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OHLSDORF - Zeitschrift für Trauerkultur

Der Genius des Todes – das Grabmal Schutte

Wenn man den Ohlsdorfer Friedhof besucht, könnte man glauben nur weibliche Engel würden vom Himmel herab auf die Grabstätten schweben.

Doch das stimmt nicht ganz. Sehr vereinzelt finden sich Ausnahmen, deren schönste und größte auf der Grabstätte von Daniel und Bertha Schutte lehnt. Es ist die überlebensgroße Gestalt eines schönen, unbekleideten Jünglings, dessen schwere Flügel bis zum Boden reichen. Sein Kopf ist auf seine Arme niedergesunken, die sich auf die Stele aufstützen, auf der die Namen der Verstorbenen verzeichnet sind.

Der 1798 geborene Kaufmann Daniel Schutte kam 1835 nach Hamburg und eröffnete ein Kontor in der Ferdinandstraße 63. Das Haus gehörte nach dem großen Brand zu den von Alexis de Chateauneuf neu errichteten Gebäuden der Stadt und steht heute unter Denkmalschutz. Erst im Alter von 47 Jahren verheiratete sich der erfolgreiche Kaufmann mit Bertha Marianne de Jongh. Das Paar blieb kinderlos. Daniel Schutte starb wenige Jahre vor seiner Frau, die ihr Vermögen testamentarisch einer Wohnstiftung vermachte, die 1892 errichtet wurde und noch den Namen des Ehepaares trägt. Eines der Häuser für gering bemittelte Alte – entworfen von dem Rathausbaumeister Martin Haller –, das von diesem Geld erbaut wurde, steht noch heute an der Tarpenbekstraße und prägt mit seinen Treppengiebeln das städtebauliche Gesamtbild von Eppendorf.

Die Plastik für das Grabmal des edlen Stifterpaares wurde knapp zehn Jahre später aufgestellt. Sie ist von dem Bildhauer Fritz Behn signiert. Dieser Künstler wurde am 16. Juni 1878 in Klein-Grabow geboren und entstammt einer alten Lübecker Familie. Gleich nach seinem Abitur ging er an die Münchener Kunstakademie und schloss sich dort der Künstlergruppe um Adolf von Hildebrand an. Das Ohlsdorfer Grabmal gehört zu seinen ersten großen plastischen Arbeiten, mit denen er 1901 an die Öffentlichkeit trat. Später wurde Behn besonders durch seine Tierplastiken berühmt.1

Behns künstlerischer Mentor Adolf von Hildebrand trat in München durch seinen Rückgriff auf den Klassizismus hervor, also auf Werke aus der Zeit gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Diesem Kunststil galten die wiederentdeckten antiken Statuen als die wichtigsten Vorbilder, denen ein Künstler nacheifern konnte. Es war die Zeit der Aufklärung und damit eine Zeit des Umbruchs, in der sich neue Vorstellungen durchsetzten. Auch die bis dahin übliche barocke Darstellung des Todes als Skelett mit Sense wurde damals kritisch hinterfragt. 1769 hatte Gotthold Ephraim Lessing in seiner berühmten Schrift "Wie die Alten den Tod gebildet" die These aufgestellt, dass Tod und Schlaf in der antiken Kunst als Zwillingsbrüder dargestellt worden seien, wobei der Tod als Genius mit gesenkter Fackel personifiziert werde. Inspiriert von Winkelmanns These von der "edlen Einfalt und stillen Größe" der antiken Kunst glaubte auch Lessing, dass die alten Griechen das Hässliche vermieden und deshalb kein Bild von Moder und Verwesung, sondern die Gestalt des "ewigen Schlafes" für den Tod gewählt hätten.

Diese These wirkte sich auf die Grabmalkunst ihrer Zeit aus. Eines der frühesten – wenn nicht das erste – Grabmal, auf dem die Vorstellung vom geflügelten Bruder des Schlafes bildlich umgesetzt wurde, ist das Monument für den früh verstorbenen Grafen von der Mark in Berlin, mit dem der junge Bildhauer Johann Gottfried Schadow 1788 beauftragt wurde. Schadow war gerade aus Rom, dem Mekka der damaligen Künstlergeneration, zurückgekommen und kannte die antiken Skulpturen und Bauten, die man in dieser Zeit wiederentdeckte. Für das Grabmal des jungen Grafen entwickelte er ein umfassendes Bildprogramm, wobei er an den Seitenflächen des Sarkophages, auf dem der verstorbene Knabe liegt, Reliefs mit dem neuen Bild der beiden Brüder Hypnos und Thanatos, also Schlaf und Tod, anbrachte.

Schutte
Grabmal Schutte (Lage Z 27, 73-5) Foto: Lutz Rehkopf

Ganz ähnlich dem Jüngling auf dem Grabmal Schutte, der mit seinen Armen und dem Kopf auf der Stele ruht, die das eigentliche Grabmal bildet, ist auf diesem Reliefs der geflügelte Jüngling, der durch Mohnkaspeln als Schlaf personifiziert ist, über einem abgebrochenen Baumstumpf zusammengesunken. Der Todesgenius dagegen lehnt in zwangloser Haltung an einem ähnlichen Stamm. Er hält in der einen Hand die gesenkte Fackel, in der anderen einen Rosenkranz.

Weitere berühmte Grabmale sind zu nennen, die das neue Thema des geflügelten Todesgenius in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgenommen haben: Antonio Canova schuf das unter den Zeitgenossen berühmte Grabmal für die Erzherzogin Marie Christine in der Wiener Augustinerkirche, bei dem der schöne Engel des Todes trauernd über einem Löwen zusammengebrochen ist. Berthel Thorvaldsen ließ die Genien des Lebens und des Todes auf dem Leuchtenberg Denkmal (1827-1829) in der Münchener St. Michaeliskirche auftreten. Auch auf den neuen Friedhöfen der Zeit, wie dem Alten Friedhof in Gießen oder dem Friedhof in Löbtau (Dresden), wurden Stelen aufgestellt, auf denen das neue Bild des Todes im Relief erschien.

Auf diese Bildtradition hat also der Bildhauer Fritz Behn bei dem Grabmal für das wohltätige Hamburger Stifterpaar zurückgegriffen. Dabei sieht sein geflügelter Jüngling so aus, als ob er den Genius des Schlafes und den des Todes von dem Grabmal des Grafen von der Mark zu einer Person verschmolzen hätte, die über dem Stein, dessen Inschrift an den Verstorbenen erinnert, zugleich trauernd und wie im Schlaf zusammengesunken ist. Da ihm auch das Symbol des Todes, die zu Boden gekehrte Fackel, fehlt, kann man diese Gestalt also wohl am besten als eine Personifikation des "Ewigen Schlafes" ansprechen.

1 Auf dem Ohlsdorfer Friedhof steht noch ein weiterer männlicher Engel aus seiner Hand, der durch die Sanduhr als Chronos, Gott der Zeit, symbolisiert wird. Außerdem hat Fritz Behn auch die Kinderplastik auf der Grabstätte Cohen (Lage: O 12/P 12) und den Jüngling mit dem Füllhorn auf der Grabstätte Sieveking (Z 13) geschaffen.

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