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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Eine unvergessliche Friedhofsführung

Autor/in: Peter Schulze
Ausgabe Nr. 106, III, 2009 - August 2009

"Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus welchem wir nicht vertrieben werden können" schrieb so oder so ähnlich der Dichter Jean Paul.

Wie wir wissen, verblassen aber auch einige Erinnerungen mit den Jahren, zumindest Erinnerungen an Einzelheiten des Geschehens. Die Höhepunkte mancher Erlebnisse aber, die Glücksmomente oder die Highlights, wie man heute neudeutsch sagen würde, bleiben einem noch lange gegenwärtig, auch wenn zehn Jahre oder mehr darüber vergangen sind.

Die Mitglieder des Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof e.V. hatten in den vergangenen zwanzig Jahren die Gelegenheit, während der mehr als zehn Ausfahrten und Exkursionen zu außerhamburgischen Friedhöfen an zahlreichen bemerkenswerten Friedhofsführungen teilzunehmen. Diese Exkursionen waren zu allermeist von Dr. Hans-Jörg Mauss, dem ehemaligen ersten Vorsitzenden des Vereins, hervorragend organisiert und vorbereitet worden. In vielen Fällen hatte er den Verlauf der Exkursionen auf einer privaten Tour zusammen mit seiner Frau ein Jahr zuvor minutiös vorweg bereist und die Kontakte zu den Friedhofsexperten vor Ort geknüpft. Und dabei hatte er zumeist ein gutes Händchen.

Bei der Exkursion zu historischen Friedhöfen in der sächsischen Landeshauptstadt zum Beispiel war die Landschaftsarchitektin Simone Meinel als sachkundige Kulturführerin gewonnen worden. Bei einer Fahrt zu den Klassikergrabstätten in und um Weimar wurden den Teilnehmern schon während der Busfahrt zum eigentlichen Ziel durch den mitreisenden ehemaligen Hamburger Kultursenator Professor Wolfgang Tarnowski detaillierte Hintergrundinformationen über die Weimarer Protagonisten geboten, während sie später auf den Begräbnisplätzen in Weimar, Buttstädt und Osmannstedt fachkundig geführt wurden durch die Kulturhistorikerin Dr. Barbara Happe.

Die längste und bisher weiteste Fachexkursion der Ohlsdorfer, die in die österreichische Landeshauptstadt Wien führte, hatte der unvergleichliche Amtsrat Professor Julius Müller kenntnisreich und mit Wiener Charme zu einem großen Erlebnis für alle Teilnehmer werden lassen. Nach der Besichtigung des Wiener Bestattungsmuseums zeigte er den Hamburgern Gedenkstätten für Haydn, Brahms, Mozart und Schubert im Wiener Stadtgebiet, den St. Marxer Friedhof mit dem Mozartgrab und dann den berühmten Zentralfriedhof und das Wiener Krematorium.

Besonders lebhaft ist dem Verfasser die zweitägige Fachexkursion nach Berlin 1998 in Erinnerung geblieben. Ausschlaggebend dafür war gewiss der unvergessliche Vortrag des Berliner Kunsthistorikers Dr. phil. Jörg Kuhn auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhof, dem Invalidenfriedhof, dem Garnisonfriedhof und schließlich dem Südwest-Kirchhof in Stahnsdorf bei Berlin. Es war sicher nicht die Fülle an Prominentengräbern, die die Teilnehmer an den Führungen am meisten beeindruckte. Daran ist ja auf den Berliner Begräbnisplätzen nun wahrlich kein Mangel: Schadow, Rauch, Litfaß, Hegel, Fichte, Brecht, Heinrich Mann, Stefan Zweig u.a. auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhof oder Heinrich Zille, Lovis Corinth, Engelbert Humperdinck, Hugo Distler, Carl Ludwig Schleich, Walter Gropius und Werner von Siemens auf dem Südwest-Kirchhof, um nur einige neben den zahlreichen Offizieren und Staatsbeamten auf dem Invalidenfriedhof und Garnisonfriedhof zu nennen. Nein – es war die herzliche und fröhliche Art des Friedhofsexperten Kuhn. Der schlanke blonde Kunsthistoriker erstaunte die Gäste aus Hamburg mit profundem und detailiertem Wissen nicht nur über geschichtliche und kunstgeschichtliche Zusammenhänge, sondern auch über die vielen prominenten Verstorbenen. Er unterstützte seinen Vortrag mit vorbereiteten Bildtafeln, die er hoch über den Kopf hielt, damit sie jeder sehen konnte, und würzte seine Informationen mit oft lustigen Anekdoten aus dem Leben der Verstorbenen.

Dr. Jörg Kuhn
Dr. Jörg Kuhn, Friedhofsführer in Berlin
Foto: P. Schulze

Wenn man die Fotos von diesen Friedhofsführungen noch einmal ansieht und die Erinnerung Revue passieren lässt, dann scheinen diese offenbar ein beiderseitiges Vergnügen gewesen zu sein. Von Dr. Kuhn selbst ging eine ansteckende Fröhlichkeit aus, die sich auf seine Zuhörer aus Ohlsdorf unmittelbar übertrug. Als am Abend des zweiten Tages die Friedhofsführung in Stahnsdorf zu Ende war, die Hamburger wieder in ihren Bus eingestiegen waren und Dr. Kuhn allein zurückblieb, fiel einigen der Abschied sichtbar schwer. Die Förderkreisler hinter den Busfenstern winkten ohne Ende, Dr. Kuhn winkte zurück. Es schien schon fast, als ob die eine oder andere Träne zerdrückt wurde. Es war so schön, und es war schade, dass es zu Ende war.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Friedhofsführer (August 2009).
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