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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Unglücksfälle im Hamburger Hafen - Gedenkstätten in Ohlsdorf

Vergessen, weil die Zeit verstrich, vergessen, weil der Ort des Geschehens überbaut wurde oder vergessen, weil keiner mehr sich erinnern kann, obwohl einst ein "ehrendes Andenken" gelobt wurde.

Dennoch, Geschichte sind sie geworden, die Unglücke im Hamburger Hafen, weil noch Gedenkstätten auf dem Friedhof, dem letzten Hafen, verblieben. An vier bewegende Ereignisse mit zahlreichen Toten wird im Folgenden erinnert.

Auf dem Grasbrook explodierte ein Gasometer

Dort, wo heute auf der ehemaligen Elbinsel "Großer Grasbrook" sich Hamburgs HafenCity mit dem Übersee-Quartier entwickelt – wasserseitig vom Chicago-Kai (damals Strandkai) und Magdeburger Hafen begrenzt – befand sich von 1845 bis 1976 auf einer etwa 7 ha großen Fläche Hamburgs ältestes Gaswerk. Im Rahmen einer Kapazitätserweiterung wurde dort 1909 ein nicht umhüllter Teleskop-Gasspeicher errichtet, mit 200.000 cbm Inhalt und 71 m Höhe damals Europas größter Gasometer. Würde er heute noch stehen, er würde höhenmäßig in Konkurrenz mit dem 800 m entfernten und im Bau befindlichen Gebäude der Elb-Philharmonie treten. Unter dem Behälter befanden sich eine Gleisdurchführung und Lagerräume. Der zweimal wieder errichtete Behälter wurde 1985 abgerissen.

Explosion des Gasometers
Die Explosion des Gasometers am 7. Dezember 1909
Foto: Archiv Förderkreis

Am 7. Dezember um 15 Uhr, erst zehn Tage in Betrieb und bis zur Hälfte gefüllt, brachen beim Befüllen des Gasometers die Eisenträger der Bodenkonstruktion zusammen. Die Blechhaut riss auf. Das ausströmende Gas entzündete sich, und es kam zu einer gewaltigen Explosion. Riesige Wassermassen aus dem Innern des Druckbehälters überströmten zudem das Werksgelände. Auch ein benachbarter Gasbehälter fing Feuer. Dabei wurden 30 Menschen getötet und 42 verletzt. Zu den Toten gehörten neben Arbeitern und Handwerkern auch Frauen der Betriebskantine, die in unmittelbarer Nähe stand. Die Löscharbeiten dauerten bis in den späten Abend an.

Grabmal Grasbrook
Historische Aufnahme der Grabstätte der bei dem Unglück auf dem Großen Grasbrook Verunglückten, Lage AF 19. Im Hintergrund das Mausoleum von Schröder. Foto: Helmke/Archiv Förderkreis

16 Tote wurden auf dem Ohlsdorfer Friedhof in einer gemeinschaftlichen Grabstätte beigesetzt. In unmittelbarer Nähe der Friedhofgärtnerei Kapelle 7 in AF 19, versteckt hinter Rhododendronbüschen, markieren aufrecht gestellte gewaltige Granitfindlinge die Grabstätte. Die Findlinge sollen 1910 beim Bau der Turnhalle für den Eimsbütteler Turnverband gefunden und ausschließlich für diesen Zweck verwendet worden sein. Auf dem 260 cm hohen Hauptstein prangt eine Bronzetafel mit der Inschrift:

DEM ANDENKEN DER AM
17. DEZEMBER 1909 BEI DEM BRANDE
AUF DEM GROSSEN GRASBROOK
VERUNGLÜCKTEN GEWIDMET

Am Fuße des Steines nennen in gleicher Weise gestaltete Plaketten auf Kissensteinen die 16 Namen der hier Beigesetzten. Sie waren einst den eigentlichen Gräbern zugeordnet, wie ein altes Foto es beweist.

Ein Dampfer kippte um

Unweit des Seemannsfriedhofes gleich neben der Rotbuchenallee fällt in Bi 57 ein mit einer geschnittenen Eibenhecke umfriedeter Grabbezirk auf. Zwei Trauerbirken flankieren eine mächtige, denkmalwerte Breitstele im Stil der Grabmalreform der 1920er Jahre aus Obernkirchener Sandstein, entworfen von Oskar Ulmer. Die Inschrift lautet sowohl in Spanisch als auch in Deutsch:

Hier ruhen 26 brasilianische Mannschaften und 7 deutsche Arbeiter, welche am 16. Juni 1922 beim Untergang des brasilianischen Dampfers Avaré im Hamburger Hafen als Opfer ihres Berufes in treuer Pflichterfüllung den Tod erlitten haben.

Erworben wurde die Grabstätte von der Fa. Companhia de Navegaçao Lloyd Brasileiro erst ein Jahr später in der Inflationszeit zum Preis von 958 000 Mark. 1912 in Bremen vom Stapel gelaufen und vom Norddeutschen Lloyd als Sierra Salvada in den Südamerika-Dienst gestellt, wurde der Dampfer 1917 von Brasilien beschlagnahmt und nahm nach dem Krieg, aber unter brasilianischer Flagge und getauft auf den Namen Avaré, wieder Passagierfahrten mit dem Ziel Hamburg auf. Die notwendige Generalüberholung 1922 auf der Vulcanwerft in Hamburg endete für den Dampfer beim Ausdocken jedoch mit einem Desaster. "Vier Schlepper hatten das brasilianische Schiff rückwärts aus dem Dock verholt. Es neigte sich sogleich stark nach Backbord, wobei die offenen Bullaugen bereits Wasser übernahmen, richtete sich kurz wieder auf, krängte hinüber nach Steuerbord und kam dabei schließlich zum Kentern. Über hundert Seeleute und Arbeiter kamen mit dem Schrecken davon. Die Rettungsmannschaften fischten sie aus dem Wasser oder bargen sie aus den 17 Löchern, die sie in die Schiffswand brannten. 26 brasilianische Seeleute und 13 deutsche Werftarbeiter fanden den Tod. Als Ursache für das Unglück stellte das Seeamt später die ungenügende Auffüllung des Doppelbodentanks fest. Die frei beweglichen Wassermassen gerieten beim Andrehen der Schlepper in Bewegung und brachten das Schiff zum Kentern", berichtete 30 Jahre später der Hamburger Anzeiger anlässlich eines Gedenkgottesdienstes und Besuches brasilianischer Seeleute auf dem Friedhof. Einer anderen Zeitungsnotiz aus dem Jahr 1972 ist hinsichtlich der Bergung zu entnehmen: "Die Bergung des flach im Ellerholzhafen liegenden Dampfers stellte die Bugsier-Reederei & Bergungs-AG vor eine heikle Aufgabe. Es wurden am Kai des heutigen Schuppens 76 Pfähle, stark wie Duckdalben, in den Boden gerammt: Fester Halt für ein Dutzend Dampfwinden, deren Zugseile und Flaschenzüge zur Avaré führten. Auf ihrer himmelwärts weisenden Bordwand waren zuvor Hebeböcke montiert, um die nötige Hebelwirkung zu erzielen. Schwimmkräne und Hebefahrzeuge unterstützten die Zugkraft der Winden." Am 16. August begann das Aufrichten. Am 7. September schwamm der Koloss wieder und konnte erneut eingedockt werden.

Avaré
Der gekenterte Dampfer "Avaré" im Hamburger Hafen
Foto: Archiv Förderkreis

Die brasilianische Reederei verlor das Interesse an dem Wrack. Daraufhin erwarb 1923 der Berliner Finanzier Victor Schuppe dann das 8791 BRT große und 140 m lange Schiff, ließ es umbauen und mit einem zweiten, aber blinden Schornstein versehen. Nichts sollte an das Unglück mehr erinnern, auch nicht der Name. Mit einer wechselvollen Geschichte fuhr es bis 1963 unter fünf Namen und unterschiedlichen Reedern. In Wladiwostok wurde der Dampfer abgewrackt. Aus der Vulcanwerft in Hamburg wurde später die Howaldtswerft, auf der 27 Jahre später, fast auf den Monat genau, ein weiteres Unglück zu beklagen war.

Auf der Howaldtswerft tötete ein 40-t-Kran zehn Arbeiter

"'Es war schlimmer, als wenn eine Bombe fällt', sagten uns die Arbeiter einer Werkstätte, die sich in unmittelbarer Nähe des Unglückskranes befindet, der gestern Mittag gegen 13.20 Uhr auf dem Imperator-Kai der Howaldtswerft in sich zusammenstürzte. Der 15 Meter hohe Vierzig-Tonnen-Kran war dort unter einen 200-Tonnen-Kran gefahren worden, an dem er für notwendige Reparaturarbeiten zur Sicherung befestigt werden sollte. Plötzlich stürzte unter furchtbarem Getöse der Vierzig-Tonnen-Kran in sich zusammen. Die zwölf Mann starke Arbeitskolonne, die sich unglücklicherweise bereits im Gestänge des Kranes befand, wurde unter den Eisentrümmern begraben", so berichtete eine Zeitungsmeldung vom 7. Juli 1949. Eine andere Meldung lautete später: "Die Polizei vermutet nach ihren bisherigen Feststellungen, daß die Kolonne mit ihrer Arbeit begann, ehe die Sicherungsmaßnahmen völlig durchgeführt worden waren. Die Werftleitung hingegen ist der Ansicht, daß der Kran einen bisher nicht feststellbar gewesenen Bombenschaden erlitten hatte, so daß es nur eines geringen Anstoßes bedurfte, durch Überlastung den Einsturz herbeizuführen. Beide Ansichten sind Vermutungen; der Mann, der eine Antwort hätte geben können, wurde tot aus den Trümmern geborgen: Stahlbaumeister Tank."

Die Howaldtswerft, 1937 hervorgegangen aus der Vulcanwerft, besteht seit 1985 nicht mehr. Sie lag einst westlich des Roßhafens auf der Fläche, die nunmehr Industriegebiet ist und im nördlichen Bereich zum Containerterminal "Toller Ort" gehört.

Traueranzeige
Traueranzeige der Howaldtwerke AG für die 1949 auf der Werft Verunglückten. Foto: Archiv Förderkreis

Die Direktion der Howaldtswerke AG erwarb für die Verunglückten auf dem Friedhof Ohlsdorf bei Kapelle 4 eine gemeinsame Grabstätte (G 8, 161-170). In einer Traueranzeige ließ sie die Öffentlichkeit wissen: "Durch einen tragischen, in seinen Ursachen bis heute noch nicht aufgeklärten Unfall am 6. Juli 1949 auf unserer Werft verloren wir zehn unserer besten Mitarbeiter. […] Tief erschüttert stehen wir an der Bahre der Verunglückten, die, für uns unfaßbar, plötzlich durch ein hartes Geschick aus unserer Mitte gerissen wurden. Wir werden den Dahingeschiedenen ein ehrendes Andenken bewahren." Eine Breitstele in der Mitte der halbrunden Grabanlage als Gedenkstein macht auf die hier Bestatteten aufmerksam. Heute, nach 60 Jahren, sind die Anlage und damit auch das Unglück in Vergessenheit geraten. Eine Namensplatte fehlt. Tiefer Schatten und mit Moos bewachsene Grabbeete hinterlassen einen ungepflegten Eindruck.

Eine Reederei beklagte vier Tote

Einst erinnerte gegenüber der Kapelle 9 in AB 40 ein kleines Wandgrabmal aus vier Stelen und einem Mittelkreuz an vier Arbeiter der Schiffahrts- und Speditionskontor ELBE GmbH. Sie verunglückten am 7. Januar 1936. Das Grabmal trug die Inschrift: "Unseren Arbeitskameraden zum ehrenden Gedenken / Sie starben in treuer Pflichterfüllung". Die Binnenschiffsreederei besteht nicht mehr und auch nicht das denkmalschutzwürdige Grabmal, das noch im Grabmalkatalog von 1990 unter der Nr. 1119 genannt wird. Das "ehrende Gedenken" ist damit völlig ausgelöscht.

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Katastrophen und Unglücksfälle (Mai 2009).
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