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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Eine ganz andere Friedhofschronik: Mosaiksteine in der endlosen Geschichte eines ungewöhnlichen Friedhofs

Bei Jubiläumsfeierlichkeiten ist es üblich, zurückzublicken auf die Vergangenheit, das Werden und die Bedeutung des Jubilars. Im Fall des 125-jährigen Bestehens des Ohlsdorfer Friedhofs käme ein solcher Rückblick in weiten Teilen einer Wiederholung bekannter und gründlich erforschter Tatsachen gleich.

Dafür stehen u.a. das grundlegende Werk "Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf - Geschichte und Grabmäler" von Leisner/Thormann/Schulze aus dem Jahr 1990 und weitere Arbeiten, die in jüngster Zeit von Mitgliedern des Förderkreises publiziert wurden.

Was bisher aber noch kein Thema war, ist eine Aufzeichnung persönlicher Eindrücke, Erlebnisse oder Begebenheiten von Menschen, die aus unterschiedlichen Anlässen Kontakt mit diesem einzigartigen Friedhof hatten, ergänzt durch "Ohlsdorf"-Fundstellen in Literatur, Zeitschriften und weiteren Veröffentlichungen.

Wir haben versucht, aus zahlreichen Quellen und neuerlichen Befragungen eine Chronik in Kurzform zu erstellen, die ein vielfältiges, zuweilen sehr persönlich geprägtes Geschichtsbild dieses Friedhofs widergibt. Die aufgezeigten Aussagen - Originalton! - sind erwartungsgemäß meist subjektiver Art, für einige Leser vielleicht banal oder uninteressant, in der Gesamtheit jedoch bestätigen sie, was man eigentlich schon immer wusste: Leben und Tod, Trauer und Freude und ein gewisser Humor liegen auf einem Friedhof nahe beieinander.

1875 Etwa um diese Zeit muss die Gegend des zukünftigen Friedhofs sehr unwirtlich gewesen sein, Alfred Aust berichtete: Es waren weiteste Flächen schlechtesten Sandbodens, die zum größten Teile als Schaf- und Kuhweiden gedient hatten. Nur wenige Knicks unterbrachen das geplante Friedhofsgebiet. Bei stürmischem Wetter wurde der Flugsand hoch aufgewirbelt und machte einen Aufenthalt fast unmöglich. Der Weg von Alsterdorf kommend war ähnlich beschaffen und Pastor Sengelmann klagte: Da gab es keinen Steindamm mehr, befreit von allem Tande ergriff man den Spazierstock nun und watete im Sande.

Armin Clasen, Fuhlsbüttel und Ohlsdorf, Hamburg 1963

1877 Das Schicksal will es, dass einer der Vorbesitzer des Friedhofsgeländes, der Anbauer Hein Hinrich Schwen, einen Tag vor der Friedhofseröffnung stirbt, und als einer der Ersten in Ohlsdorf beigesetzt wird. Sein Grab befindet sich noch heute gegenüber der Kapelle I auf der anderen Straßenseite.

Helmut Schoenfeld

1892 Als Choleraleichen in der Nacht mit Möbelwagen zur Beerdigung nach Ohlsdorf gefahren wurden, waren Kuhlengräber und Liekendräger keine angenehmen Berufe. Um sich gegen die unheimliche Krankheit zu schützen, gab man ihnen von Staats wegen ein Gläschen Alkohol zur "innerlichen Verwendung". Damals hieß es bei ihnen, wenn sie die Massengräber aushoben: "Rum oder rin!"

Alfred Aust

1903 Der Wegweiser durch Hamburg und Umgebung, hrsg. vom Verein zur Förderung des Fremden-Verkehrs in Hamburg, bezeichnet den "Zentral-Friedhof in Ohlsdorf" als "die großartigste und vollkommenste Anlage dieser Art. Es hat solche bis heute keine Stadt der Welt aufzuweisen. ... Unter dem eigenartigen Zauber und der poetischen Stimmung, die über den ganzen Anlagen schwebt ... muss einem bänglich dem Tode entgegensehenden Menschenherzen der Anblick dieses Gartens ein wahrer Trost sein, es sind die Gefilde der Seligen, die wir hier betreten, und keine menschliche Phantasie vermag dieselben bezaubernder auszumalen, als sie hier in Wirklichkeit dargestellt sind".

Albrecht Schreiber

1905 Für Besucher des Friedhofs, die nicht gehen können, ist im Verwaltungsgebäude ein bequemer Fahrstuhl zu haben, der von einem Angestellten geschoben wird. Fast alle in den beiden Spaziergängen angegebenen Punkte ... können mit dem Fahrstuhl erreicht werden. Die Gebühren betragen Mk. 1,50 pro Stunde.

Der Friedhof in Ohlsdorf - Eine Darstellung seiner Einrichtungen und Führer durch die Anlagen. Von H. Benrath; Verlag Johannes Kriebel, Hamburg

Ich hoffe nämlich, dass Sie alle das ebenso machen wie ich, dass Sie zuerst den Fremden den Friedhof zeigen und dann das Rathaus. (Heiterkeit!) Ein schönes Rathaus kann nämlich noch manche Stadt zeigen, aber einen solchen Friedhof nicht, so der Abgeordnete Paridom Möller zu den Renommierobjekten Hamburgs in der Zeit der Jahrhundertwende.

Stenografische Berichte zur 29. Sitzung der Bürgerschaft zu Hamburg im Oktober 1905

1910 Zwischen 1878 und 1910 sind in den inzwischen 25 Krematorien in Deutschland 29 981 Einäscherungen vorgenommen worden. Nach Gotha mit 6592 Kremationen nimmt Hamburg mit 4588 den zweiten Platz ein. 1910 verzeichnet das Hamburger Krematorium 678 Feuerbestattungen, die Hamburger ist damit Deutschlands am meisten in Anspruch genommene Einrichtung dieser Art.

Die Feuerbestattung. Von Artur Schubert; Miniatur-Bibliothek/Verlag für Kunst und Wissenschaft, Leipzig

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Altes Krematorium (Foto: Archiv Förderkreis)

1915 In Hamburg schrieb der Architekten- und Ingenieurverein einen Wettbewerb "Grabdenkmal für die Kriegerbegräbnisstätte in Ohlsdorf" aus, der einer der ersten dieser Art war ... Als in Hamburg aus dem Projekt einer "Heldengedächtnishalle" auf dem Ohlsdorfer Friedhof ein 2,6-Millionen-Projekt entstand, regte sich in der Stadt Widerstand. Das "Friedenskartell Hamburg" und verschiedene Kriegsopferorganisationen protestierten beim Senat gegen die Verschwendung einer so hohen Summe und wiesen auf die Not der Kriegshinterbliebenen hin ... Noch heute stehen auf dem Ohlsdorfer Friedhof Grabsteine für bereits 1914 gestorbene Soldaten ... Die Zahlen der im Lazarett Sterbenden und der überführten Toten war so groß, dass die Verwaltung des Ohlsdorfer Friedhofs schon 1914 die Anlage eines Soldatenfriedhofs planen musste.

Kriegerdenkmäler nach 1914-18; s. a. Der deutsche Soldatenfriedhof in Ohlsdorf in: Vaterstadt, Vaterland... - Denkmäler in Hamburg.
Von Volker Plagemann, Christians Verlag, Hamburg 1986

1917 Das ganze Aussehen Ohlsdorfs weist auf die Nähe des Zentralfriedhofs hin. Gastwirtschaften und Kaffeehäuser halten Erfrischungen verschiedener Art bereit. Wer auf dem Friedhof hungrig und durstig geworden ist, findet Gelegenheit, sich zu stärken, ehe er den Heimweg antritt. So stehen in Ohlsdorf die meisten Geschäfte in irgendeiner Beziehung zum Hamburger Zentralfriedhof.

Hamburg - Heimatkunde für Schule und Haus. Von C. Hentze; Boysen-Verlag, Hamburg

1921 ... noch bis in unsere Tage hinein gibt es Geistliche, die dazu neigen, einen Lebensmüden in ungeweihte Erde oder an der Kirchhofsmauer einzuscharren wie im finstern Mittelalter, aber der Staat ... wird mit diesen Überresten ... gründlich aufräumen, und so wird der Friedhof immer mehr von dem Schrecken verlieren, mit denen er einst umkleidet war. Er wird immer mehr nach dem Vorbilde des herrlichen Ohlsdorfer Parkes eine Stätte des Friedens, stiller Einkehr in sich selbst und des seelischen Verkehrs mit den Heimgegangenen werden.

Die alten Hamburgischen Friedhöfe. Von Otto Erich Kiesel, Broschek-Verlag, Hamburg

1926 Endet der Tod denn alles? Wer weiß denn, ob das Sterben nicht nur eine mehr oder minder schmerzhafte Phase zu einem Leben ist? Können wir uns wegdenken aus allem, was in und um uns ist? Hier werden alle Fragen wach, die sonst in stillen Stunden die Seele beunruhigen mit ihrem Woher und Wohin, und finden ihren sänftigenden Ausklang in der Gewissheit, dass vergehen nicht vergangen heißt. Über das große Auslöschen des Lebens hinweg sieht man im Geiste auf waldumhegten Altären die Flammen ewigen Werdens züngeln.

Ohlsdorf - Führer durch die Sehenswürdigkeiten des Ohlsdorfer Friedhofes. Von Otto Erich Kiesel und August Holler; Broschek-Verlag, Hamburg

1931 Am 21. März findet im Krematorium die Trauerfeier für den von Nationalsozialisten ermordeten kommunistischen Bürgerschaftsabgeordneten Ernst Henning statt. Von der Leichenhalle Jarrestraße aus hatte sich zuvor der Trauerzug u. a. mit Angehörigen des Rotfrontkämpferbundes und Abordnungen kommunistischer Organisationen, mit 120 Kränzen, 150 Fahnen und Spruchbändern nach Ohlsdorf in Marsch gesetzt. Während der Feier im Beisein von Bürgerschaftspräsident Leuteritz hält Ernst Thälmann hinter dem Verwaltungsgebäude eine Gedenkrede.

Schwarze Chronik einer Weltstadt. Von Helmut Ebeling, Kabel-Verlag Hamburg, 1980

1932 Mit dem Friedhof verbindet mich seit meinen Kindheitstagen Sonne und Wärme. Für unseren Besuch der Gräber meiner Großeltern und den damit erforderlich langen Fußmärschen wählte meine Mutter nämlich immer Tage mit gutem Wetter aus.

Jens Marheinecke

1934 Als 1877 der Ohlsdorfer Friedhof eröffnet wurde, richtete der Staat einen Omnibusverkehr zweimal am Tage dorthin ein. Der Wagen war eine an den Seiten offene Break, er fasste zehn Personen. Die Fahrt ging vom Schweinemarkt in Hamburg über Eppendorf, Winterhude, Alsterdorf bis zum Friedhofseingang und dauerte eine Stunde. Es ging sehr gemütlich dabei her.

Fuhlsbüttel - Gedenkschrift zum Tage der 650jährigen Zugehörigkeit Fuhlsbüttels zu Hamburg, 23. Juni 1934. Hrsg. mit Fuhlsbütteler Heimatfreunden von Dr. Rudolf Hey

1936 Der zehnjährige Egon war bereit, die Waffe zurückzugeben - aber nicht, ohne einen letzten Blick in den Lauf zu werfen und gleichzeitig den Abzug zu betätigen. Und diesmal hatte er die Waffe wohl unabsichtlich entsichert. Die Kugel drang durch das rechte Auge ins Gehirn, und Egon starb Sekunden später in den Armen seiner verzweifelten Mutter, unter den entsetzten Blicken von sechs Kindern. Am Tage der Beerdigung wurden wir mit dem Bus zum Friedhof Ohlsdorf gefahren. Wir nahmen Aufstellung neben dem offenen Grab und dem Sarg, der mir viel zu klein vorkam für den Leichnam unseres Klassenkameraden. Uns gegenüber standen Egons starr dreinblickender Vater, seine haltlos schluchzende Mutter und seine tränenüberströmte achtjährige Schwester. Allein der Gedanke, dass die Waffe, die Egons Leben gefordert hatte, seinem Vater gehörte, ließ mich schaudern.

Ich hatt' einen Kameraden. Aus "Neger, Neger, Schornsteinfeger" - Meine Kindheit in Deutschland. Von Hans J. Massaquoi, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knauer Nachf., München, 1999

1936 Ein Pastor, der mit meiner Mutter befreundet war, beerdigte unter dem großen Steinkreuz im Mittelpunkt des katholischen Gräberfeldes einen Mitbruder. Zum Schluss rief er die Trauernden auf, mit ihm für den aus der Mitte der hier Versammelten ein "Vater unser" zu beten, der als Nächster diese Welt verlassen müsse. Als das Amen verklungen war, stürzte er selbst tot in die offene Grube. Er wurde Tage später direkt daneben beigesetzt.

Jens Marheinecke

Etwa 1937 Sehenswert sind auch die Einzelfriedhöfe (auf dem Ohlsdorfer Friedhof), so der Ehrenfriedhof mit 3000 Gräbern deutscher und 300 Gräbern fremder Soldaten und der englische Kriegerfriedhof mit 600 Gräbern.

Hamburg und seine Ausflugsorte, Verlagsanstalt Rastede-Oldenburg

1945 Hamburg! Das sind die tropischen tollen Bäume, Büsche und Blumen des Mammutfriedhofes, dieses vögeldurchjubelten gepflegtesten Urwalds der Welt, in dem die Toten ihren Tod verträumen und ihren ganzen Tod hindurch von den Möwen, Mädchen, Masten und Mauern, den Maiabenden und Meerwinden phantasieren. Das ist kein karger militärischer Bauernfriedhof, wo die Toten auf die Lebenden aufpassen und teilnehmen müssen an dem Schweiß und dem Schrei der Arbeitenden und Gebärenden - ach, die können ihren Tod nicht genießen. Aber in Ohlsdorf - da schwatzen die Toten, die unsterblichen Toten, vom unsterblichen Leben! Denn die Toten vergessen das Leben nicht - und sie können die Stadt, ihre Stadt, nicht vergessen.

Wolfgang Borchert: "Stadt, Stadt: Mutter zwischen Himmel und Erde - Hamburg", Das Gesamtwerk, Rowohlt Verlag, 1945

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Grabstätte Wolfgang Borchert (Foto: Schreiber)

1946/47 Im kalten Winter fiel im Krematorium die Hydraulik der Sarg-Versenkungsanlage aus. Die Bediensteten halfen sich damit, dass der "abzufeiernde Leichnam" im Keller blieb und oben in der Feierhalle dafür eine leerer, aber geschmückter Sarg auf dem Katafalk zu stehen kam. Der Trick fiel alsbald auf. Alle 30 Minuten mussten dann die Särge die steile Wendeltreppe hinauf- und wieder hinuntergetragen werden.

Jens Marheinecke

1947 Das Arbeiten der privaten Friedhofsgärtner unterlag strengen Regeln. Vor Arbeitsbeginn musste in einem Anmeldebuch genau aufgeführt werden, auf welcher Grabstelle welche Arbeit ausgeführt werden sollte. Je Grabstelle war eine Gebühr von 50 Reichspfennig zu entrichten. Mit einem Stempel wurde die Arbeitserlaubnis erteilt. Das Buch musste als Beleg mitgeführt und den Kontrolleuren vorgezeigt werden. Betrat ein Friedhofsbesucher den Friedhof mit einem Spaten in der Hand, war er gleich der Schwarzarbeit verdächtigt.

Jens Marheinecke

1951 Auf dem Friedhof war ich zunächst nur auf den vogelkundlichen Wanderungen des Bundes für Vogelschutz "Was singt denn da?" Bis in die Dunkelheit hinein hielten wir uns dort auf, u.a., um den Waldkauz im kleinen Türmchen der Kapelle VII zu beobachten.

Helmut Schoenfeld

bombenopfer
Bombenopfer-Mahnmal (Foto: Schulze)

1952 "Der Luftkrieg hat unsere Stadt in Trümmer gelegt ... Heute stehen wir an dem Massengrab der Toten unserer Stadt ... An dieser Stätte sollen sich die Bürger dieser Stadt vereinigen können, um Zwiesprache mit den Toten zu halten. Ohlsdorf, dieser riesige Totenacker, der sich uns wie ein Garten des Friedens darbietet, hat von den irdischen Überresten der 55 000 Bombenopfer aufgenommen, was durch Menschenhand zu bergen war. So wird dieser Garten für uns zu einem Ort der Begegnung und der Weihe.

Bürgermeister Max Brauer, Ansprache anl. der Enthüllung des Mahnmales von Gerhard Marcks am 6. August 1952; Hamburg - Unser Wille zu sein, Schulbehörde Hamburg, 1959

1953 In der Gärtnerei Klein Borstel wurden bis zu 40 arbeitslose junge Mädchen beschäftigt. Die wenigen jungen Gärtner waren "Hahn im Korbe" und so manche zarten Bande wurden geknüpft.

Helmut Schoenfeld

"Wenn Du tot bist, kannst Du hier in Ohlsdorf machen was Du willst" so der Pförtner am Nebeneingang zu einem 15jährigen Jungen, der strengverbotenerweise sein Fahrrad mit auf den Friedhof genommen hatte.

Albrecht Schreiber

1955 Und die gleiche Freude an den Schönheiten der Vaterstadt machte es einem jungen Paar, das auf sich und gute Sitte hielt, zur Pflicht, dass der Brautzug, die schimmelbespannte Hochzeitskutsche zwischen Trauung und Hochzeitsmahl den Weg über den Harvestehuder Weg nehmen musste - ebenso wie in den Zeiten, als sich noch Leichenzüge vom Trauerhause im Stadtinnern nach Ohlsdorf bewegten, manch ein alter Alsterstädter sich ausbedungen haben mag, dass man seine sterblichen Überreste in dem prunkvollen Himmelwagen noch zum letzten Male unter dem Geläut von St. Johannis am Ufer der Alster vorbeiführen möchte.

Die Stadt an der Alster. Von Erwin Garvens; Verlag Ludwig Appel, Hamburg

1968 oder mag es ein Jahr früher gewesen sein? Der Leiter des Friedhofswesens, Oberbaurat Claus Ballenhin und auf dem Friedhof nur "Ballerbüx" genannt, legte die Richtlinien zur Gestaltung der Gräber so eng aus, dass er die zu Allerheiligen aufgestellten "Ewigen Lichte" von den Gräbern räumen ließ. Es kam zum Eklat. Von heute auf morgen wurde er seines Amtes entbunden und übernahm die Leitung des Gartenwesens.

Helmut Schoenfeld

1969 Der nahegelegene Ortsteil Klein Borstel wird meine zweite Heimat und dazu gehört nun auch der Ohlsdorfer Friedhof. Wie für alle unsere Nachbarn wird er zu einem bevorzugten Ziel unserer Spaziergänge und ist besonders geeignet zum Ausfahren von Kinderwagen.

Christine Behrens

1972 Gleichmacherei ist in der Freien und Hansestadt verpönt. Jeder muss zwar sterben, aber die Lebenden sorgen dafür, dass die sozialen Unterschiede auch bei Beisetzungsfeierlichkeiten fein gewahrt bleiben ... Also ein Begräbnis "mit Heckflossen", wie es in der Pietätsbranche pietätlos, aber zutreffend genannt wird. Zum Beispiel mit einer ein paar tausend Mark kostenden 4836er Dekoration in der Halle B des Ohlsdorfer Krematoriums: Mit 48 Leuchtern und 36 Blumenvasen, mit einem Meer von Kränzen und aufwändigem Sargschmuck. Pietät und Pomp gehörten in Hamburg schon immer zusammen.

Tod in Hamburg. Von Hans Joachim Bonhage; Merian-Heft Hamburg

1972 Die außergewöhnliche Größe des Friedhofs, die Vielzahl der Gewerbetreibenden und die Armeen von Gärtnern auf dem Friedhof beeindrucken mich zunehmend. Die Existenz von Menschen, abhängig vom Friedhof, wissenschaftlich zu untersuchen, wäre das nicht ein Thema für eine Dissertation?

Christine Behrens

1973 Der in Hamburg bekannte Schwanenvater Nieß, ließ am Nordteich schwarze Schwäne frei, ein Geschenk der britischen Königin an Hamburg. Da die Heimat dieser Schwäne Australien ist, begannen sie publikumswirksam im Spätsommer zu brüten. Immer wieder versuchten mitleidige Besucher die Schwanenfamilie vergeblich mit trockenem Brot zu füttern, um sie durch den Winter zu bekommen.

Christine Behrens

1974 Im Keller des Verwaltungsgebäudes brach an einem Wochenende aus ungeklärten Gründen ein Feuer aus. Obwohl es bei einem Schwelbrand blieb, verkohlen viele dort gelagerter Akten, eine später gern gebrauchte Ausrede, wenn etwas nicht gefunden werden konnte.

Helmut Schoenfeld

1978 Der Steinmarder bevölkert auch den Friedhof und bevorzugt als Unterschlupf u.a. die Gärtnermeisterei bei der Kapelle 9. Er dringt in die Leitungsschächte des Gebäudes ein. Obwohl er ein nachtaktives Tier ist, schauen am Tage die Jungtiere possierlich und nicht scheu durch die vergitterten Lüftungsöffnungen auf dem Dach auf das geschäftige Treiben auf dem Betriebsplatz.

Helmut Schoenfeld

1981 In seinem Stück "Draußen vor der Tür" lässt Wolfgang Borchert eine Frau sagen: "Wissen Sie, wo Ohlsdorf liegt? Bei Fuhlsbüttel. Da oben sind die drei Endstationen von Hamburg. In Fuhlsbüttel das Gefängnis, in Alsterdorf die Irrenanstalt. Und in Ohlsdorf der Friedhof". Damit sind drei wichtige Fixpunkte des Bezirks Hamburg-Nord genannt. Immerhin ist der Friedhof Ohlsdorf nicht nur ein Platz von Trauer und Ruhe, sondern zugleich der Stolz der "Nordiraner": ein Prunkstück weitläufiger Gartenarchitektur.

Das Parlament Nr. 4/24. Januar 1981

1984 So empfahl die Kommission im März 1878 Senat und Bürgerschaft eine staatliche Verwaltung des Friedhofes, auf dem die Beerdigung für Angehörige aller Konfessionen möglich sein sollte ... Mit der, fast heimlichen, Eröffnung am 1. Juli 1877 (waren) schon endgültige Tatsachen geschaffen worden. Anfangs wurden nur Leichen aus den öffentlichen Anstalten beigesetzt. Erst ab 1879 wurde mit dem Verkauf von Grabstätten begonnen. Im Jahre 1896 wurden etwa 12 000 Tote in Ohlsdorf beigesetzt, von denen mehr als die Hälfte Kinder unter fünf Jahren waren. Insgesamt wurden 80,6 % der Toten im Gemeinsamen Grab, 15 % im Eigenen Grab und 4,4 % in der Sonderform des Genossenschaftsgrabes beerdigt. Der Ohlsdorfer Friedhof war ein Friedhof der Armen.

Fragen der Religion, der Trauer und des Trostes wurden dabei ausgeklammert: der Ohlsdorfer Friedhof. Von Barbara Leisner. Aus Industriekultur in Hamburg, hrsg. von Volker Plagemann; Verlag C. H. Beck München

1988 Wolfgang Sieg stellte im Hamburger Abendblatt seine satirische Erzählung "Ohlsdorf lebt" vor und lud zu einer Friedhofsführung ein. Viele hundert Interessierte kamen, der Autor war jedoch überfordert. Wir von der Verwaltung blickten auf das Gewimmel ... und halfen. Von der damals noch nahe gelegenen Polizeiwache wurde ein Megafon besorgt und die Menschenmassen in mehrere Gruppen aufgeteilt und informiert.

Helmut Schoenfeld

1989 Am 6. Dezember bei minus 6 Grad Lufttemperatur bietet der Förderkreis erstmals eine öffentliche Friedhofsführung an. Überraschenderweise finden sich 60 interessierte Teilnehmer ein.

Helmut Schoenfeld

1990 Durch den Diavortrag "Symbole des Lebens - Monumente auf dem Ohlsdorfer Friedhof" wurde ich auf den Friedhof und seinen Förderkreis aufmerksam. Noch ahnte ich nicht, wie sehr sich meine Beziehung zu diesem Thema vertiefen und wandeln sollte. Anfangs war es das Fotografieren von Patenschaftsgräbern und heute, zwölf Jahre später, betreue ich für den Förderkreis die Internetseite www.fof-ohlsdorf.de.

Brigitte Scheer

1993 begann ich mit meinen Friedhofsführungen für die Katholische Familienbildungsstätte und lernte dann auch Magda Prieß kennen. Wir kamen in ein stundenlanges Gespräch. Von ihr habe ich sehr viel über Ohlsdorf dazugelernt. Sie war es auch, die mich zum Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof brachte.

Jens Marheinecke

1996 Auf gut 4 Quadratkilometern sind hier seit der Eröffnung vor fast 120 Jahren mehr als 1,4 Millionen Menschen beigesetzt worden. 17 Kilometer Straßen und mehrere Autobuslinien durchziehen das Gelände. 28 600 Bäume, darunter viele seltene Arten, 16 000 Grabmale, zwei Grabmalfreilichtmuseen, 12 Kapellen, ein Krematorium mit 3 Feierhallen und 16 Mausoleen Hamburger Familien enthält das riesige Areal, auf dem auch 12 friedhofseigene Gärtnereien tätig sind ... Auf beiden Friedhöfen (Ohlsdorf und Öjendorf) zusammen sind im Vorjahr 9727 (1994: 9814; 1993 10 080) Tote bestattet worden, davon 61 Prozent in Urnen und 39 Prozent in Sarggräbern. Beide Friedhöfe beschäftigen 560 Mitarbeiter und haben 1995 einen Umsatz von 50,28 (Vorjahr: 50,16) Millionen DM und einen Jahresüberschuss von 13 000 (Vorjahr: minus 63 700) DM erzielt.

Soll und Haben auf den Fluren der Erinnerung - Die Hamburger Friedhöfe werden als Unternehmen geführt. Von Axel Schnorrbus; FAZ vom 17. September

1997 Doch die Betreiber des Ohlsdorfer Friedhofes sind sich sicher, mit ihrem neuen Kolumbarium in der Kapelle Nummer 8 voll im Trend der Zeit zu liegen ... 300 Urnen finden hier ausreichend Platz zum oberirdischen Gedenken (für 5000 Mark auf 25 Jahre) ... Ein "Ort stillen Gedenkens" soll entstehen, ständig untermalt mit leiser Musik, um das "Wohlfühlen zu unterstreichen" ... Den Hinterbliebenen werden fortan feierliche Gedenktage in Kapelle 8 angeboten. Selbst dabei richtet sich die Geschäftsleitung Ohlsdorf nach dem Markt ... "Der Kunde kann sich auch mit viel Glitter und den Rolling Stones feiern lassen".

Trauern wie im alten Rom - Oberirdische Urnenanlage in Ohlsdorf. Von Andreas Burgmayer; Hamburger Abendblatt, Dezember 1997

1999 Ein ehemaliger Bundeskanzler besuchte auf eigenen Wunsch und ganz privat den Friedhof und äußerte sich begeistert: Die Kultur einer Stadt erkennt man am Friedhof.

Helmut Kohl, lt. Hamburger Abendblatt vom 30.10.99

2000 Übrigens: Ohne Karte sollte man sich nie auf den Ohlsdorfer Friedhof begeben, oder zumindest nicht die Hauptwege verlassen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen sich hier schon verlaufen haben ... Wieder einmal macht sich die Übersichtlichkeit des Linne-Teils bezahlt. Es reichte, die Wege abzufahren, man hat dann schon einen Überblick über die anderen Teile.

Elisabeth Rosenfeld in ihrer Schülerwettbewerbsarbeit "Tiere der Toten"

Unsere Bürgerbewegung gegen die Bebauung der Gärtnerei Klein Borstel erhielt Unterstützung durch den Oppositionsführer Ole von Beust. Er schrieb: Ihren Wunsch, das Projekt ganz zu stoppen, würde ich gern erfüllen. Zwei Jahre später wird er sich als Bürgermeister der Stadt Hamburg in Schweigen hüllen.

Gisela Kauffmann-Mackh, lt. Die Welt vom 29./30.4.02

2001 In den drei Küstenstädten (Bremen, Hamburg, Lübeck) ist man den Umgang mit Menschen aus anderen Nationen länger als anderswo gewohnt. Ein Spaziergang auf dem größten Friedhof der Welt in Ohlsdorf erinnert mit seinen Arealen für andere Nationen daran. Der Friedhof, den man nur mit dem Auto oder per Bus durchqueren kann, ist an Sonn- und Feiertagen fast so etwas wie ein Ausflugsziel.

Danach - Vom Fluch und Segen eines Mythos. Aus "Hanseaten - Von stolzen Bürgern und schönen Legenden". Von Matthias Wegner; BvT Berliner Taschenbuch Verlag

2001 Die betriebseigenen Maler des Friedhofs nahmen sich der Fassade der Kapelle VIII an. Aber nicht nur die Putzflächen wurden gestrichen, sondern überflüssigerweise auch die z.T. reichverzierte Natursteingliederung aus rotem Mainsandstein, "bonschefarben" würden die Hamburger sagen. Gegen diese Entgleisung ist selbst die Geschäftsführung machtlos.

Helmut Schoenfeld

2002 Welch ein Wunder! Im Waldteil des Friedhofs nistet in den Wipfeln einer Kiefer der Uhu, der größte Eulenvogel Europas. Das Pärchen lässt sich von den stillen Beobachtern nicht stören, aber vom Schoßhündchen eines älteren Ehepaares. Es wird von einem der Uhus attackiert und muss lauthals um sein Leben fürchten. Sollte es Beute werden für die inzwischen geschlüpften Jungvögel?

Petra Schmolinske

Auf dem weltgrößten Parkfriedhof verkommen die Gräber großer Hamburger. Niemand will für die Pflege zahlen. Der Rundgang zu den abgelaufenen Gräbern einstiger Hamburg-Größen - er ist ein Trauerspiel.

Hamburger Abendblatt, 23.4.2002

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft 125 Jahre Friedhof Ohlsdorf - wie geht es weiter? (Juni 2002).
Erkunden Sie auch die Inhalte der bisherigen Themenhefte (1999-2024).