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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

In Freiheit ruhen - Bestattungen ohne kirchliche Begleitung

Autor/in: Celine Koch
Ausgabe Nr. 162, III, 2023 - September 2023

Immer mehr Menschen verzichten auf den kirchlichen Segen bei einer Bestattung. Der Glaube hat damit wenig zu tun, Individualität ist gefragt. Auf dem Kirchenfriedhof ist dafür aber nicht immer Platz.
Aus Lautsprechern klang "Du bist niemals allein" von Cat Ballou, während sich die Menschen in einer langen Schlange aufstellten. Nach und nach verabschiedeten sie sich von der Toten.

Sie war aktiv im Karneval, deshalb wünschte sie sich kölsche Musik auf ihrer Beerdigung. "Das war ein richtiger Gänsehautmoment", erinnert sich Laura Schwind an die freie Trauerfreier einer Bekannten. "Die Rednerin erzählte viel über ihr Leben - auch lustige Sachen. So wurde zwischendurch auch mal gelacht." Auf der Feier gab es ein freies Gebet, ein Geistlicher war allerdings nicht anwesend.

Laut der Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas waren 2020 nur noch 49,7 Prozent aller deutschen Bestattungen kirchlich. Im Jahr 2000 waren es über 70 Prozent. "Es geht stetig bergab. Parallel zu den Kirchenaustritten sinkt auch die Zahl der kirchlichen Bestattungen", bestätigt Alexander Helbach von Aeternitas. Der Trend geht hin zu alternativen Beisetzungen in Bestattungswäldern sowie See- oder Diamantbestattungen ohne kirchlichen Bezug.
Eine Alternative will auch Nadine Lang bieten. Sie studierte evangelische Theologie, ist allerdings seit 2015 als freie Trauerrednerin und Bestatterin tätig. Nadine Lang arbeitet überkonfessionell. "Heute bin ich sehr froh, dass es so gekommen ist und würde es auch nicht anders haben wollen. Denn dadurch habe ich die Möglichkeit so individuell auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen", erzählt sie. Dass Menschen nach alternativen Bestattungsformen suchen, muss nicht bedeuten, dass sie nicht an Gott glauben. Häufig betet Nadine Lang mit den Menschen, entweder schreibt sie die Gebete selbst oder spricht auf Wunsch das Vaterunser. "Ich würde sagen 60 Prozent von meinen Trauerfeiern sind mit einem religiösen Bezug und 40 Prozent komplett ohne", erzählt sie.
Daraus schließt die Bestatterin, dass nicht der Glaube der Grund ist, sondern eher die Tatsache, dass die Menschen keinen Bezug mehr zur Kirche haben. Dem schließt sich der Kulturanthropologe Norbert Fischer an, der an der Universität Hamburg unter anderem zu Tod, Trauer und Bestattung forscht. "Neuere Umfragen zeigen, dass der Bezug zu religiösen Lehren, zu Gott und zu Jenseitsvorstellungen nach wie vor relativ stark ist." Zudem weiß Nadine Lang: "Vielen Menschen, die mir begegnen, tut die Institution oder die Erfahrung mit ihr nicht gut."

Sowohl Fischer als auch Lang sprechen von kirchlichen Trauerfeiern, in denen der Name der verstorbenen Person kaum erwähnt oder sogar verwechselt wurde. Nadine Lang ist der Meinung, dass zu wenige kirchliche Trauerbegleitungen wirklich nah am Menschen sind. Das liege aber nicht immer daran, dass Geistliche nicht auf Angehörige eingehen wollten. "Wenn man zehn Pfarreien hat, kann man nicht so individuell begleiten, wie ich mir das beispielsweise vorstelle", erklärt sie. Auch der Kulturanthropologe sieht hier ein strukturelles Problem. Er erzählt von einem Pastorenpaar, das einen Radius von 60 Kilometern zu betreuen hätte. Wenn zwei Trauerfälle dann weit auseinanderlägen, sei es neben allen anderen Amtshandlungen schwierig, allen Menschen gerecht zu werden. "Da schafft sich die Kirche im Grunde ihre Probleme selbst", sagt er. Trotzdem würden viele Menschen von Regelungen abgeschreckt, die die Institution viel einfacher ändern könnte, wie zum Beispiel den Ablauf einer Beerdigung.
Vor allem bei katholischen Bestattungen ist der oft streng geregelt: Eröffnung mit Musik, Bibelzitate, Gebete, Erlösungsbitten und Lieder in einer festgelegten Reihenfolge. Norbert Fischer erinnert sich an Fälle, in denen persönliche Lieblingslieder oder Ideen für den Grabstein strikt abgelehnt wurden: "Es gibt Kirchengemeinden, die nur christliche Symbole wollen. Wenn bei einer Bestattung von einem zwölf Jahre alten Jungen das Emblem seines Lieblingsfußballvereins nicht auf den Grabstein darf, weil die Friedhofssatzung das nicht vorsieht, löst das viel Unverständnis aus." Auch Alexander Helbach sieht die Beharrungskräfte, die an alten Strukturen festhalten. "Städtische Friedhofsverwaltungen, Kirchen, aber auch Steinmetze und Friedhofsgärtner, die auf dem Friedhof ihr Geld verdienen. Das sind alles große Institutionen, die den Wandel zum Teil noch hemmen." Aber warum wollen Menschen immer mehr Individualität auf dem Friedhof?
"Wir sind alle gerne individuell, wollen uns ausleben und uns nicht sagen lassen, was richtig und was falsch ist", erklärt sich Nadine Lang den Trend. Auch Norbert Fischer findet diese Entwicklung nachvollziehbar. "Die Menschen haben viel mehr Wahlmöglichkeiten, deshalb sind sie nicht mehr gezwungen, sich an diesen starren Strukturen zu orientieren. Wenn man solche Fesseln abstreifen kann, nutzt man die Chance natürlich." Laut Alexander Helbach von Aeternitas sei der Bestattungskult ein Abbild dessen, was sich sonst in der Gesellschaft tue. Dabei ginge es nicht nur um Individualität. "Wir haben einerseits diese Individualisierung und andererseits den Trend zu billigen und einfachen Bestattungen", sagt Helbach. Die Tatsache, dass beispielsweise einzelne Familienmitglieder vom Bestattungsort wegzögen, sei einer von vielen Gründen, warum Angehörige vor allem Gräber bevorzugten, die sie nicht pflegen müssen.
Eine dauerhafte, pflegefreie Grabstätte kann auch ein Platz in einem Bestattungswald sein. Carola Wacker-Meister vom Friedwald Saarbrücken meint, dass der Wald von vielen Menschen als tröstlicher empfunden wird als der klassische Friedhof. "Der Wald bleibt und man kann ihn zum Spazieren nutzen. Durch den Baum hat man aber trotzdem einen festen Ort zum Trauern", erzählt sie und fügt hinzu: "Natürlich ist da kostengünstige, pflegefreie Angebot auch ein Argument. Aber ehrlich gesagt, kann man das alles auf dem Friedhof auch haben." Zudem sei im Friedwald nicht grundsätzlich alles Kirchliche Tabu. Die kirchlichen Gemeinden seien häufig dabei, wenn neue Standorte eröffnet würden. Von den Försterinnen und Förstern wisse sie, dass es auch kirchliche Beisetzungen gäbe. Das sei von Region zu Region unterschiedlich. Für Wacker-Meister ist daher die Individualität der Hauptgrund, weshalb Menschen sich für eine Bestattung im Friedwald entscheiden und nicht weil sie "Anti-Kirche" seien.
Deshalb glaubt der Kulturanthropologe Norbert Fischer, dass christliche Elemente sich halten werden. Er denkt, dass eine Vermischung aus neueren, individualistischen Elementen und positiv wahrgenommenen Elementen der christlichen Tradition übrigbleibt. "Das können Lieder sein oder Symbole wie der Engel, der uns an die Hand nimmt und uns von der Erde in den Himmel geleitet." Dass sich der Trend wieder zu mehr kirchlichen Bestattungen umkehrt, bezweifelt allerdings nicht nur er, sondern auch die freie Trauerrednerin Nadine Lang. "Ich habe das Gefühl, dass der seelsorgliche Auftrag, der für mich bei Geistlichen ganz vorne steht, immer weniger Bedeutung hat. Sowohl für die Menschen, die begleitet werden als auch für die, die begleiten", erzählt sie. Norbert Fischer ist sich in einem Punkt sicher: "Es ist nicht schwarz weiß, aber die Kirche als alleinige Institution, die über unser Leben und Sterben wacht - das ist schon lange vorbei."

Auflistung alle Artikel aus dem Themenheft Schiffbrüche und Erinnerungsorte (September 2023).
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