eingravierte Männerporträts (unterdes auch von einer Frau und des kleinen dreijährigen Mädchens Sheema Farokhi) schon auffällig. Nicht allein bei türkischen Familien nimmt in letzter Zeit die Zahl der festangebrachten Photos und Medaillons deutlich zu, wohl zu Lasten der früheren und aufwändigeren Porträt-Technik. Umgekehrt aber findet man im nicht weit entfernt angelegten Kinderfriedhof (Bn 72) bei der gepflegten, viel besuchten Grabstelle für die 2004 ermordeten siebenjährigen Angelina zwei ähnliche Lasergravur-Porträts, darunter eins in Form einer Träne.

Angelina
Angelina; Kindergrabstätte BN 72
Foto: Behrens

Wieder einmal bietet also der Ohlsdorfer Friedhof auf diesem speziellen Gebiet der menschlichen Züge eine großartige Vielfalt an Porträts, von den historischen bis zu den jüngsten, von den schlichtesten zu den kunstvollsten, von den expressivsten zu den bewegendsten – für jung und alt, Frau oder Mann. Es bleibt jetzt nur zu hoffen, erstens, dass konkrete Sicherheitsmaßnahmen die erhaltenswerten Grabmale effektiver vor einem undifferenzierten und zu schnellen Abräumen schützen können. Und zweitens, dass der Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof e.V. genügend bereitwillige Spender findet, um gefährdete Kunstwerke noch rechtzeitig zu retten. Das Porträt des Pastors Manchot (599) von 1911 wird zum Beispiel ausführlich im Katalog erwähnt; es soll eine besondere Eindringlichkeit zeigen und das Gesicht durch eine unruhige Oberflächenbehandlung einen außerordentlich lebendigen Charakter erhalten. Leider liegt der Findling zur Zeit nach vorne umgekippt – und versteckt vorläufig seinen Schatz. Ob dieser noch zu retten ist?

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Porträts auf Grabmälern (Mai 2010).
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